Ich will diesen „Warum ich XY scheiße finde”-Artikel nicht so wie die meisten anderen aus dieser Reihe beginnen. Ich suche mir keine möglichst skurrile Metapher, um irgendwie in den Text rein zu finden. Ich schreibe auch keinen Disclaimer in die ersten zwei Absätze, in dem ich betone, dass ich meine Heimatstadt eh gar nicht so arg finde, damit ich beim nächsten Aufenthalt nicht eine aufs Maul bekomme. Innsbruck hat das—im Gegensatz zu Linz oder Salzburg—gar nicht so dringend nötig.
Man kann dieses Städtchen ganz einfach zusammenfassen: Innsbruck ist Wintersport. An diesem Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen österreichischen Städten ist nicht zu rütteln. In kaum einer anderen Stadt lebt man so für Wasser in seinem wunderbarsten Aggregatszustand: Fest. Der Winter ist überall. Man kann selbst im Sommer mit seiner Winter-Saisonkarte in Frei-, aber mehr noch in Hallenbäder gehen, weil es auch in der warmen Jahreszeit oft arschkalt und/oder verregnet ist. Aber dazu später.
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Deswegen wird man sich früher oder später die Frage stellen, ob das Unikat „Wintersport in einer halbwegs urbanen Umgebung” wirklich ausreicht, um sein Leben lang im „Herz der Alpen” (© Tirol Werbung) zu verbringen. Viele haben diese Frage schon mit Nein beantwortet und sind nach Wien, München, Salzburg (WARUM AUCH IMMER?) oder sonst wohin verzogen. Irgendwann reicht es nicht mehr aus, dass man in 20 Minuten von der Stadtmitte auf die Seegrube kommt. Auch wenn dort fünf Mal im Jahr 70 Zentimeter Fresh Pow—sagt man das heute noch? Hat man das jemals gesagt?—liegen.
Dann beginnt einem langsam zu dämmern, dass es mehr gibt als den Patscherkofel im Süden, die Seegrube im Norden, den Baggersee im Osten und verrückt sprechende Leute im Westen. Hier noch einige Brandbeschleuniger für die auf Sparflamme glimmende Erkenntnis, dass Innsbruck einfach nicht die großartige Weltstadt ist, für die sie sich zu verkaufen probiert:
Die Tiroler Sauproleten
Zugegebenermaßen—die gibt es nicht nur in Innsbruck, sondern im gesamten Heiligen Land. Und doch: Die Innsbrucker Familie, die ich am Gate F14 am Flughafen in Schwechat vor einiger Zeit beobachten und vor allem belauschen durfte, war so beispielhaft für all das, was mich an Tirol und Innsbruck mächtig stört.
Offensichtlich waren sie gerade auf Hauptstadt-Urlaub und nun auf der Rückreise. Mit einer Laune, die mich an die Insassen der U4 am Montagmorgen erinnert. Ernsthaft: Die Leute waren gerade in einer der schönsten Städte Mitteleuropas—vermutlich der Welt—und der Familienvater hat ein Gesicht gezogen, als ob ihm gerade der Landeshauptmann von Tirol höchstpersönlich das Skifahren verboten hätte.
Der Bus, der uns zur Austrian-Maschine bringen sollte, hielt vor unserem Gate und wurde mit den Worten „Iatzt hammas g’segn. Iatz wiss ma wieda, wie schians dahoam isch”geentert. In mir stieg ein riesengroßes Protest-OIDA auf. Ist der Typ zu 200 Stunden Zwangs-U6-Fahren verdonnert worden? Musste er am Samstag im Donauzentrum ein Geschäft betreten, das gerade Sale hatte? Ich habe kurz die Welt nicht mehr verstanden.
Grundsätzlich kann ich ja nachvollziehen, wenn man einfach nicht aus seiner kleinen Welt ausbrechen will. Wenn man lieber in seinem Dörfchenwohnt, weil man dort jeden kennt und sich nicht mit der großen bösen Welt außerhalb dieses Mikrokosmos beschäftigen muss. Aber so offen vor sich hergetragene Ignoranz hat mir fast körperliche Schmerzen bereitet. Tiroler haben hier ein gewisses Talent: Die ganze Welt ist zu Gast, aber die Gäste werden gerne mindergeschätzt. Das bringt mich unweigerlich zum nächsten Punkt.
Der Wien-Hass
Ich will es gar nicht abstreiten. Auch ich war als Kind davon befallen. Leute aus der Hauptstadt waren mir einfach zuwider. Ich wusste nicht warum und habe auch keine großen Anstalten gemacht, herauszufinden woher dieser Drang kam.
Auf diesem Weg muss ich mich bei Stefanie und Xandi entschuldigen—wenn die beiden mit ihren Eltern nach Tirol auf Sommerfrische gekommen sind, dann wurden sie die ersten Tage wie Aussätzige behandelt. Erst nach ausgiebigem Abtasten war man dann doch froh, dass jemand mit anders lautendem Nachnamen im Dorf war.
Aber wie soll es in einem Bundesland anders sein, wo diverse Fanartikel mit dem Spruch „Tausche Wien gegen Südtirol” angeboten werden, am Brenner ein „Südtirol ist nicht Italien”-Schild steht und das Polohemd mit Tiroler Adler und „Dem Land Tirol die Treue”-Stickerei zum guten Ton zählt? Jap, der Horizont ist nicht nur in den Tälern, sondern auch in Innsbruck etwas enger gefasst.
Der Deutschland-Hass
Nicht nur die Wiener, auch unsere Lieblingsnachbarn im Norden bekommen in Tirol und Innsbruck ihr Fett ab. Besonders augenscheinlich wurde das während des Sommermärchens, auch bekannt als die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.
Bis dahin kreuzbraver Tiroler, war mir jeder Mitbürger, der auch nur den Anschein machte, ursprünglich aus einer Ortschaft nördlich von München zu stammen, einer zu viel. Das änderte sich mit meiner Volljährigkeit. Nicht, dass das auch nur irgendwas zu meiner geistigen Reife beigetragen hätte, aber der Entschluss, das Elternhaus zu verlassen und in eine WG zu ziehen, die unter anderem auch deutsche Mitbewohner beheimate, ließ mich etwas von meiner Fundamentalposition abkehren. Deutsche wurden ab diesem Zeitpunkt geduldet.
Und dann war es da: Das Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Costa Rica. An einem lauen Sommertag in Innsbruck. Die ganze Stadt war auf den Beinen—die deutschen Gaststudenten mit einer gewissen Erwartungshaltung. Was den Ureinwohnern in etwa so missfallen hat wie eine Gastroskopie ohne Vollnarkose.
Am Marktplatz versammelte sich die halbe Stadt zum Public Viewing. 5.000 Leute. 1000 davon auf der Seite Deutschlands. Und der Rest: Österreicher, die zu Costa Rica hielten. Als Costa Rica in der 12. Minute zwischenzeitlich ausgleichen konnte, war die Reaktion der Mehrheit der Fans weniger Freude für Costa Rica, als Häme und Hass (ja, HASS) gegenüber den deutschen Mitbürgern.
Diese Situation werde ich nie vergessen. Es war der Moment, in dem mir der ganze Wahnsinn zu viel wurde. Das Spiel habe ich mir natürlich noch fertig angeschaut. Aber das Erste, was ich gemacht habe, als ich nach Hause gekommen bin, war die Bestellung beim Online-Händler meines Vertrauens: Deutschland-Trikot, Rückennummer 13, Michael Ballack. Wenn man schon gegen den Strom schwimmt, dann richtig.
Mir ist durchaus bewusst, dass auch Restösterreich gewisse Vorbehalte gegenüber diesen Leuten hat, die penibel nach der Schrift sprechen. Aber der Tiroler und Innsbrucker—natürlich auch der weibliche—hatte schon immer einen Drang, noch eins draufzusetzen. Dabei sollten wir vielleicht ein wenig demütig oder zumindest dankbar sein. Die Deutschen haben zu unserem wirtschaftlichen Aufschwung maßgeblich beigetragen. Ohne Tourismus würden wir vermutlich immer noch unsere Kinder ins Schwabenland schicken und verarmt in unseren Tälern der Landwirtschaft nachgehen. Dann hätte der neidische Blick Richtung Norden wenigstens eine Grundlage. Aktuell ist er einfach nur peinlich.
Der Sommer
In der Einleitung habe ich schon angedeutet, dass der Sommer in Innsbruck eine untergeordnete Rolle spielt. Man könnte zwar auch im Sommer dem Wintersport frönen—der Gletscher ist schließlich ganzjährig geöffnet. Da hängen aber mehr die nördlichen Lieblingsnachbarn ab, die—wenn es nach dem Tiroler gehen würde— dort gar nicht sein sollten. Deswegen verbringt man den Hochsommer mit seinen Shred-Homies am liebsten in Sri Lanka oder Bali, um dort seine schwere Abhängigkeit mit der Ersatzdroge Surfen zu stillen. Alternativ kann man ihn auch in diversen Summer-Camps auf französischen Gletschern oder in den USA verbringen.
Ohne Boardsport-Konnex läuft also gar nichts. Verständlich: Innsbruck ist im Sommer ausgestorben. Die Hälfte der Studenten vertschüsst sich in die Heimat—also nach Südtirol, Vorarlberg oder Deutschland. Somit ist ein Viertel aller Einwohner nicht in der Stadt und die Innsbrucker sind dann unter sich.
Ganz ehrlich: Das ist nicht besonders lustig. Vor allem, weil man jeden Zweiten kennt und mit jedem Dritten über drei Ecken verwandt und/oder verschwägert ist. Eine gewisse Monotonie macht sich breit. Die Lokale sind selbst an Samstagen maximal halb gefüllt und die Stimmung am Tiefpunkt. Deswegen passt es auch recht gut, dass es im August bis auf die Hungerburg hinunterschneien kann. Hab ich schon erwähnt, dass der Sommer in Innsbruck ein Katastrophe ist?
Das „Hofgarten”
Eigentlich hätte ich den Namen von dem besagten Etablissement galant umschreiben können und trotzdem hätte jeder gewusst, dass es um das Hofgarten-Café geht. Aber ich wünsche mir inständig, dass ich mit diesen paar Zeilen Hausverbot bekomme und dadurch nie wieder einen Fuß über die Schwelle dieser Ausgeburt der Hölle setzen muss. Deswegen meine direkte Botschaft an dich, lieber Hofgarten:
Ich kann deine Musik, deine Einrichtung, deine Getränke, deine Tür-Politik und auch sonst nichts an dir ausstehen. Die schlimmsten Momente hast du mir beschert, als der grenzdebile DJ (der in Österreich ansonsten nur in den ärgsten Dorfdiscos oder beim BE LOVED im Volksgarten an die Turntables darf) anstatt der Original- lieber bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Techno-Versionen von „Wonderwall” und „Mr. Brightside” aufgelegt hat.
Mein Gott! Es ist keine Raketenwissenschaft, was sich dort hinter den zwei runden und drehenden Dingern abspielt. Aber wenn du, lieber DJ, wirklich der Meinung bist, dass du Musik, die eh schon Niveau-Limbo tanzt, noch weiter verunstalten musst, dann machst du das in Zukunft hoffentlich ohne meiner Anwesenheit. Danke.
Vielen wird jetzt der Gedanke kommen: Warum in aller Welt—wenn das Ding wirklich SO furchtbar ist—geht er dann dorthin? Das hat wiederum mit diesem Sommerloch zu tun. Es ist nämlich eine Innsbruck’sche Anomalie, dass der einzig halbwegs funktionierende Ausgehtag der Woche auf den Dienstag fällt. Und wohin gehen am Dienstag alle? Genau. In den Hofgarten. Hat vielleicht auch mit dem Umstand zu tun, dass sich viele Mädels aus den USA, die gerade auf Summer School in Innsbruck sind, dort tummeln und man—wie schon mehrmals erwähnt—froh ist, wenn man jemanden trifft, der außerhalb des 3. Verwandtschaftsgrades liegt.
Wem das noch nicht reicht, der kann sich auch an der restriktiven Türpolitik stoßen. Weiße Dreiviertel-Bermudas mit weißen Puma-Sneakern gehen durch, aber 30 Grad und Tank-Top: Absolutes No-Go. So weit sind sie dann in Innsbruck doch noch nicht. Migrationshintergrund soll übrigens auch nicht der größte Vorteil sein, aber da ist der Hofgarten nicht alleine.
Nachdem ich mich jetzt in mäßig talentierter Storytelling-Manier von einem Punkt zum nächsten gehangelt habe, noch zwei Punkte, die mir nirgends rein gepasst haben und die trotzdem gesagt gehören:
Die Powder Nazis
ALTER. Du Vollidiot bist nicht der einzige, der gerne die erste Spur in die Kar-Rinne ziehen will. Ich weiß, dein geiler Powder-Ski mit Rocker-Shape würde den Fresh Pow wirklich hart schlitzen und deine Powder-Sprays sind so hoch, dass sie die Sonne über Innsbruck verdunkeln.
Aber das gibt dir, VERDAMMTE SCHEISSE, nicht das Recht, in der Gondel jedem deine Ellbogen in den Rücken zu rammen, um als Erster einen Sprint, der Usain Bolt mit offenem Mund zurückgelassen hätte, in Richtung der tief verschneiten Rinne hinzulegen. Wenn du dich im Gelände halbwegs auskennen oder Lines fahren würdest, die sich andere gar nicht zutrauen, hättest du das alles nicht nötig. Du bist der Hummer-Besitzer unter den Skifahrern.
Das TT-Forum
Die Tiroler Tageszeitung—oder Trottel Times, wie sie manchmal augenzwinkernd genannt wird—hat sich von einem eher belächelten Verkündigungsorgan zu einer soliden Lokalzeitung mit Österreichbezug gemausert. Eine Entwicklung, die einem Teil ihrer Leser leider verborgen blieb. Vielleicht hat die Geschäftsführung aber einfach darauf vergessen, diese Seriosität auf allen Kommunikationskanälen konsequent durchzusetzen. Der Auftritt im Internet hinkt dem des Printproduktes noch um einiges hinterher.
Die Skurrilität dessen, was Leute – mit KLARNAMEN!!1!1! – auf der Facebook-Seite der TT von sich geben, findet man sonst nur in Weltverschwörungs-Gruppen à la Informationen, die uns Massenmedien vorenthalten !!!
Godwin’s Law besagt, dass es in einer Diskussion zu einem Zeitpunkt zu einem Nazi-Vergleich kommen muss. Daraus leitet sich das TT‘sche Gesetz ab, das besagt, dass es innerhalb von fünf Kommentaren im breitesten Tirolerisch zu einer Verfluchung von Ausländern, Verwünschung der Lügenpresse oder einer Teilschuld der amerikanischen Regierung an allem auf der Welt durch den Einsatz ihrer Chemtrail-Bomber kommen muss.
Wenn man sich öfters mit den dort abgegebenen Wortmeldungen auseinandersetzt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich längere Aufenthalte über einer Seehöhe von 500 Metern schädlich auf das menschliche Gehirn auswirken. Ein Gegencheck mit den Kommentaren auf der Website der Kronen Zeitung lässt diese Annahme aber schnell wieder ins Reich der Träumen verschwinden—in ganz Österreich gibt es Vollidioten.
Die Liebe
Und jetzt, nach der Kindsweglegung, komme ich am Ende doch noch zu meiner Liebeserklärung an dich, mein Innsbruck: Denn trotz aller dunkler Seiten, miesen Lokale, nicht vorhandenen Kultur- und Freizeitmöglichkeiten, fehlender Abwechslung, mangelnder Urbanität und deinem jahrelangen (und deswegen umso kläglicheren) Versuch, dich als Weltstadt zu promoten, bist du mir in meinen ersten 25 Lebensjahren ans Herz gewachsen. Ich komme dich und deine wilden Einsiedler gerne besuchen. Aber wohnen will ich nicht mehr in dir, du Mittelding aus größerem Dorf und kleinerer Stadt.
Simon auf Twitter: @SimonTartarotti