Hast du dich schonmal unwohl in deinem eigenen Körper gefühlt? Der Begriff des Body Shaming taucht meistens nur im Kontext von Frauen auf, an Männern perlt er vermeintlich ab. Sucht man bei Instagram nach dem Hashtag #bodyshaming, finden sich annähernd 20.000 verschiedene Bilder. Die allermeisten zeigen Frauen- und Mädchenkörper und weisen auf falsche Rollenbilder hin. Thigh Gap, Körpergewicht und Anorexie sind (nicht nur) auf Instagram klare Frauenthemen. Leben junge Männer im zufriedenen Einklang mit ihren Speckröllchen und lassen sie Schönheitsideale links liegen, während junge Frauen vor der Sucht nach Makellosigkeit gebremst werden müssen?
So ganz stimmig ist die Frage ja sowieso nicht. Wenn man sich etwas in der männlichen Popkultur umschaut, tragen selbst jugendliche Rolemodels wie Justin Bieber heute ein gestähltes Sixpack. Kurze Erinnerung: Weder Justin Timberlake noch Aaron Carter hatten einen besonders spektakulären oder erwähnenswerten Körper. „Did they even lift?”, höre ich Justin fragen. Irgendwas muss sich geändert haben.
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Wahrscheinlich hat es auch was mit dem Internet zu tun, dass wir auf Myspace angefangen haben, unsere Körper zur Schau zu stellen und mit Instagram und Snapchat auf einer aktuellen Spitze schwimmen. Das Teilen des eigenen Körpers mag bei vielen nicht unbedingt etwas mit Narzissmus zu tun haben, sondern vielmehr mit neuen Wegen zu kommunizieren. Das Beobachten des eigenen Körpers durch Abfotografieren als reine Selbstdarstellungssucht abzutun, ist vielleicht zu schnell behauptet.
Dennoch hat es einen unweigerlichen Effekt auf uns, wenn wir ständig umgeben sind von den besten Foto-Ausschnitten von Menschen. Scrollt man sich durch seinen Instagram-Feed, herrscht eine relativ generische Ästhetikvorstellung des perfekten Körpers. Fit, schlank und muskulös sollte er sein. Wenn ein Marathon vorbei ist und keiner etwas über ihn auf Facebook gepostet hat, sind wir ihn dann gelaufen?
Unserer Generation wird ja immer nachgesagt, dass wir individuell behandelt werden und uns einige Dinge nicht sagen lassen wollen. Das stimmt auch. Aber dass darunter auch das Paradigma der fehlenden Disziplin fällt, kann ich so nicht bestätigen. Was irgendwo zwischen der Abschaffung der Wehrpflicht, der letzten WG-Party und dem nächsten Open Air in Deutschland für tot erklärt wurde, manifestiert sich heute an anderen Stellen. Wer sagt, dass die Generation Y faul und verloren sei, sollte sich mal ihre Fitness-Stats auf Runtastic, Freeletics und dem smartphone-eigenen Health Center anschauen. Mancher Score knackt da so einige Fruit Ninja-Highs.
Fitness ist Volkssport und die Fitnessstudios dieser Welt sind fester Teil der modernen Städte geworden—was früher versteckt in der Seitengasse zwischen Bäckerei und Schuhgeschäft stattfand, ist heute heute Alltag in Flutlicht-Fitnesstempeln.
Dort gehen die wenigsten noch wirklich an schweres Gerät, denn Yoga- und Spinning-Kurse, kostenlose Sauna-Benutzung und „Fruit-Flavoured-Wasser-Spender” haben aus der Boxstube für Muskelaufbau „Wellness Center for Health and Fitness” gemacht. Aus Muckibude wurde sozialer Treffpunkt.
Der Mann trainiert nicht mehr mit abgewetzten Boxschuhen wie in den Rocky-Filmen—Die Geschlechter kommen sich was die Fitness angeht schwer entgegen. Männer gehen genauso wie Frauen in Bauch-Beine-Po-Kurse und greifen seltener zu schweren Gewichten.
Self-Improvement-Kurse verkaufen das Gefühl, über den gestählten Körper zum Glück zu finden. Apps wie Freeletics oder Runtastic wollen gar nicht mehr nur deinen Körper trainieren, sondern dich als Person glücklich machen. Das übersetzte Mission Statement: Du kannst nur dann im Einklang mit dir selber sein, wenn du so aussiehst wie die Jungs auf den Bildchen.
Übungen wie Burpees hören sich an wie neue Smoothie-Mischungen. Heute schon den Kipping Bar Muscle-Up gedroppt? Generell wird ja mittlerweile jede Tätigkeit als Sport angesehen: „Schnell zum Crossfit ins Berghain und dann noch auf ein Stündchen Step Up in die Panorama Bar?”, fragte mich ein Freund vergangene Woche via Whatsapp.
Spaß beiseite. Es ist ja spannend zu beobachten, dass der extrem dünne oder dicke Körper heute nicht mehr als ideal schön gilt—das mitteleuropäische Schönheitsideal ist Normcore mit Waschbrettbauch und fast jeder kann das Ziel erreichen—vorausgesetzt er setzt sich selbst genügend unter Druck. Das ist cleveres Zielgruppen-Marketing, denn sowohl sehr dünne Menschen als auch sehr dicke Menschen sollen, mit den richtigen Tricks und Kniffen, diese Ziele erreichen können.
Und klar—fit sein ist ein klasse Gefühl. Wenn man 10 km joggen war, fühlt man sich gut, das hat wenig mit Werbung zu tun. Dass das Training am eigenen Körper bis zu einem gewissen Grad gesund ist, möchte ich auch auf keinen Fall verneinen. Gesunde Ernährung und ein dichter Trainingsplan machen aus uns bestimmt gute Arbeitsmaschinen.
Nach dem Philosophen Helmuth Plessner haben wir ein ambivalentes Verhältnis zu unserem Körper: Auf der einen Seite besitzen wir ihn und auf der anderen Seite sind wir abhängig. Übersetzt heißt das: Unser Körper gehört uns allein und wir können damit anstellen, was wir wollen—my body is my temple. Aber unser Körper tut auch eben das mit uns, was er selbst will. Nicht nur können Krankheiten, Fehlbildungen und Unfälle uns daran hindern, unseren Idealen zu entsprechen. Unser Knochenbau und Stoffwechsel machen es uns manchmal einfach nicht möglich, eine gewisse Leistung zu erreichen.
Ich selbst bin 189 cm groß, wiege mehr oder weniger 78kg und ich gebe zu, dass ich mich mit mehr Sport wahrscheinlich besser fühlen würde. Als ich mit 16 mit Sixpack vor dem Spiegel stand, hat mir das extrem gut gefallen. Heute würde ich meinen Körper als durchschnittlich bezeichnen. Ich könnte mehr Laufen gehen und öfter mal den Döner weglassen. Wahrscheinlich würde mich das auch tatsächlich glücklicher machen. Dazu rauche ich auch noch, an Wochenenden sehe ich zum Teil aus wie eine alte Dampflok, die durch den wilden Westen rast. Dabei erwische ich mich selber immer öfter bei dem Gedanken, wann ich denn endlich aufhöre.
Es ist vieles richtig, richtig gut an der aktuellen Fitness- und Gesundheitsbewegung. Dass es eben aber auch glücklich macht, mir morgens um vier noch ein halbes Brathendl beim Imbiss auf dem Nachhauseweg einpacken zu lassen, soll mir bitte keiner nehmen. Und wenn jetzt jemand damit um die Ecke kommt, dass „Laster ja ab und zu voll normal und OK sind”, möchte ich „Mein Gott, ich will das Hendl aber nicht als Laster ansehen. Ich esse das einfach gern.” zurückrufen—mit glänzenden, zum Victory-Zeichen erhobenen Fettfingern.
Jetzt werden Einige sagen: „Es gibt doch den Dadbod, sei doch einfach mal zufrieden!” Aber dass man den normalen Körper eines Mannes als Dadbod bezeichnet—also damit vor allem das süße Faulenzertum anspricht und den Hang-Loose-Schmerbauch en vogue machen möchte, ist im Prinzip dasselbe, wie die Fitness-Bros als Nonplusultra darzustellen.
Es ist schön, dass man die Aufmerksamkeit wieder auf den Normalo lenken möchte. Aber wie das mit im Internet geborenen Begriffen nunmal so ist, kann man sie häufig nicht so ganz ernst nehmen. Der Dadbod feiert nicht den Standard, sondern das Relaxo-Gegenteil des muskelbepackten Sportpakets.
„Ihr Männer seid so faszinierend, weil ihr mit eurem Körper so gut leben könnt”, hat mir mal eine Freundin gesagt. Klar, bei der Aussage war auch der ein oder andere Moscow Mule im Spiel, aber ihr Satz zeigt das Gesellschaftsbild ganz gut, was von Männern existiert.
Männer sind aber nicht mehr oder weniger unsicher und penibel als Frauen, wenn es um ihren Körper geht. Vielleicht ist das Gefühl, den Ansprüchen nicht zu genügen, in manchen Situationen noch präsenter. Das mag daran liegen, dass wir Männer noch relativ frisch in der Position sind, unseren Körper so oberflächlich wahrzunehmen wie Frauen, die wir ja augenscheinlich selber jahrzehntelang in eben dieses Rollenkorsett gepresst haben. Ganz schön blöd, auf mehreren Ebenen.
Harsh, 24, Student. „Ich habe mein ganzes Leben lang Sport geliebt, früher war ich Kickboxer. Aber ich habe auch mal nur 45 Kilo gewogen und mich dafür geschämt. Als Mann ein XS-Shirt zu kaufen, fühlt sich einfach nicht gut an. Mit einem Fitnesscoach habe ich einen Trainingsplan entwickelt. Jetzt habe ich viele Muskeln, aber so narzistisch bin ich nicht, dass ich damit ständig prahlen möchte. Ich will mich einfach gut fühlen.”
Wir alle sollten abseits von Fitness-Hacks, Kale-Kuren und Trainingsplänen auf unseren Körper achtgeben. Aber wenn wir über Körper sprechen, geht es oft um extreme Rollenbilder. Entweder du trainierst, bis du keine Filter mehr auf Instagram brauchst, oder du identifizierst dich als Müßiggänger. Wer dazwischen liegt, hat den Druck, sich entscheiden zu müssen. Das gilt für Männer wie für Frauen. Nur spielte das beim Reden über Männerbilder bisher nie so eine wirkliche Rolle.
Wir Männer sollten damit anfangen, ehrlicher und offener zu sein, wenn es um den eigenen Körper geht. Denn nur so kann man dem Druck ausweichen, der von oben kommt und vielleicht einfach darüber lachen, wenn man das nächste Mal wieder für besonders durchschnittlich erklärt wird.