Eine ungeschriebene Regel des Lebens lautet: Menschen werden scheiße, wenn sie Hunger haben. Sogar Babys werden hangry, und das ändert sich im Laufe des Lebens auch nicht wesentlich. Sahra weiß mittlerweile aber genau, welche Erziehungsmaßnahmen sie bei Gästen anwenden muss, die ihre Manieren zu Hause gelassen haben. Die 27-Jährige kellnert seit fast zehn Jahren: “Dumme Extrawünsche ‘vergesse’ ich aus Prinzip.” Um anstrengende Gäste auszuhalten, trinke die Crew über den Abend verteilt oft Shots.
Sahra heißt eigentlich anders, aber weil sie ihren Arbeitgeber schützen möchte, erzählt sie anonym von ihrem Beruf. Während des Abis fing sie in einer Kneipe an, zwischendurch arbeitete sie in Bars, Cafés und unterschiedlichen Restaurants. Mittlerweile ist Sahra stellvertretende Restaurantleiterin in einem gehobenen Restaurant. Es waren schon Hollywood-Stars bei ihr zu Gast. Entsprechend fällt auch das Trinkgeld aus. “Ich bekomme etwa 70 Euro Tip täglich”, sagt sie, “am Ende des Monats gehe ich zuzüglich meines Gehalts mit ungefähr 3000 Euro netto raus.”
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Wir treffen Sahra in einem Café in Berlin-Charlottenburg und haben Fragen.
VICE: Lässt du dir extra Zeit, wenn Gäste unsympathisch sind?
Sahra: Eigentlich nicht. Ich arbeite die sogar eher schneller ab, damit ich so selten wie möglich an deren Tisch gehen muss. Wenn ich langsam bin, nerven sie nur noch mehr. Zu uns kommen sehr viele Leute mit viel Geld und manche meinen, dass sie deshalb die Kellner scheiße behandeln können. Es gibt zum Beispiel einen Promi, der zu uns kommt: Er liebt es, uns Frauen zu erniedrigen. Dann sagt er Sachen zu uns wie “Du bist fett” oder “Du hast kleine Brüste, ich schenke dir zu Weihnachten eine Brust-OP”. Wenn du Erfahrung hast, kannst du kontern. Ansonsten gehst du in den Keller und heulst. Ich war irgendwann so weit, dass ich ihn nicht mehr bedient habe, da hat er mich gefragt, was los sei. Sein Mann ist total süß, dem habe ich die Situation erklärt. Danach hat sich der Promi mit Blumen entschuldigt.
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Bist du hauptberuflich Kellnerin, weil du es aus deinem damaligen Nebenjob nicht mehr herausgeschafft hast?
Ja. Ich habe damals neben dem Abi angefangen zu kellnern, um ein bisschen Kohle zu machen. Dann habe ich studiert und war weiterhin auf das Geld angewiesen. Zweimal wollte ich mir schon einen anderen Job suchen, aber wenn man einmal in der Gastronomie ist, kommt man sehr schwer wieder raus. Es ist einfach schnell verdientes Geld. Mit der Zeit habe ich eine Leidenschaft für den Beruf entwickelt, weil ich sehr gerne esse und mit gutem Essen zu tun habe. Ich sehe den Job auch nicht als minderwertigen Beruf an – auch wenn manche Gäste sagen: “Für eine Kellnerin sind Sie aber ziemlich intelligent.” Es gibt einfach das Klischee, dass Kellner dumm sind. Fast jede Woche macht jemand so einen Kommentar.
Was war der schlimmste Gast, den du je hattest?
Wir hatten mal einen Tisch mit vielen reichen Russinnen, von denen eine Geburtstag feierte. Im Laufe des Abends wurden sie immer unangenehmer und haben meinen Kollegen, der den Tisch bedient hat, angeschissen. Als ich eingeschritten bin, ist die Situation eskaliert: Die Frauen haben Champagner über das Sushi geschüttet und das Sushi im Laden rumgeworfen. Als ich gefragt habe, was das soll, meinte eine: “Mäuschen, wie viel verdienst du eigentlich? Ich habe soviel Geld, ich könnte dein Leben kaufen.” Dann habe ich meine Vorgesetzte geholt und die Frauen sind rausgeflogen. Die haben uns im Anschluss richtig fertiggemacht auf Facebook. Danach konnte ich zwei Nächte nicht schlafen.
Hast du schonmal jemandem ins Essen gespuckt?
Nein, aber ich habe schonmal in Lokalen gearbeitet, wo es gemacht wurde. Das habe ich damals gesehen. Sowas könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Bei uns macht das keiner. Aber wenn ein Gast richtig scheiße ist, vergisst mein Bruder, der bei uns Barkeeper ist, manchmal den Alkohol im Cocktail.
Wie rächst du dich an nervigen Gästen?
Wenn Gäste mich genervt haben und über den Abend immer besoffener wurden, habe ich am Ende einfach zwei, drei Flaschen Wein extra auf die Rechnung gepackt. Das habe ich aber nur gemacht, wenn sie richtig scheiße waren, sehr besoffen und so reich, dass ihnen das nicht wehtut. Manchmal geben dir Leute das Gefühl, du seist nichts wert. Letzte Woche hatten wir einen Prinzen aus den Arabischen Emiraten da. Als er gehört hat, dass ich Arabisch spreche, hat er mir allein deswegen 100 Euro in die Hand gedrückt. Da fand ich ihn noch nett, aber ich habe seine Intention dahinter erst verstanden, als er gefragt hat, ob er mich kaufen könne. Ich hab den Tisch dann an meinen Kollegen abgegeben.
Isst du die Reste von den Tellern der Gäste?
Wenn der Gast mir sympathisch ist, ja. Das Essen ist zu schade, um es in den Müll zu werfen. Wenn man den ganzen Tag in Kontakt mit Essen ist, wird man weniger mäkelig. Wenn abends was übrig bleibt, nehmen wir das auch mit nach Hause.
Mit welchen Tricks bringst du die Gäste dazu, dir mehr Trinkgeld zu geben?
Wenn es Touristen sind, die nicht wissen, dass Trinkgeld in Deutschland nicht inklusive ist, mache ich das mit einem Trick aus einem Wirtschaftspsychologie-Buch. Darin stand, dass du den Satz “Tip not included” auf der Rechnung mit einer Smiley-Sonne versehen sollst, damit er weniger aufdringlich wirkt. Die Sonne soll eine positivere Botschaft vermitteln als zum Beispiel ein Herz. Bei zehn von zehn Gästen funktioniert es.
Was war das Ekligste, das du je in der Küche beobachtet hast?
In einem mexikanischen Restaurant, in dem ich gearbeitet habe, wurden die Saucen von den Gästetischen am Ende immer wieder in eine große Schüssel zurückgekippt. Das fand ich dann nicht so geil – schließlich haben die Gäste da alles Mögliche reingetunkt. Ich hab auch mal gesehen, dass ein Koch sich in die Hose gefasst und danach einen Salat zubereitet hat. Das war aber nicht bei meinem jetzigen Arbeitgeber. Da haben wir eine offene Küche, wenn etwas Ekliges passieren würde, sähen die Gäste das sofort.
Lügst du die Gäste an, wenn sie wissen wollen, ob die Gerichte vegan sind?
Wir hatten am Anfang eine Misosuppe, von der wir nicht wussten, ob sie vegan ist oder nicht. Wir haben sie dann einfach als vegan verkauft. Irgendwann kam der Moment, in dem wir erfahren haben, dass Fischsud in der Suppe ist. Und dann der, in dem ein Gast “die vegane Misosuppe vom letzten Mal” bestellte. Wir haben dann nicht gesagt, dass wir beim letzten Mal Scheiße gebaut haben. Das war ein bisschen komisch.
Was hast du durch die Beobachtung deiner Gäste über Dates gelernt?
In Charlottenburg ist der größte Köder Geld. Viele Frauen werden von Männern angezogen, die viel Geld haben, dadurch kann ich die Flirterei oft nicht ernst nehmen. Wenn Gäste bei uns sind, die ein richtiges Date haben, merke ich das auch sofort. Da liegt so eine bestimmte Energie in der Luft – oder Sex. Manche verschwinden auch für 20 Minuten auf Toilette. Ist ja schön, wenn die sich bei uns vergnügen können.
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