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GAMES

'Atomic Butcher: Homo Metabolicus' ist das abartige Gesicht der heimischen Indie-Games

Zwei österreichische Entwickler kreuzen den Trash-Klassiker 'Toxic Avenger' mit einem 2D-Shooter—inklusive tonnenweise Troma, Beuschel & Fäkalhumor.
Artwork von Atomic Butcher: Homo Metabolicus (c) Das Humankapital

Wir lieben das trashige Troma-Filmstudio, ihren Gründer Lloyd Kaufman und überhaupt alles was nach in die Ecke pinkelnden Mutanten riecht. Und ganz besonders lieben wir The Toxic Avenger, der nicht nur mit dem schönsten Body-Nazi-Fitness-Intro aller Zeiten anfängt, sondern auch noch eine moderne Glöckner-von-Notre-Dame-auf-der-atomaren-Müllhalde-Geschichte erzählt und absurderweise sogar schon als Broadway-Musical Erfolge feiern konnte.

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Jetzt hat das österreichische Entwicklerstudio Das Humankapital all diese Lieblingsdinge mit einer weiteren Lieblingssache von uns verbunden—nämlich Videospielen—und den 2D-Platformer namens Atomic Butcher: Homo Metabolicus gemacht, das es vorerst nur in der Pre-Alpha-Phase gibt.

Wir haben uns mit David und Roland von Das Humankapital getroffen, um über ihr Projekt zu sprechen, bei dem man eine die Gegner zu Tode urinierende Massenverdauungswaffe spielt. Ein bisschen hatten wir schon Angst, beim Interview zwei an die Wand gekettete Mutanten vorzufinden, umgeben von einer Schar Fleischfliegen und Verwesungsgeruch.

Die Indie-Programmierer waren aber sehr menschlich, sympathisch und verhielten sich das ganze Gespräch hindurch sehr zivilisiert—ganz ohne rohes Fleisch zu kauen, uns anzukotzen oder kannibalische Anwandlungen zu haben. Die beiden sind sehr stolz auf ihren Atomic Butcher: Homo Metabolicus, den postapokalyptischen Plattform-Shooter mit der Twinstick-Steuerung und besonders auf die Tatsache, dass sie das filmische Exploitation-Genre mit ihrem Videospielformat vereinen konnten.

Foto, Header und restliches Bildermaterial im Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung von Das Humankapital zur Verfügung gestellt.

VICE: Ihr arbeitet ja mittlerweile schon sehr lange an Atomic Butcher.
Roland und David: Der volle Name des neuen Spiels lautet Atomic Butcher: Homo Metabolicus—nicht zu verwechseln mit unserem ersten Spiel, das einfach nur Atomic Butcher hieß.

Also streng genommen, arbeitet ihr an einem Sequel?
Stimmt, das war 2004 und damals haben wir es mit Butcher als Freeware-Titel das erste Mal geschafft, ein Spiel komplett fertig zu entwickeln. Wir haben auch schon davor an Spielen gearbeitet, viel früher schon, in den 90ern. Wir sind beide gemeinsam in Schärding zur Schule gegangen und haben dort entdeckt, dass wir ein gemeinsames Interesse am Programmieren haben und auch beide gerne selber Spiele machen würden. Das waren die Zeiten von statischen HTML-Seiten und 56K-Modems. Wir werden so 13 oder 14 gewesen sein. Wir haben uns dann erst einmal Basic, dann Turbo Pascal beigebracht und kleine DOS-Games gebastelt, die wir dann auf Diskette an Schulfreunde weitergegeben haben.

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So jung hattet ihr schon das Fachwissen um „kleine Spiele" zu programmieren? Das stell ich mir schon ziemlich schwierig vor.
Das war es auch. Unsere ersten Versuche waren noch zu einer Zeit, in der Infos über Spiele-Programmierung und -Design sehr schwer zu beschaffen waren. Wir sind halt einfach zum örtlichen Buchladen und haben gefragt, was es zum Thema Programmieren gab und auf gut Glück irgendwas bestellt. Das meiste war dann auch eher unbrauchbar, aber man hat eben mit dem gearbeitet, was man hatte. Und wir haben schnell gelernt zu improvisieren, was natürlich extrem wichtig ist bei Spiel- und IP-Entwicklung.

Stimmt es, dass Toxic Avenger von Lloyd Kaufman eine Inspiration für euch war? Und wie steht ihr allgemein zu Troma-Filmen?
Um ehrlich zu sein, hatte ich damals, als wir den ersten Butcher-Teil gemacht haben, Toxic Avenger noch gar nicht gesehen. Aber es gibt ja dieses Phänomen, dass ganz ähnliche Dinge unabhängig von verschiedenen Menschen an unterschiedlichen Orten erfunden werden. So wie die Glühbirne—nur in diesem Fall geht es um einen allesfressenden Mutanten. Aber wir haben auf jeden Fall viel nachgeholt auf diesem Gebiet—wir haben Toxic Avenger geschaut, die Comics gelesen und uns überhaupt eingängig mit Lloyd Kaufman und Troma beschäftigt. Das war und ist einfach genau unser Humor. Und auch die ganze Herangehensweise, mit wenigen und minimalistischen Mitteln Unterhaltung zu produzieren. Wir haben auch die gleiche Leidenschaft für das Absurde, das Schräge und Subversive.

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Also stört es euch nicht, wenn Parallelen zwischen Troma und eurem Spiel gezogen werden?
Überhaupt nicht, letztes Jahr beim /slash-Filmfestival haben wir Lloyd Kaufman sogar persönlich getroffen! Da haben wir auch direkt Kontakt zu Troma-Entertainment hergestellt. Es kamen sogar Ideen für Koops und ein gemeinsames Marketing auf. Wir überlegen, dass wir Troma-Figuren aus dem Troma-Universum ins Spiel einbauen. Wir haben ein paar Mails mit ihnen geschrieben, aber bis jetzt ist noch nichts Konkretes daraus entstanden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden! Eine Zusammenarbeit würde sich gerade bei unserem Spiel echt anbieten.

**Neben diesen ähnlichen Leidenschaften und *dem gemeinsamen* Humor, was hat euch damals dazu motiviert, zusammen Computerspiele zu machen?**
Als Kind ist man einfach wahnsinnig beeindruckt von Videospielen. Der Amiga 500 vom Bruder oder später dann der Mega Drive. Games hatten schon immer etwas Magisches—ganz abseits vom alltäglichen Leben. Die Spiele waren ja auch so herrlich abstrakt und surreal. Das ist wahrscheinlich echt der Hauptgrund für die Faszination, die man als Kind für Games entwickelt. Die scheinbar unendlichen Möglichkeiten, die Fantasie—es ist, als würde man Einblick in eine komplett andere Welt bekommen, aber immer nur andeutungsweise und fragmentarisch.

Das klingt ja fast wie eine spirituelle Offenbarung.
Naja, das war auch wirklich immer was ganz Besonderes. Viele Spielinhalte haben für mich auch überhaupt keinen Sinn ergeben—Anleitungen hatten wir ja keine und Englisch konnte ich auch noch nicht damals. Wir hatten oft Spiele, meistens natürlich raubkopiert, die unvollständig waren oder irgendwelche Glitches hatten. Dann gab es diese seltsamen Cracker-Intros, die die Fantasie noch mehr beflügelt und zu dem ganzen Mysterium beigetragen haben. In der Vorstellung hat man dann einfach die fehlenden Teile ergänzt. Man lebt plötzlich in einer völlig eigenen Welt. Wenn der Butcher jetzt hier wäre, würde er mir wohl rülpsend ein gutturales „Autist" an den Kopf werfen.

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Die Faszination am Gaming haben ja viele erlebt. Ihr wolltet bei der Erschaffung dieser „mysteriösen Fantasiewelten" dann also einfach mitmachen?
Für uns war auf jeden Fall sehr bald klar, dass wir lernen müssen, wie man Spiele macht, um diesen Erfahrungen ein „Denkmal" zu setzen. Die Idee, dass man die Fantasie in die Realität bringen kann und andere Menschen daran teilhaben lassen kann, war der Motor hinter unseren ersten Konzepten. Die Vorstellung, diese fremde Fantasiewelt jemandem anderen zu geben, die sich dann darin bewegen und sie auf eigene Art und Weise erforschen können, fand ich unheimlich faszinierend.

Wo kommt der Name „Das Humankapital" für euer Entwicklerstudio her?
2004 hat die Frankfurter Goethe-Uni „Humankapital" zum grausigsten Unwort des Jahres erkoren. Keine Ahnung, aber das fanden wir lustig. Und die Idee ursprünglich auch, so zu tun, als wären wir ein riesiger, internationaler Konzern, so richtig turbokapitalistisch … naja, daraus ist bis jetzt nicht viel geworden.

MOTHERBOARD: Darf ein Indie-Game, auch wenn es noch so gut ist, deine Kreditkarte leerräumen?

Wie lange habt ihr damals als Kids gebraucht, um den ersten Teil von Atomic Butcher zu produzieren?
Nach einigen gescheiterten Anläufen haben wir uns entschlossen, es noch einmal anzugehen und uns für drei Tage und drei Nächte zuhause eingesperrt. In einem Programmiermarathon haben wir die Fundamente eines 2D-Platformers rausgehackt. Und das war alles noch namenlos und ein Design hatten wir auch nicht. Eigentlich war da nicht viel mehr als: „Jöh, wir wollen ein Spiel machen!" Das hat dann so eine Eigendynamik entwickelt und irgendwann ist der Name „Atomic Butcher" aufgetaucht. Das fanden wir so herrlich hirnrissig. Das ist dann auch eine Konstante im Designprozess geblieben: Wenn wir uns über eine Idee kaputt gelacht haben, weil die SO extrem schwachsinnig war, dann musste das ins Spiel kommen.

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War das erste Atomic Butcher erfolgreich?
Nach circa einem Jahr Arbeit war das Spiel dann fertig und wir haben es gratis online gestellt. Da war keine große Erwartungshaltung, dass das jemanden interessiert. Wir haben auch null Werbung dafür betrieben und dachten: „Wenn es nur 100 Leute spielen, ist das schon total cool." Das Spiel war dann doch um einiges erfolgreicher als erwartet. Von da an war uns klar, dass eine Fortsetzung machen sollten—aber dieses Mal eine „ordentliche".

Wie ist die Entstehungsgeschichte vom Atomic Butcher?
Gute Frage, das weiß keiner so genau. Meine Theorie ist, dass unser Compiler-Programm damals unter Einfluss vieler nerdiger Fieberträume ein ganz spezielles Bitmuster im Arbeitsspeicher erzeugt hat. Weil die Sterne richtig standen, wurde dadurch ein Portal in den dritten Kreis der Hölle geöffnet, in dem ja bekanntlich nach Dante die Gefräßigen hausen … oder auch ganz anderes. Schaut euch das Spiel an, da gibt's die offizielle Backstory.

Dann kommen wir zur eigentlichen Fleischfüllung des Interviews, eurem aktuellen Spiel Atomic Butcher: Homo Metabolicus.
Wir entwickeln diesen Titel völlig selbstfinanziert seit über zweieinhalb Jahren, alles in unserer Freizeit, ganz selbstausbeuterisch. Das geht eigentlich auch nur, weil wir so ein eingespieltes Team sind und schon seit 17 Jahren zusammen arbeiten—auch wenn bis jetzt nur eines unserer Spiel wirklich released wurde. Atomic Butcher: Homo Metabolicus sollte ein deutlich schnelleres Spiel werden, das vom Flow her eher an moderne Indie-Titel wie Super Meat Boy oder Hotline Miami angelehnt ist. Der Spieler soll so richtig ungebremst durch die Levels fetzen und eine Spur der sinnlosen Verwüstung hinter sich lassen.

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Klingt gut, eine schön hirnlose Rundumvernichtung.
Obwohl nicht nur. Wir wollen schon auch einen Fokus auf Exploration und Taktik setzen mit dem Spiel, wie bei klassischen Platformern beziehungsweise „Metroidvanias". Es war deshalb schon eine ziemliche Herausforderung, das Spiel an modernere Gewohnheiten anzupassen. Die ersten Prototypen waren viel zu sperrig und komplex. Für die ersten Versionen hätte echt niemand genug Geduld aufbringen können. Aber so zu denken hat uns eben auch geholfen, das Spiel auf das Wesentliche zu reduzieren. Im Prinzip haben wir das letzte Jahr hindurch nur weggeschnitten und vereinfacht.

Welche „Modernisierungen" habt ihr noch vorgenommen—VR, Kinect-Steuerung und Micro Transactions?
Was?! Nein, natürlich nicht. Es ist ja irgendwie fast schon anachronistisch, so einen 2D-Platformer wie Atomic Butcher: Homo Metabolicus exklusiv für PC rauszubringen. Wir wurden auch von allen Seiten gedrängt, eine Version für Tablets und Smartphones zu porten. Das Design, die Steuerung, das alles eignet sich aber überhaupt nicht für mobile Geräte und Touchscreens. Wobei wir uns nach der Fertigstellung von AB:HM ein komplett von Grund auf neu entwickeltes Mobil-Game durchaus vorstellen könnten. Das würde uns schon interessieren.

Ist der neue Butcher also ein klassisches Retro-Game?
Naja, das kommt darauf an. Der Grafik-Stil in unserem Spiel ist eine eigene Mischung aus 16Bit-Ästhetik, Amiga und Mega Drive, kombiniert mit modernen Effekten. Die meisten Retro-Spiele versuchen ja eigentlich eher einen Stil nachzuahmen, der noch viel weiter zurückreicht, mehr in die 8Bit-Ära. Wir haben uns für den Grafikstil entschieden, den wir mit der Muttermlich aufgesogen haben. Es war auch keine bewusste Zielsetzung, das Spiel möglichst „Retro" zu machen. Wir hatten ja auch keinen Grafiker, darum haben wir alles selber gemacht—the only way we know how.

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Was sind die popkulturellen Einflüsse des Spiels? Ihr sagt ja schließlich, nur die schwachsinnigsten Ideen durften ins Spiel.
Puh, da kam alles rein, womit wir aufgewachsen sind und irgendwie gestört war. Das waren sicher mal Filme wie Evil Dead und Braindead, Splatter mit viel Selbstironie. Mad Max war natürlich ganz groß und auch die ganzen Troma-Sachen mit der geilen DIY-Mentalität. Wir haben uns aber auch von schrägen 90er Cartoons inspirieren lassen, Cow & Chicken, Ren & Stimpy, Beavis & Butthead. Dann kamen auch definitiv musikalische Einflüsse aus der Metal-Richtung, Grindcore, Death und Thrash, auch Industrial. Roland ist großer Skinny Puppy-Fan. Die haben ja auch so blutige, gorey Bühnenshows. Wir suchen übrigens noch wen, der die Mucke für Atomic Butcher: Homo Metabolicus macht!

Welche Spiele waren die Vorbilder für den Homo Metabolicus?
Als Einflüsse muss man wohl sicherlich Turrican und Abuse nennen, falls das wer kennt. Zwar nicht von den Mechaniken her, aber „im Geiste" waren sicher auch Fallout, Doom und Postal 2 dabei.

Ah, Stichwort Postal 2! In dem Spiel kann man auch Gegner anpissen, so wie in eurem Spiel.
Ursprünglich wollten wir für den ersten Teil so einen Blaster als Standardwaffe machen, mit einem orangen Partikelschweif hinter den Projektilen. Wir haben dann aber vergessen, die Gravitation für den Partikeleffekt auszuschalten. Dann sah es so aus, als ob ein gelber Strahl aus der Spielfigur rauskommt. Nach unserer ersten Reaktion „Höhöhö, der pisst!" haben wir das auch so drinnen gelassen.

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Hat euer Spiel eigentlich eine Message?
Nein.

Gar nichts? Nicht einmal irgendetwas, um ein wenig künstlerischen Anspruch zu heucheln?
Naja, der Butcher ist die personifizierte Gier und der Drang nach sofortiger Triebbefriedigung. Er frisst endlos in sich hinein, um sich am Laufen zu halten. Reiner Selbstzweck. Er checkt halt auch einfach gar nix, kommt immer im ungünstigsten Moment und am Ende frisst er einfach alle auf. Er ist einfach ziemlich dumm. Außer, wenn's darum geht, wie er was zu Fressen kriegt. Ihm ist im Prinzip wurscht, was in der Welt um ihn herum passiert, er prüft alles nur unter dem Gesichtspunkt der Verwertbarkeit als Futter. Da kann man schon was reininterpretieren. Eine Allegorie auf die nimmersatte Menschheit vielleicht? Natürlich alles sehr tiefsinnig. Wir wollten schließlich auch unseren Beitrag dazu leisten, dass Computerspiele endlich erwachsen werden.

Wo seht ihr eure Position in der österreichischen Entwicklerszene?
Wir waren die letzten Jahre beide an der Organisation des Austria Game Jams beteiligt und da haben da ganz gute Kontakte zur hiesigen Szene geknüpft, viele nette Menschen kennengelernt. Wir sehen uns schon irgendwie als Teil der Landschaft. Nachdem wir bis jetzt Spieleentwicklung nicht hauptberuflich betrieben haben, ist es aber schwer zu beantworten, wo wir uns sehen. Keine Ahnung—wir machen weiter unser Ding und das Spiel ist bald fertig. Fragt uns einfach nach dem Release von Atomic Butcher: Homo Metabolicus nochmal.

Ich will es jetzt schon spielen!
Wir planen, Testversionen von AB:HM beim diesjährigen /slash-Filmfestival zu zeigen. Dort kann man es dann mal anspielen. Mit etwas Glück schaffen wir es auch auf die Vienna Comic Con. Wenn alles gut geht, können wir Ende 2015 das Spiel für Windows, Mac und Linux releasen.

_Mehr zu Das Humankapital und _Atomic Butcher: Homo Metabolicus_ gibt es hier._

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