Es ist nicht leicht, ihn auf Anhieb zu finden. Ikke Hüftgold, den Schlagerstar, der auf dem Plakat der "Karnevals-Fiesta" in einer Kölner Eventlocation beworben wird. Denn neben ihm, dem Original-Ikke, haben sich am Karnevalssamstag ein gutes Dutzend junge Männer in "sein" Kostüm geschmissen (schwarze Perücke, Fussball-Trikot) und trinken sich als Ikke-Double neben Jet-Piloten, Königspinguinen oder Sangria-Eimern warm.
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Das 10-Liter-Kölsch-Fässchen kostet heute 90 Euro und an den Stehtischen neben der Bühne wird bereits ordentlich gebechert. Ein junger Mann, dessen T-Shirt ihn als "Bierkapitän" ausweist, schenkt freudig aus. Es ist 19:30 Uhr. Zweieinhalb Stunden noch bis zum Auftritt von Ikke Hüftgold. Neben ihm stehen am heutigen Abend Szenegrößen wie Lorenz Büffel ("Johnny Däpp") und Frenzy Blitz ("20 Zentimeter") auf der Bühne.Ikke Hüftgold ist eine Kultfigur in der deutschen Partyschlagerszene, der mit Songs wie "Dicke Titten, Kartoffelsalat", "Modeste", "Saufen ist scheiße, doch wir machen's trotzdem" und nicht zuletzt seinem politisch nicht ganz korrekten Song zur Fußball-WM 2014, "Die Gauchos gehen so", auf sich aufmerksam machte. Mit seiner schwarzen Zottelperücke, Fußballtrikot und einer nach außen getragenen Alles-eh-egal-Haltung verkörpert er so etwas wie die letzte Entwicklungsstufe des deutschen Ballermannproleten.
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Doch wer steckt eigentlich hinter der Bühnenfigur Ikke Hüftgold? Und warum feiern ihn so viele?19:30 Uhr. Zweieinhalb Stunden vor seinem Auftritt. Ikke Hüftgold sitzt im grau gestrichenen Backstage-Bereich und hält eine halbleere Flasche San Miguel in der Hand. Mit der anderen Hand pult er einzelne Konfetti-Schnipsel aus seiner Perücke heraus.Die kam bereits am Vormittag zum Einsatz. Bei einem Karnevalsumzug in der Nähe von Köln, wo er auf einem Umzugswagen stand und das gemacht hat, was Ikke Hüftgold eben am besten kann: Lieder über das Trinken und Feiern zum Besten geben und die Leute damit unterhalten. Ein "Riesenspaß" sei das gewesen sagt Ikke, der sich als Matthias vorstellt und dessen hessischer Akzent unüberhörbar ist.
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Doch wer steckt eigentlich hinter der Bühnenfigur Ikke Hüftgold? Und warum feiern ihn so viele?
Schuld ist eine Wette um einen Ballermann-Hit und einen Kasten Bier
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Matthias Distel ist die Person hinter Ikke Hüftgold. Ein netter, kahlköpfiger Mann mit sanfter Augenpartie, der mit einer sonoren Stimme spricht und im Gespräch eher so wirkt, als würde er Sonntags in einer Stadtbücherei Kindern Abenteuergeschichten vorlesen, als angetrunkenen Junggesellen vorsingen, wie geil Saufen und Party ist.
Dieser Vergleich ist gar nicht mal so weit hervorgeholt. Distel hat tatsächlich früher mal Kinderhörspiele produziert. Eines dieser Hörspiele führte schließlich zu der Wette, die den Grundstein für seine spätere Bühnenkarriere legte. Ein Freund fragte ihn, ob er sich auch zutrauen würde, einen Ballermann-Hit zu schreiben. Distel, der damals noch in einer Rockband aktiv war, verachtete Partyschlager aufs Äußerte. Er könne das natürlich, sagte er. Wolle aber nicht. Er wette totzdem, um einen Ballermann-Hit und um einen Kasten Bier. Das Bier und die Wette wurden gewonnen, der Hit war fertig und jetzt sei man eben hier, sagt Matthias. Die Konfetti-Schnipsel sind mittlerweile aus der Perücke herausgepult.Geplant sei das alles nicht gewesen. Nach Abitur und Studium gründete Matthias Distel zunächst einen Gartenbaubetrieb in seiner Heimatstadt und ist bis heute als Geschäftsführer tätig. "Das ist eben mein Vorteil", sagt er und nimmt einen Schluck von seinem Bier. "Ich habe immer meine Arbeit im Betrieb. Mein Back-Up." Wenn der ganze Ballermann-Rummel von heute auf morgen wegfällt, würde er eben den Job machen, den er außerhalb der Saison sowieso machen würde.
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Seine Figur sei aber eben oft auch eine Gratwanderung, sagt er und schaut durch den Raum. Als Schlagerstar ist er viel unterwegs und hat immer die Aufgabe und auch den Anspruch die Leute zu unterhalten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Da sei es schon schwierig eine private Balance zu finden, sagt der mittlerweile geschiedene zweifache Familienvater und schweigt. Dann sagt er: "So, können wir jetzt saufen oder was?" Verwandlung abgeschlossen.Mit erhobenem Mittelfinger betritt Ikke gegen 22 Uhr schließlich die Bühne und poltert den etwa zweihundert verkleideten Zuschauern zu: "Na?! Wer von euch ist schon besoffen?!" Anschließend fragt er eine Zuschauerin, ob sie sich live auf der Bühne ausziehen will. Die Menge tobt und klatscht Beifall. Sie will allerdings nicht.
"Wer von euch ist schon besoffen?"
So erinnert der Auftritt von Ikke Hüftgold in den ersten Minuten an die Instagram-Story von Michael Wendler. Eigentlich will man nicht hinsehen aber muss es dann irgendwie doch, auch weil das schrecklich Schlimme eine seltsam faszinierende Anziehung ausübt.Das kölsch-beseelte Publikum streckt dem Schlagerstar ebenfalls die Mittelfinger entgegen. Allen voran der Bierkapitän, der das 10-Liter-Kölsch-Fässchen mittlerweile wie einen kleinen Goldschatz bewacht. Daraufhin streckt Ikke den Zuschauern ebenfalls wieder seinen Mittelfinger entgegen. Niemand weiß in diesem Moment, wogegen genau hier eigentlich rebelliert wird und wem diese Anti-Haltung, in diesem verwinkelten Kölner Club gilt, aber das ist gerade auch egal. Der Abriss, die Party, der wummernde Sound der aus den Boxen dröhnt, das ist jetzt wichtig. Ikke stimmt seinen bekanntesten Song an. " Dicke Titten Kartoffelsalat".
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