Wonach hört sich “aktivistische Jugend im nationalrevolutionären” Lager an? Nach politischer Hands-on-Mentalität? Was es wirklich bedeutet: Mitgliedschaft bei den Jungen Nationaldemokraten, der NPD-Jugendorganisation. Schon im kurzen Vorstellungstext zum Autoren des Identitären-Lexikons, Mario Alexander Müller, wird klar: Hier werden die Sachen so hingebogen, dass sie erstmal nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben scheinen. Erstmal.
Das Ende Juli erschienene Buch ist eine Art Lexikon für die Identitäre Bewegung, 200 Begriffe aus deren neurechten Kosmos sind auf 330 Seiten alphabetisch gelistet und ideologisch angerichtet. Der Autor Mario Alexander Müller ist Kopf des Identitären-Ablegers “Kontrakultur” aus Halle an der Saale. Diese Ortsgruppe mauerte schon ein Probewahllokal für Migranten zu und veröffentlichte unter dem Label KK Songs des identitären Rappers “Komplott”. Nun hat er also noch ein Buch geschrieben, erschienen im Verlag Antaios, der auch das Skandalbuch Finis Germania oder die Ergüsse von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland veröffentlicht hat.
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Ein rechter Blog beschreibt das Buch als “Wegbegleiter”, der “identitäres Lebensgefühl” und “authentisches Widerstandsdenken” in sich versammelt. Im Vorwort des Buches schreibt der Autor, es gehe darum, das (Achtung, Lieblingsformulierung:) “subversive Rüstzeug für die Ausweitung der Kampfzone” zu liefern.
Klingt martialisch und ist es auch. Davon können auch die popkulturellen Verweise auf Bands, Filme und Autoren nicht ablenken: Die Dropkick Murphys sind gut, weil sie Volkslieder singen, der Autor Christian Kracht ist top, weil er einen Roman mit dem Titel Imperium geschrieben hat und die Turnschuh-Marke New Balance ist toll, weil es eine Traditionsmarke ist. Diese Pseudo-Leichtigkeit fehlt allerdings in den Einträgen zum “bekanntesten germanischen Heiligtum Deutschlands”, den Externsteinen, dem Philosophen Martin Heidegger oder dem Nibelungenlied.
Wir haben uns durch das Lexikon der Identitären geblättert und dabei Erstaunliches “gelernt”.
1. G wie “Großer Austausch”: Den deutschen Ureinwohnern droht das Reservat
Man könnte denken, “Großer Austausch” hat was mit einer lebendigen Diskussion zu tun. Mööp. Nicht bei den Identitären. Austausch bedeutet für sie Auswechseln und Ersetzen. Zwischen dem Eintrag zum Film Gran Torino (toll, weil es um den Kampf der Kulturen geht) und dem Eintrag “Guerilla-Marketing” (gut, weil subversiv) steht dieser Kernbegriff der Identitären. Dahinter versteckt sich die Pegida-Furcht vor der “Islamisierung des Abendlandes”. Nach quellenlosen Ausführungen zur Demografie und Geburtenrate in Deutschland dann diese finale Warnung: “Eines muss uns im Angesicht des Großen Austauschs bewusst sein: In jedem klassischen Einwanderungsland – sei es Australien, Kanada oder die USA – leben die Ureinwohner heute marginalisiert am Rande der Gesellschaft oder gleich in Reservaten. Wir sind die letzte Generation, die dieses Schicksal noch aufhalten kann.” Deutsche Aborigines und die Identitären als Advokaten der indigenen Völker? Wir hatten mit vielem gerechnet, aber damit nicht.
Wie das Arier-Reservat aussehen könnte, zeigt dieses Video:
2. S wie “Scheitel”: Der beste Beweis für Heterosexualität ist Pomade
Dieser eventuell witzig gemeinte Eintrag zum Stichwort “Scheitel” (wir haben keine Ahnung, aber möglicherweise ist das rechtsradikaler Humor) proudly presents das heteronormative Selbstverständnis der Identitären. Regel vier für den perfekten Scheitel: “Haarspray ist für Schwuchteln. Ein Gentleman benutzt Pomade.” Wir machen keinen Scherz, das steht da auf Seite 257 wirklich.
3. D wie “Dracula”: Pegidist der ersten Stunde
Der Eintrag über Dracula handelt nicht von Blut, Särgen und Holzpfählen. Es geht um eine ernste Abhandlung über das historische Vorbild von Graf Dracula. Dessen Vater gehörte nämlich dem Drachenorden an, deren Mitglieder sich der Verteidigung des Christentums verschrieben hatten. Und Dracula selbst pfählte brutal und erbarmungslos osmanische Invasoren. Dragida also. Schade nur, dass man die Fürsten der Finsternis, die montags auf den Straßen Dresdens aufmarschieren, nicht mit Knoblauch verscheuchen kann.
4. E wie “Eisenfaust am Lanzenschaft”: Dieses Lied aus dem Liederbuch der Hitlerjugend soll ein spitzen Song sein
“Wir singen es, weil es fetzt und jeder, wirklich jeder mitsingen kann!”, schreibt Müller auf Seite 74. Und, möchte man hinzufügen, weil Kriegsverherrlichung eine super Sache ist: Gepriesen wird hier “das Balkenkreuz…auf weißem Grunde”, also das Abzeichen der Ritter des deutschen Ordens. Dieses Symbol wurde auf Kriegsflaggen des Kaiserreichs und der NS-Zeit übernommen. In der letzten Strophe heißt es zum schwarzen Balkenkreuz: “Es stürmt voraus im Ritterskleid / und mahnet uns zu streiten / für die verlor’ne Herrlichkeit.”
5. H wie “Hipster”: Identitäre wollen keine Hipster sein
Ein schickes Tribal oder einfach nur das Logo der Lieblingsband tätowieren lassen? Nicht bei den Identitären, aka den Ibstern (eine Mischung aus Identitäre Bewegung und Hipster). Scheinbar gefällt es den Rechten aber gar nicht, medial in diese Ecke gepackt zu werden. Die Argumentation im Eintrag “Hipster”: “Unserer Devise heißt Tradition, nicht Trend. Wenn wir Bärte und Tätowierungen tragen, tragen wir sie wie unsere Großväter, die in Schützengraben lagen, zur See fuhren oder nach Sibirien verschleppt wurden.”
6. W wie “Wortergreifung”: Die Identitären wollen die Machter … Tschuldigung, die “Wortergreifung”
Einfach mal eine Veranstaltung crashen. Auf die Bühne springen und ein bisschen stören. Das verstehen die Identitären unter Wortergreifung: “Mit jeder öffentlichen Veranstaltung, auf der wir zu Wort kommen, zählen unsere Anliegen mehr zur gesellschaftlichen Normalität.” So hätten sie es gerne. Die Wirklichkeit sieht eher so aus:
Ein weiteres Dämlich-Beispiel: der Sturm auf das Bundesjustizministerium, bei dem 50 Identitäre im Mai erfolglos versuchten, auf ein Vordach zu klettern.
7. Identitäre
Unter dem Eintrag “Messer” steht ein angeblich nordisches Sprichwort: “A knifeless man is a lifeless man.”
8. sind
“Wie kannst Du wissen, wer Du bist, wenn Du noch nie gekämpft hast?” Das ist die Identitären-Prämisse beim Schlagwort Kampfsport.
9. friedlich
“Wir werden den Kopf nicht senken, uns nicht bestehlen, demütigen oder schlagen lassen. Wir sind die Generation, die sich wehrt!”, heißt es beim Eintrag “Selbstverteidigung”: “Die Regierung hat unsere Grenzen nicht geschützt, als Millionen Illegale in unser Land kamen. Nun ist es an uns, uns selbst zu schützen.”
Dieser Selbstschutz kann für andere lebensgefährlich sein. Bei der Möchtegern-Stürmung des Justizministeriums überfuhr ein Flüchtender nach Anrücken der Polizei fast einen Beamten. Und Österreichs Identitären-Kopf Martin Sellner kassierte nach dem Einsatz einer Pfefferspraypistole ein Waffenverbot.
10. Identitäre sind rechtsextrem
Das einzige, was schick an diesem Buch ist, ist seine Aufmachung: schwarz-gelb gelayoutet, dazwischen immer wieder Bilder von Autoren, Philosophen, Comic-Helden. Bildnachweise gibt es hier nirgendwo. Genauso wie Einträge, die nicht rechtsideologisch durchtränkt sind. Die harmlose, popkulturelle Aufmachung hat das Buch mit seinen Lesern gemeinsam. Im Innern sieht es ganz anders aus. Zu dem Schluss kommt ein Jahr nach Beobachtungsbeginn auch der Hamburger Verfassungsschutz: “Wer sich für die nur vermeintlich seriös, bürgerlich und sehr modern-medienaffinen Identitären engagiert, lässt sich mit Rechtsextremisten ein, für die Fremdenfeindlichkeit ein leitendes Thema ist”, sagte Marco Haase, Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg. Das Lexikon der Identitären belegt das.