Schon mal an der Klofrau mit einem leicht beschämten Lächeln vorbeigedrückt, ohne Geld auf den Teller zu legen? In der Hafenbar in Berlin-Mitte treffen wir Helga Schmidt (77). 2002 wurde sie zur Klofrau des Jahres gewählt. Ihr Präsent: eine Klobürste. Sie selbst fand die Auszeichnung eher sonderbar. “Wie haben sie das denn ausgewählt? Sind die verdeckt Testpinkeln gegangen?” Helga arbeitet seit 17 Jahren als Klofrau in der Hafenbar, wo der DJ gefühlt einmal die Stunde “Atemlos” von Helene Fischer spielt. Manchmal tanzt sie beim Putzen mit. Techno hält sie für Rumgehüpfe, aber die Helene fände sie gut, sagt sie.
Wer sich mit Helga anlegt, fliegt schneller aus dem Club, als er reingekommen ist. Wir haben ihr die Fragen gestellt, die uns selbst kommen, wenn wir uns verschämt an dem Tischchen einer ihrer Kolleginnen vorbeischleichen.
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VICE: Bist du sauer, wenn jemand an den Rand pinkelt oder dir das Klo zuscheißt?
Helga Schmidt: Wenn einer an den Rand pinkelt, schimpfe ich vor mich hin, während ich drin putze und er oder sie noch Hände wäscht. Das mache ich auch, wenn in den anderen Kabinen Leute sitzen, die sollen das ruhig mithören. Zum Kacken kommen eigentlich nur die wenigsten. Aber wenn, dann sprühe ich danach Raumdeo oder—wenn ich gerade keines habe—normales Deo in die Kabine. Zu dem Nächsten, der reinkommt, sage ich dann: “Oh, da musst du aber jetzt die Luft anhalten, wenn du reingehst”. Veilchenduft macht keiner, aber sauer bin ich deshalb nicht.
Was lernt man in diesem Job über die menschliche Verdauung?
Wenn sie gekotzt haben, sehe ich, was sie gegessen haben. Ansonsten können sich die meisten das Kacken wie gesagt verkneifen. Ich selbst kann mir selbst das Pinkeln verkneifen, das habe ich gelernt, als ich Helferin im Kindergarten war. Wenn wir Ausflüge gemacht haben und ich die Kinder nicht alleine lassen konnte, musste ich ja zuhalten. In den 17 Jahren hier in der Hafenbar, kann man an einer Hand abzählen, wie oft ich selbst hier gepinkelt habe. Auch wenn ich gerade erst drüber gewischt habe und alleine bin, mache ich es nicht. Ich bin Heimpinklerin.
Wer pinkelt oder scheißt dreckiger, Frauen oder Männer?
Ganz klar die Mädchen. Es scheint sie einfach nicht zu interessieren. Da steht ein Eimer, aber den benutzten Tampon werfen sie oft einfach daneben, genau wie Klopapier. Danach stehen sie zehn Minuten vorm Spiegel und machen sich zurecht, aber eine saubere Toilette hinterlassen können sie nicht. Bei den Jungs gibt es kaum Probleme, und 95 Prozent waschen sich sogar die Hände.
Wie gründlich putzt du die Toiletten wirklich?
Ich wische nicht jedem hinterher. Das habe ich am Anfang gemacht, aber da kam ich nicht hinterher, vor allem ab zwölf, wenn die Leute Schlange stehen. Aber ich gehe schon immer und immer wieder rein in einer Nacht, mit Sagrotan und Lappen und Maiglöckchen-Duftspray.
Wie viele haben Sex auf den Klos?
Niemand, wenn ich es verhindern kann. 20 Euro hat mir einer schon mal geboten, damit er eine Frau mit auf die Toilette nehmen kann. Ich dachte: Für 20 Euro hättest du dir doch ein Zimmer für eine Stunde nehmen können! Gelassen habe ich die beiden nicht. Nur wenn ich gerade eine rauche oder mit Leuten quatsche, kann ich nicht immer alles kontrollieren. Da ist es schon passiert, ich habe das natürlich daran gemerkt, dass die Toilette ungewöhnlich lang besetzt war. Und klar, einen Kommentar beim Rausgehen mussten sich die beiden dann auch anhören.
Und Drogen? Was nehmen deine Gäste alles in den Kabinen?
Da sehe ich natürlich nicht, ob sich da drinnen jemand eine Pille einschmeißt. Ich bekomme nur mit, wenn einer auf dem Klo kifft. Aber wenn ich das rieche, ist derjenige meistens schon weg oder alle sagen: “Ich war’s nicht.” Was will man machen? Aber wenn ich es sehe, ist derjenige schneller draußen, als er reingekommen ist.
Bist du sauer, wenn dir jemand kein Geld gibt?
Schön finde ich es nicht, aber ich denke mir meinen Teil. Stammgäste wissen, dass es bei mir die Flatrate gibt: Einen Euro zahlen und dann können sie die ganze Nacht kommen, aufs Klo gehen, Hände waschen—und ich habe auch Handcreme, Deo oder Nähzeug, wenn es gebraucht wird.
Nur einmal habe ich etwas gesagt, als jemand nichts zahlen wollte. Es lag noch nichts in der Schale außer dem Wechselgeld, drei 50-Cent-Münzen. Ich höre es noch klappern, sage “Danke”. Dann habe ich auf den Teller geschaut: Da lag ein Cent. Ein einziger Cent! Den jungen Mann habe ich zurückgepfiffen. Er drehte sich um. Ich nahm den Cent und sagte: “Du hast da was vergessen.” – “Nein, das ist für dich”, hat der auch noch gesagt. Aber den musste er wieder einstecken. Beleidigen lasse ich mich nicht.
Wer gibt dir wie viel?
Das Alter spielt keine Rolle, aber einen Unterschied gibt es: Die Mädchen zahlen weniger als die Jungs. Den Mädchen scheint das egal zu sein—in 17 Jahren habe ich es ihnen noch nicht beibringen können. Manchmal werfen Menschen über 50 nichts rein. Bei ihnen macht es mich ein bisschen traurig, wenn nichts kommt.
Drei stark geschminkte Mädchen kommen aus der Toilette, würdigen Helga keines Blickes, werfen nichts in die Schale, gehen tanzen. Helga schüttelt den Kopf.
Legst du absichtlich große Münzen auf die Schale, damit die Leute denken, sie müssen auch mehr Geld geben?
Ich habe drei 50-Cent-Münzen, die immer drauf liegen, aber die sind zum Wechseln da. Wenn ich also gerade nicht da bin und jemand nur einen Euro hat. Damit er den Euro hinlegen kann und sich die 50 Cent nehmen kann, statt vielleicht gar nichts zu geben.
Verdienen sich Klofrauen eine goldene Nase wie in einem Fall in Bonn, wo eine Klofrau eine fünfstellige Summe an Trinkgeld-Münzen nicht versteuert haben soll?
Nein, also ich nicht. Ich bekomme hier kein Gehalt, ich bin meine eigene Chefin. Für mich ist das ein Plus zur Rente. Das sind schon mal 100 Euro an einem guten Freitagabend, das muss dann aber auch den Samstag mittragen, da sind viele Touristen da, die haben keine Zahlungsmoral. Von dem Geld kaufe ich Putzmittel, Handcreme, Deo und so weiter. Ich mache das nicht wegen des Geldes, sondern um unter die jungen Leute zu kommen. Leute in meinem Alter reden meistens nur noch von Krankheit, hier bekomme ich “High Five” und “Ghettofist” beigebracht.
Während unseres Gesprächst erscheint Stammgast Benni, ein Mann in Holzfällerhemd, der ihr Sohn sein könnte, und umarmt sie herzlich. Ein anderer, Mitte dreißig, Tattoos, Bart, setzt sich neben sie und legt den Arm um sie. Sie quatschen, während wieder ein paar Mädchen aus der Toilette kommen, ohne Geld reinzuwerfen. Dann geht Helga rauchen.
Klofrau will sie noch höchstens drei Jahre bleiben. Dann ist sie 80.