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RECHTS: Ein Demonstrant bei einem der abendlichen Protestmärsche in Sofia, auf denen der Rücktritt des aktuellen Ministerpräsidenten Plamen Orescharski gefordert wirdAls ich im Juni in die bulgarische Hauptstadt Sofia reiste, marschierten jede Nacht Tausende durch die Straßen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Demonstranten ihre Forderungen bereits verschärft und forderten nun auch den Rücktritt von Ministerpräsident Orescharski. Im Gedenken an den Mann, dessen Selbstverbrennung 1969 den Anfang vom Ende des Sowjetregimes in der Tschechoslowakei markiert hatte, wurde Plamen von den Menschen als „bulgarischer Jan Palach“ gefeiert.
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Dimitar Dimitrow: Dieser Tag nahm seinen Anfang vor 23 Jahren [mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regierung 1989]. Unsere Regierung—erst die Kommunisten, später dann die „demokratischen“ Politiker—hat stets Verbindungen zu den Oligarchen, der Kriminalität, inkompetenten Leuten unterhalten. Im Kommunismus musste ich jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen, um für Milch und Brot für mein Kind anzustehen. Unter dieser Regierung war ich Schmied, bis meine Werkstatt den Betrieb einstellte. Die Arbeit, die meine Familie ernährte, war futsch. Dann wurde der Strom unerschwinglich. Im Kommunismus hatten wir Geld, aber nichts zu kaufen. Jetzt gibt es alles zu kaufen, aber kein Geld. Es ging immer weiter bergab, und schließlich konnte ich nicht mehr.
Was lieferte den letzten Anstoß?
Ich hatte die Entscheidung am Tag zuvor getroffen. Der Ministerpräsident [Bojko Borissow] war gerade zurückgetreten, Neuwahlen wurden angekündigt und ich hatte die Nase voll. Also beschloss ich, mir vor dem Sitz des Präsidenten das Leben zu nehmen. Ich wurde früh wach und trank einen Kaffee mit meiner Frau. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, aber ich habe ihr nichts davon gesagt. Ich war ganz ruhig. Anschließend ging ich in einen Laden und kaufte ein Bier, das ich mit meinen Nachbarn trank. Dann ging ich zur Tankstelle und zapfte etwas Benzin in eine leere Wodkaflasche. Ich stieg in den Zug zum Zentrum und als ich dort ankam, bin ich eine Weile umhergegangen. Es war etwa zehn Uhr morgens und ich bin bis halb zwei nachmittags umhergelaufen. In dieser Zeit habe ich noch allein ein Bier in einer fremden Bar getrunken. Ich habe eine Tochter, und ich musste an sie denken. Es ist nicht so, dass ihr Leben so schlecht ist, aber ich möchte, dass sie ein Leben führen kann wie amerikanische Mädchen. Ich dachte, wenn sie ein besseres Leben haben könnte, wäre es das wert, dass sie keinen Vater mehr hätte. Man kann nicht in ständiger Stagnation leben. Schließlich ging ich zum Sitz des Präsidenten und stellte mich vor das Gebäude. Ich nahm die Flasche mit Benzin und goss sie mir über Brust und Kopf. Ich zündete das Feuerzeug. Ich habe [als Schmied] mein ganzes Leben mit Feuer gearbeitet, aber dieses Mal gab es eine große Feuerkugel und ich bekam Angst. Ich schrie vor Schmerzen. Ich war überrascht, dass es sofort wehgetan hat. Hast du dich schon mal an einem Tropfen heißen Öls aus einer Bratpfanne verbrannt? Es war, als wäre ich in einer Bratpfanne. Mein Kopf, das Gesicht, Schultern, Hände, einfach alles. Dann hörte ich, wie Leute riefen: „Der Mann hat sich angezündet!“ Das waren die Sicherheitswachen und sie kamen sofort mit Feuerlöschern zu mir und versuchten, das Feuer zu löschen. Zu dieser Zeit hatte es bereits so viele Selbstmorde gegeben, dass sie vorbereitet waren. Sie hatten Angst davor, dass jemand das tun würde, was ich getan hatte. Also löschten sie mich. Irgendwann verlor ich das Bewusstsein und wachte im Krankenhaus wieder auf. Ich überlebte, weil die Wachen so schnell gewesen waren und das Krankenhaus in der Nähe lag, aber ich kann mich an nichts erinnern. Ich lag eine Woche im Koma. Als ich aufwachte, sah ich furchtbar aus. Ich habe mich selbst mit dem Handy fotografiert. Ich habe es bei dem Versuch, ein gutes Foto zu machen, fünf Mal fallenlassen. Ich hatte keine Haut. An meinen Armen konnte man die Knochen sehen. Ich besaß keine Lippen mehr. Ich sah grotesk aus, wie Quasimodo. Als ich das Foto sah, dachte ich, jetzt müsste ich irgendwo in einem Dorf in der Wildnis ganz für mich allein leben. Ich sah aus wie ein Vampir. Ich habe nicht geglaubt, dass es mir je wieder besser gehen könnte. Doch im Pirogow-Krankenhaus, wo ich mich erholte und operiert wurde, hat mich der Gesundheitsminister jeden Tag besucht. Die Schwestern erzählten mir, ich stünde unter dem Schutz des Präsidenten. Das hieß, dass ich überleben musste. Selbst wenn sie mich dazu nach New York fliegen mussten, was sie getan hätten. Ich musste leben, denn wenn ein Mensch vor dem Sitz des Präsidenten stirbt, dann sind das schlechte Nachrichten. Ich hatte kein Recht zu sterben. Und so überlebte ich. Danach hat die Regierung meine persönliche Website stillgelegt, sie ließen außerdem meine Profile in sozialen Netzwerken wie Facebook löschen, sie löschten alles, überall. Ich gelte als „gefährlich“ und man hat Angst, dass ich andere anstifte. Warum hast du dich für Feuer entschieden? Warum nicht für eine Schusswaffe?
Ich wollte nicht einfach nur Selbstmord begehen. Es gab all diese Proteste—und es gibt sie noch—und nichts wird getan. Nichts ändert sich. Ich erwarte nichts mehr von den bulgarischen Politikern. Ich hatte gehofft, dass die Welt, Menschen wie du, ein wachsames Auge auf unser Land richten würden. Als Plamen Goranow Selbstmord beging, hat er den Bürgermeister von Warna mit seiner Selbstverbrennung gestürzt. Ich wollte das ganze System stürzen. Noch mehr Einblicke in die Welle der Selbstverbrennungen in Bulgarien erhaltet ihr in unserer Dokumentation The Burning Men of Bulgaria, die diesen Monat auf VICE.com zu sehen ist.Mehr aus der Ausgabe:Wie tötet man die Riesenkatzen in Australien? Natürlich mit Riesenhunden!Ein geheimes Gefängnis in El SalvadorDer König des Cannabis