10 Fragen an einen ‘Augustin’-Verkäufer, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Viano Akpogo vor der U-Bahn-Station Volkstheater

Viano Akpogo verkauft in Wien seit sieben Jahren die Straßenzeitung Augustin, bis zu 15 Stück pro Tag. Jeden Morgen steht er in der U-Bahn-Station Volkstheater und arbeitet. Ist er einmal nicht da, fällt das auf. Die Leute fragen den 40-Jährigen dann, ob er krank gewesen sei und ob es ihm gut gehe. Viano nennt diese Leute seine Freunde. Er begrüßt sie mit “Hello my friend” oder “Schönen guten Tag” und immer mit einem Lächeln. Er ist dabei höflich, aber nicht aufdringlich. Doch nicht immer seien die Passanten auch so freundlich zu ihm, sagt er.

Circa 350 Augustin-Verkäufer und Verkäuferinnen gibt es in Österreich. Die Herausgeberinnen und Herausgeber der Straßenzeitung wollen Menschen in Not helfen. Seit einiger Zeit sind die Verkaufszahlen aber rückläufig. Das liegt zum Teil daran, dass viele Passanten den Verkäufern lieber Trinkgeld geben, anstatt eine Zeitung zu kaufen. “Menschen glauben, sie tun damit etwas Gutes”, sagt Eva Rohrmoser von Augustin. Aber eigentlich brauche die Zeitung mehr Leser, “etwa 5.000 bis 7.000 mehr”, sagt sie.

Videos by VICE

Vor acht Jahren ist Viano aus Nigeria nach Österreich gekommen. Heute lebt er im 22. Wiener Gemeindebezirk mit seiner Frau und seinen Kindern. Er sagt, er mag seinen Job als Zeitungsverkäufer, aber er arbeitet zusätzlich noch in der Küche eines Restaurants. Seine Familie könne er vom Zeitungsverkauf nämlich nicht ernähren.

Wir haben Fragen.

VICE: Hoffst du insgeheim, dass die Leute keine Zeitung kaufen, dir aber trotzdem Geld geben?
Viano Akpogo: Nein, eigentlich nicht. Aber es gibt schon Leute, die mir 50 Cent oder einen Euro geben, dafür, dass ich den ganzen Tag hier stehe. Manchmal kaufen sie mir auch einen Kaffee, um mich zu unterstützen. Einmal hat mir ein Mann, der unterm Jahr eigentlich nie eine Zeitung kauft, zur Weihnachtszeit 100 Euro gegeben. Ich erwarte von niemandem etwas. Für mich ist das ähnlich wie in einem Restaurant. Wenn die Leute den Service mögen, dann geben sie dir auch Trinkgeld und du gehst mit einem Lächeln nach Hause. Manchmal schenke ich den Leuten auch einen Augustin. Ich sage zu ihnen: “Lies die Zeitung und wenn dir gefällt, was darin steht, dann kaufst du das nächste Mal eine.”

Wäre deine Existenz bedroht, wenn es den Augustin nicht gäbe?
Ich wäre nicht unmittelbar davon betroffen. Ich würde mich dann einfach auf meinen anderen Job konzentrieren. Aber ich würde schon viele meiner Freunde vermissen. Von vielen Kunden hab ich keine Telefonnummer oder andere Kontaktdaten. Sie kommen aber jeden Morgen vorbei und dann plaudern wir ein paar Minuten.


Auch bei VICE: Armut in Wien


Wie viel verdienst du wirklich pro verkaufter Zeitung?
Das kommt darauf an, wie lange ich hier stehe. 60 bis 70 Euro nehme ich circa pro Tag ein, aber davon bleiben mir am Ende des Tages rund 30 bis 40 Euro.

Ist ein paar Zeitungen zu verkaufen ein richtiger Job?
Für mich ist es ein vorübergehender Job. Ich kann aber nicht nur das machen. Das Problem ist, dass du vorher nicht weißt, wie viel du am Ende des Tages verdienen wirst. Wenn du Single bist, kannst du vielleicht davon leben. Aber nicht, wenn du Frau und Kinder hast und Miete bezahlen musst.

Ich spare gerade etwas Geld, weil ich gerne an der Universität studieren möchte. Ich hab mich schon einmal für das Fernstudium Wirtschaftsinformatik beworben, aber den Aufnahmetest nicht bestanden. Mein Traum ist es zu studieren und ich weiß, eines Tages werde ich es machen und am Ende meines Studiums einen besseren Job haben.

Welche Tricks wendest du an, um jemanden eine Zeitung anzudrehen?
Der Trick ist, freundlich zu sein. Manche Leute sind nicht immer nett zu mir, aber man muss ihnen positiv begegnen und sich nicht von ihrer schlechten Laune anstecken lassen. Wenn ich einmal nicht lache, kommen Leute zu mir und fragen: “Bist du krank? Warum lachst du heute nicht?” Du musst nur positiv sein und dich nicht um die Meinung anderer kümmern.

Wie fühlt es sich an, wenn dich andauernd Leute ignorieren?
Ich fühl mich schlecht. Das ist ganz normal. Wenn du versuchst, nett zu jemandem zu sein, mit ihm zu reden, und der ignoriert dich, dann fühlst du dich unwichtig. Aber du darfst diesen Menschen nicht erlauben, dir deine Freude zu nehmen. Du musst positiv bleiben.


Wie oft wirst du wegen deines Jobs diskriminiert?
Viele Leute sind nicht nett, aber ich will hier nur Geld verdienen. Ich komme nicht her, um Probleme zu machen. Zweimal hat mir schon jemand “Arschloch” ins Ohr geflüstert und ist dann weggerannt. Aber das ist dann nicht mein Problem, ich konzentriere mich ganz einfach darauf was ich mache. Ich bin jemand, der die Leute als seine Freunde sieht. Ich bin ein positiver Mensch, und auch wenn jemand versucht mich zu diskriminieren, erlaube ich es ihnen nicht, mir meine Freude zu nehmen.

Liest du die Artikel im Augustin überhaupt?
Nicht immer. Wenn etwas Interessantes drin steht, lese ich die Artikel schon. “Gras für Oma” zum Beispiel.

Würdest du mehr verkaufen, wenn du aussehen würdest, als ob du obdachlos bist?
Nein, das glaube ich nicht. Ich meine, wie schaut ein obdachloser Mensch aus? Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich eine Frau und Kinder habe, im 22. wohne und nicht obdachlos bin. Sie kaufen trotzdem immer noch eine Zeitung.

Verheimlichst du deinen Job als Augustin-Verkäufer?
Nein, im Leben musst du immer du selbst sein. Ich lüge nie. Oft erkennen mich Leute wieder, die ich von meinem Job im Restaurant kenne, aber ich schäme mich nicht. Ich mache das nicht für sie, sondern für mich. Es gibt Leute, die glauben, man müsste sich schämen, weil man Zeitungen verkauft. Ich mache nichts Illegales, ich stehle nicht und mache auch nichts anderes, was mich in Schwierigkeiten bringen könnte.

Folge VICE auf Facebook, Instagram, Twitter und Snapchat.