Sex

10 Fragen an eine Sexualtherapeutin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Silke Wahnfried spricht mit einem Klienten

In der Mitte des Raumes liegt ein großer roter Teppich, darauf stehen drei lederne Sessel. Die Praxis der Paar- und Sexualtherapeutin Silke Wahnfried befindet sich in einer Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg. Hier schaffe sie “einen vertrauensvollen Raum”, in dem über alle Beziehungsfragen und über Sexualität gesprochen werden könne, wie es auf ihrer Website heißt. 80 Euro zahlt eine Person für eine Stunde Gespräch, Paare 40 Euro mehr.

Wahnfried, 56, ist seit 23 Jahren verheiratet. “Ein Paar sind wir schon seit 30 Jahren – und es läuft richtig gut.” Sie habe während einer Ausbildung zur Physiotherapeutin erkannt, dass Sexualität, egal in welchem Alter, eine große Rolle spielt. “Wir alle werden als sexuelle Wesen geboren und bleiben es meist ein Leben lang. Das war für mich immer ein spannendes Thema”, sagt sie.

Mit 30 machte sie eine Tantra-Ausbildung und gab bald Paar- und Frauenseminare. In den darauffolgenden Jahren absolvierte sie weitere Ausbildungen in Systemischer Paar- und Sexualtherapie, Klinischer Sexologie und zur Heilpraktikerin für Psychotherapie. Mittlerweile gibt Wahnfried seit 25 Jahren Seminare und berät ihre Klienten aktuell in der Corona-Krise online über Zoom.

Wir haben Fragen.

Videos by VICE

VICE: Wie oft machen dich die Therapiegespräche an?
Silke Wahnfried:
Gar nicht. Ich nähere mich dem immer sehr wissenschaftlich. In der Therapie habe ich einen Menschen vor mir und schaue, mit welchem Wunsch, mit welchem Auftrag dieser zu mir kommt. In erster Linie beobachte ich. Da wir viel mit Körperhaltung und -spannung arbeiten, schaue ich: Wie sitzt eine Person, wie betritt sie den Raum? Ich will verstehen, wie Andere funktionieren. Die Gespräche erregen mich also nie, das ist ein ganz anderer Bereich. Hier bin ich nur als Therapeutin.


Auch bei VICE: Die Welt der Sexualassistenz


Wie überragend muss man im Bett sein, um Sextherapeutin zu werden?
Überragend – was für ein Wort. Im Grunde muss man das gar nicht sein. Viel wichtiger ist es, sich selbst zu kennen und sich mit sich auseinandergesetzt zu haben. Ich weiß, wie ich funktioniere, und kenne meine Konditionierung. Es ist sicher auch wichtig, open-minded zu sein. Wer schnell verurteilt, sollte nicht in die Sexualtherapie gehen. Aber auch ganz grundlegendes physiologisches Wissen ist sehr wichtig. Natürlich muss eine Sexualtherapeutin wissen, wie Hormone funktionieren und wie unsere Körper aufgebaut sind. Dazu gehört auch, sich selbst zu kennen, sich im eigenen Körper gut zu fühlen und vor allem selbst Freude an Lust und Genuss zu haben.

Wann hattest du das letzte Mal schlechten Sex?
Das weiß ich gar nicht mehr. Ich glaube, mit vielleicht Mitte zwanzig. Aber das habe ich dann im Nachhinein nicht unbedingt als schlecht bewertet, sondern eher als: “OK – so nicht.” Ich habe mich daraufhin gefragt, was ich denn eigentlich will. Es war also eher ein Lernschritt. Gott sei Dank habe ich aber auch keine schlimmen sexuellen Übergriffe erlebt, sonst würde es mir damit sicher anders gehen. Ich habe lediglich Sachen erlebt, die für mich nicht angenehm waren, woraufhin ich entschieden habe, da achtsamer zu sein.

Gibst du deinen Sexualpartnerinnen und Sexualpartnern nach dem Sex Feedback?
Um Gottes willen [lacht]. Das Gute an einer so langen Beziehung, wie ich sie führe, ist, dass man sich wirklich gut kennenlernt. Da wir uns aber stetig verändern, muss man das immer wieder neu anpassen und immer wieder reden. Das würde ich nicht Feedback nennen, sondern gesunde Kommunikation. Die ist das Allerwichtigste in einer Beziehung. Bei den meisten, die zu mir in die Praxis kommen, hakt die Kommunikation.

Wie viele deiner Klienten haben schlechten Sex, weil ihr Penis zu klein ist?
Es war noch kein Mann bei mir wegen eines zu kleinen Penis. Ich denke aber, dass viele, vor allem junge Männer, sich darüber Gedanken machen. Ist mein Penis zu groß, ist er zu klein? Leider deckt der Sexualkundeunterricht an den Schulen das nicht gut ab.

Aber abgesehen davon: Was ist schlechter Sex? Die Partnerin lustvoll zu befriedigen, hat ja nicht immer etwas mit dem Penis zu tun. Männer mit erektiler Dysfunktion sind beispielsweise oft sehr gute Liebhaber. Denn die beginnen darüber nachzudenken, was denn noch alles geht. Das kurbelt die Kreativität an und das ist ja eine gute Sache.

Was war die schockierendste Fantasie, von der dir ein Klient erzählt hat?
Ich habe in meiner Praxis noch nie von einer schockierenden Fantasie gehört. Viel häufiger wissen Menschen gar nicht, was ihre Fantasien sind. Dann schlage ich vor, sich Anregungen zu holen. Sich mal umzuhören, etwas zu lesen, sich schöne Bilder anzuschauen oder mal durch die Natur zu gehen und dann zu versuchen, im Kopf das bestmögliche sexuelle Szenario zu erstellen.

Wir lernen aber in der Ausbildung auch, unsere Reaktion zu zügeln, damit wir nicht zurückzucken, wenn jemand etwas Außergewöhnliches äußert.

Hast du schon mal einen Klienten nach dem Gespräch an einen Psychologen verwiesen?
Ja, schön des Öfteren. Oft kommen Menschen zu mir, die sexuellen Missbrauch und sexuelle Übergriffe erfahren haben. Dann brauchen sie eine Traumatherapie und dafür bin ich nicht ausgebildet. Betroffene können sich beispielsweise an die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie , oder an den Berliner Verein Wildwasser – Arbeitsgemeinschaft gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen e.V. wenden . Glücklicherweise sind wir Menschen durchaus resilient. Wir können solche Geschichten überwinden und trotz traumatischer Erfahrung zu einer gesunden Sexualität zurückfinden.

Therapierst du auch Pädophilie?
Nein, da liegt die klare fachliche Grenze. Menschen mit Pädophilie sollten sich beispielsweise an die Charité wenden, an die Initiative “Kein Täter werden“. Solche Grenzen gibt es genauso beim Ausleben gewisser Vorlieben. Es ist zum Beispiel vollkommen OK, sich als Voyeur im KitKatClub in die Ecke zu stellen und zu schauen. Die Vorfälle auf dem Monis-Rache-Festival und der Fusion, bei denen Menschen heimlich auf Toiletten und in Duschen gefilmt wurden, sind hingegen Straftaten und müssen geahndet werden. Wichtig ist bei allem immer, dass es einvernehmlich stattfindet. Bei Pädophilie ist das aber nicht möglich.

Ermunterst du Klienten auch mal zum Fremdgehen?
Manchmal teilt ein Mensch einen Wunsch mit, aber der Partner oder die Partnerin möchte das nicht. Dann müssen wir gemeinsam schauen, wie man damit verfährt. Denn bei zwei gegensätzlichen Wünschen gibt es ja erst einmal keine Lösung. Wenn eine Partei keinen Sex möchte und die andere schon, muss man überlegen, welche Wege es noch gibt. Ich mache dann allerdings niemals konkrete Vorschläge, sondern nenne die verschiedenen Möglichkeiten. Ich frage: Was gibt es denn noch? Leben beide gemeinsam im Zölibat? Trennt man sich? Sucht man sich vielleicht eine nette Dienstleistung? Oder öffnet man den Kreis?

Wie oft wirst du mit einer Sexarbeiterin verwechselt?
Ich hatte tatsächlich zwei, drei Telefonate, in denen Menschen angerufen haben, weil sie sexuelle Dienstleistungen wollten. Das hört man dann aber recht schnell raus. Beispielsweise nennen diese Personen nicht ihren Namen. Die stottern dann eher herum und fragen: “Machen Sie eigentlich auch Tantra-Massagen?” [Lacht] Das kommt aber vielleicht auch daher, dass auf meiner Website steht, dass ich das früher mal gemacht habe. Von daher finde ich das nicht schlimm. Ich sage dann: Googeln Sie einfach mal, es gibt ja genug Angebote – und viel Spaß!

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.