Das sagen unsere australischen Kollegen zu Sebastian Kurz’ Lob an ihrer Flüchtlingspolitik

Foto: Leigh Blackall | Flickr | CC 2.0

Austria und Australia könnten bald mehr gemeinsam haben als die Verwechslungsgefahr der Ländernamen. Wenn es nach Außenminister Sebastian Kurz geht, der vor wenigen Tagen forderte, dass sich die EU bei der Flüchtlingspolitik mehr an Australien orientieren sollte. Das heißt: Refugee-Boote abfangen und aufs offene Meer zurückschleppen oder Geflohene in Internalisierungslager auf abgelegenen Inseln sperren.

Das ist, vorsichtig ausgedrückt, eine kleine Kurskorrektur seit Ende 2014, als Kurz im Interview noch sagte, wir hätten “zu wenig Willkommenskultur“. Manche sehen darin Einsicht, andere Opportunismus. Wieder andere sehen vor allem Ähnlichkeiten zu Hans Peter Doskozil. Der Verteidigungsminister wurde vor seiner politischen Karriere als Landespolizeidirektor im Burgenland noch für seinen humanen Kurs gelobt und fordert inzwischen ebenfalls Asylzentren in Nordafrika und Insellager nach australischem Vorbild.

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Wie jeder gute Hardliner lässt sich auch Kurz nicht von heftiger öffentlicher Kritik aus der Ruhe bringen. Erst am Montag verteidigte er seinen Vorschlag von der

Insel-Lösung”: Immerhin solle es nicht genau wie in Australien werden, sondern besser. Dass Australiens Inselkonzentrationslager vom Höchstgericht in Papua-Neuguinea als illegal bezeichnet wurden, tut anscheinend wenig zur Sache.

Außerdem gibt es ja nicht nur Kritik, sondern auch (allgemeines) Hardliner-Lob für Sebastian Kurz. Zum Beispiel von FPÖ-Chefideologe Herbert Kickl, der bereits 2015 sagte: “Wenn ich Kurz sehe und höre, denke ich mir immer, er war zuvor beim Briefing in meinem Büro.” Auch Mikl-Leitner dürfte sich in ihrer Position bestätigt fühlen, nachdem sie noch im März eine Abschreckungskampagne gegen Flüchtlinge mit Slogans wie “ÖSTERREICHS ASYLRECHT NUN NOCH STRENGER” und “ASYL NUR BEFRISTET” ankündigte—ebenfalls nach australischem Vorbild.

Es wirkt fast, als hätten wir schon jetzt mehr Gemeinsamkeiten mit Australien, als uns Touristen zugestehen wollen. Zuerst die düstere Vergangenheit, dann den Ruf als harmloses Urlaubsziel und zuletzt Hardliner in Flüchtlingsfragen. Weil wir in Österreich seit der Präsidentschaftswahl wissen, dass die Dinge aus der Nähe oft ein wenig anders aussehen als aus der Ferne und wir bei VICE zum Glück Redaktionen in aller Welt haben, habe ich mich bei unserem australischen Kollegen Julian Morgans erkundigt, wie die Flüchtlingssituation bei ihnen aussieht und wie sehr wir sie uns wirklich zum Vorbild nehmen sollten.

VICE: Wie geht Australien mit Flüchtlingen um? Was ist eure offizielle Position?
Julian Morgans: Die offizielle Position ist, dass Einwanderer und Flüchtlinge, die über illegale Wege—also per Boot—nach Australien kommen, wieder zurückgesendet oder in Lager auf hoher See abgeschoben werden. Diese Hafteinrichtungen geben vor, nur eine vorübergehende Lösung zu sein, aber in Wirklichkeit ist bisher niemand, der hier reingebracht wurde, auch wieder rausgekommen. Berichte haben der Reihe nach gezeigt, dass diese Einrichtungen Geisteskrankheiten befördern. Auch Fälle, in denen weibliche Inhaftierte von Wärtern vergewaltigt werden, gehören zur Normalität. Zusammengefasst verwendet Australien ziemlich furchtbare Lager, um Flüchtlinge davon abzuhalten, hierher zu fliehen.

Mit welchen Maßnahmen hält Australien Flüchtlinge davon ab, das Land zu betreten?
Da wir rund um uns Meer haben, ist das Ganze leider recht einfach zu bewerkstelligen. Im Wesentlichen überwacht unsere “Border Force”—das ist der etwas gruselige Name für unsere Küstenwache—die Nordgrenze mit Radar und Marineschiffen. Fast alle Boote kommen aus Indonesien über die Weihnachtsinsel, deshalb patrouillieren sie hauptsächlich in diesem Bereich.

Kannst du uns ein wenig über die Flüchtlingsinseln erzählen?
Wir halten Flüchtlinge auf drei Inseln fest: der Manus-Insel, auf Nauru und der Weihnachtsinsel. Manus ist sehr abgeschieden und liegt nördlich von Papua-Neuguinea. Hier sind keine Frauen oder Kinder untergebracht, nur zirka 1000 Männer. Zwei Insassen sind bereits gestorben; einer wurde bei einem Aufstand totgeschlagen, der andere starb an einer tropischen Infektion.

Auf Nauru ist es dasselbe, nur dass hier auch ganze Familien eingesperrt sind. Vor kurzem starb hier ein Mann, nachdem er sich vor UN-Inspektoren selbst angezündet hatte. Eine Woche später zündete sich eine junge Somalierin selbst an. Soweit ich weiß, ist sie immer noch im Krankenhaus. Eine andere Frau wurde schwanger, nachdem sie vergewaltigt worden war und ihr eine Abtreibung verwehrt wurde. Abtreibungen sind auf Nauru nämlich illegal.

Wenn man in 20 Jahren Dokus über die Flüchtlingskrise dreht, wird Österreich zu den Guten gehören. Australien wird als das absolute verfickte Böse dastehen.

Auf der Weihnachtsinsel geht es im Vergleich gemäßigter zu, weil sie bereits zu australischem Territorium gehört. Hier werden zwar auch ganze Familien eingesperrt, aber bisher gab es keine Todesfälle und nicht ansatzweise dieselbe Anzahl von Missbrauchsberichten wie auf den anderen beiden Inseln.

Was weißt du über die Deportation von Schiffen zurück auf hohe See?
Es ist ziemlich einfach. Wenn unsere “Border Force” ein Boot auffängt, eskortieren sie es zurück nach Indonesien. Wenn das Boot zu ramponiert ist, um die Reise zu überstehen, werden die Flüchtlinge in Wegwerf-Dinghis aus Glasfasern gesetzt. Sie sind orange und eigentlich als Rettungsboote für große Schiffe gedacht. Dann wird ihnen gesagt, sie sollen einfach nachhause segeln.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die Regierungsposition zu Flüchtlingen? Besonders der jüngere Teil?
Jüngere schämen sich für unser Land und sind schockiert. Ältere lieben es. Die Sache ist, dass Menschen, die Australiens offizielle Politik unterstützen, nie über die Konzentrationslager sprechen. Stattdessen verwenden alle den ziemlich plumpen Regierungsslogan, der sich irgendwie durchgesetzt hat: “Wir haben die Boote aufgehalten”.

Funktioniert das Abwehrmodell eigentlich wie beabsichtigt?
Ja, es funktioniert. Ich glaube, wir hatten seit 2014 keinen einzigen Neuankömmling. Die Kehrseite ist, dass wir zu Monstern geworden sind. Ich habe es früher sehr gemocht, Teil eines netten Landes zu sein, das man im Ausland vor allem durch seine Strände, die Kängurus und das Betrinken im Sonnenuntergang kannte. Wenn ich heute verreise, werde ich nur noch auf Rassismus und Selbstverbrennung angesprochen.

Denkst du, Österreich—oder die EU im Allgemeinen—sollte dem australischen Beispiel folgen?
Nein. Tut es nicht. Wenn man in 20 Jahren Dokus über die Flüchtlingskrise dreht, wird Österreich zu den Guten gehören. Ihr solltet stolz darauf sein und es nicht versauen. Australien wird als das absolute verfickte Böse dastehen.

Markus auf Twitter: @wurstzombie