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Wie ausgerechnet ein Künstlerverein im Brunnenviertel gegen Gentrifizierung kämpft

In der Nähe des Brunnenmarkts soll der Verein ,mo.ë' dem Luxus-Bauprojekt eines Immobilieninvestors weichen. Der Fall erinnert an die Pizzeria Anarchia.

Die ehemalige Fabrikhalle während Renovierungsarbeiten. Foto: Fotoarchiv mo.ë

Seit knapp fünf Jahren hat der Kunst- und Kulturverein mo.ë in den alten Hallen einer geschichtsträchtigen Fabrik im Brunnenviertel eine Bleibe gefunden. Mit über 400 Veranstaltungen und 25.000 Besuchern und Besucherinnen in den letzten zwei Jahren hat sich mo.ë nicht nur im Grätzel rund um den Yppenplatz einen Namen gemacht, sondern wurde auch zu einem fixen Bestandteil der freien Kunstszene Wiens.

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Seit einigen Wochen rückt der Verein aber aufgrund einer vom Besitzer des Gebäudes eingereichten Räumungsklage zunehmend in den Mittelpunkt des Kampfes gegen Immobilienspekulation in Wien.

Begonnen hat im Grunde alles schon 1888. Damals eröffnete ein gewisser Bernhard Mandelbaum—Großvater des Bestseller Autors Frederic Morton—die „k. u. k Orden und Medaillenfabrik" in der Thelemanngasse 4. Mandelbaum war Jude und stand im Dienste des Kaisers. Die Geschäfte, die später sein Sohn Franz Mandelbaum übernahm, liefen gut—bis 1938 die Nazis die Macht übernahmen und die Fabrik arisiert wurde. Die Mandelbaums entschieden sich zur Flucht, nachdem Franz Mandelbaum für kurze Zeit im KZ Dachau interniert war. Die Familie emigrierte 1939 zuerst nach England, ein Jahr später weiter nach New York. Dort änderten sie ihren Namen auf Morton.

Als die Mortons nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Wien zurückkehrten, wurde die Fabrik restituiert. In den 50ern verkaufte die Familie schließlich die Manufaktur und in den Folgejahren wurden Gürtelschnallen und andere Utensilien für das Bundesheer hergestellt—bis die Firma in den 90ern schließlich pleite ging und 2008 die Produktion eingestellt wurde.

2010 bezog schließlich der Verein mo.ë die Räumlichkeiten in der Thelemanngasse und eröffnete dort unter anderem ein Atelier, eine Werkstatt und einen Proberaum und bietet seither vielen Kunstschaffenden einen Raum für ihre Projekte. 2013 kaufte jedoch die Immobilienfirma Vestwerk das Gebäude—mit dem Ziel, dort drei Luxuslofts zu errichten.

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Vestwerk hat mittlerweile die Baubewilligung erhalten und der Verein mo.ë hätte die Räumlichkeiten mit 1. Jänner 2016 an Vestwerk zurückstellen müssen. Doch die Künstler und Künstlerinnen entschieden sich, für den Erhalt ihres Raumes zu kämpfen und besetzten kurzer Hand die ehemalige Fabrik. Am Donnerstag startet deshalb ein Prozess, mit dem die Immobilienfirma eine Räumung erzwingen will.

Lesung von Frederic Morton in der Thelemanngasse 4. Foto: Alexander Felch

Der Fall erinnert in Ansätzen an jenen der Pizzeria Anarchia, die im Sommer 2014 mit einem absurd großen Polizeiaufgebot geräumt wurde. Denn wie schon in der Pizzeria Anarchia, wohnen auch in der Thelemanngasse 4 noch Altmieter und Altmieterinnen in Wohnungen mit unbefristeten Mietverträgen, die nicht freiwillig ausziehen wollen. Das Bauprojekt von Vestwerk lässt sich jedoch nur mit einer kompletten Entmietung des Objektes umsetzen.

Der Verein mo.ë engagiert sich daher nicht nur für den Erhalt der eigenen Räumlichkeiten, sondern solidarisiert sich auch mit dem Widerstand der Mieterinnen und Mieter und mit der Forderung nach leistbarem Wohnraum in Wien. „Der Großteil der Parteien im Haus teilt den Widerstand gegen die Pläne von Vestwerk", so Alisa Beck, Obfrau von mo.ë.

Der Kunstverein repräsentiert dabei als Raum, der für alle zugänglich ist, das öffentliche Interesse vieler Wienerinnen und Wiener für

Solidaritätskundgebung am Yppenplatz. Foto: Peter Nitsche

gemeinschaftlich nutzbare Plätze—und wirft gleichzeitig die Frage auf, inwieweit dieses mit den privat(wirtschaftlichen) Interessen Einzelner aufzuwiegen ist. Bei Vestwerk will man auf diese Fragen nicht eingehen. In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber VICE heißt es lediglich: „Das Mietvertragsende war klar mit 31. 12. 2015 vereinbart. Trotz abgelaufenen Mietvertrag stellt der Verein das Mietobjekt nicht zurück."

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Bei mo.ë verweist man aber sehr wohl auf eine grundsätzliche Debatte über öffentlichen Raum und will sich nicht auf eine rein mietrechtliche Diskussion zwingen lassen: „Wir sprechen zwar aus der Perspektive von in Wien lebenden und arbeitenden Kunstschaffenden, thematisieren aber eine Entwicklung, die zunehmend mehr Bewohnerinnen und Bewohner Wiens betrifft."

Die kultur- und raumpolitische Frage nach der Macht und den Machenschaften von kapitalorientierten Investoren und dem zunehmenden Verschwinden von leistbarem Wohn- und Arbeitsraum wird auch aus dem Büro von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny nur ausweichend beantwortet. Man erklärt uns, dass der Verein mo.ë zwar in seiner Arbeit von der Stadt Wien unterstützt wurde und auch versucht wurde, zwischen mo.ë und Vestwerk zu vermitteln, letztlich die Immobilienfirma aber im Recht sei. Auf die grundsätzliche Problematik solcher Investitionskäufe von Immobilienfirmen und die damit verbundene Verdrängung von Altmietern oder eben Vereinen mit öffentlichem Interesse geht aber auch der Stadtrat nicht ein.

Solidaritätskonzert in der Halle der ehemaligen Fabrik. Foto: David Hanke

Solidarität erfährt mo.ë aber von anderen Künstlern und Künstlerinnen. So schreibt etwa Peter Waterhouse, Schriftsteller, Mitglied des Österreichischen Kunstsenats und Träger des Österreichischen Staatspreises für Literatur: „Ich protestiere gegen die durch Immobilieninvestment drohende Zerstörung einer der schönsten Räume für die zeitgenössischen Künste in Österreich; mein Protest richtet sich auch dagegen, dass die anderen Mieterinnen ihre Wohnungen in der Thelemanngasse 4 verlieren sollen."

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Und auch die Berliner Bühnenbildnerin Anna Viebrock, die die Räumlichkeiten als Vorlage für eines ihrer Bühnebilder nutzte, zeigt sich schockiert über den geplanten Abriss des Kunstraums: „Vielleicht wird das Bühnenbild ja länger leben, als das mo.ë, wenn es wirklich stimmt, was ich nicht glauben mag, dass der alte geschichtsträchtige Gebäudekomplex in der Thelemangasse abgerissen werden soll."

In Wien wird immer noch mit Wohnraum spekuliert

Auch wenn es grundverschiedene Projekte sind, sind doch viele Parallelen zwischen dem mo.ë und der Pizzeria Anarchia zu finden. Gerade die Gegend rund um Praterstern und Augarten, vermehrt aber auch jene um den Yppenplatz und den Brunnenmarkt sind stark von Gentrifizierung betroffen. Das mo.ë kann jedenfalls als das neue Aushängeschild des Kampfes gegen Immobilienspekulation und Verdrängung öffentlichen Raumes und für leistbaren Wohn- und Arbeitsraum in Wien verstanden werden.

Ob sich die Stadt ein erneutes Szenario wie bei der Räumung der Pizzeria Anarchia kostentechnisch und imagemäßig leisten kann, ist fraglich. Für Alisa von mo.ë steht aber fest, dass der am Donnerstag startende Prozess ohnehin nur ein Nebenschauplatz ist. „Es geht uns um einen politischen Diskurs", sagt sie. „Politisches Tun und aktiver Widerstand liegt in unserer täglichen Arbeit und in dem dichten künstlerischen und kulturellen Programm, das die letzten Monate stetig weiter läuft. Dieser Widerstand beginnt nicht erst auf den Barrikaden, er ist bereits im vollen Gange."

Paul auf Twitter: @gewitterland