Nur zehn Euro – mehr braucht Frank B. nicht, um über den Tag zu kommen. Mindestens 40 leere 0,5-Liter-Plastik-Flaschen muss er dafür in Berlin finden. Das sind auch seine Lieblingsflaschen, die sind leicht, und die kann er gut auf seinem Fahrrad stapeln. “Aber sonst ist mir das Wurscht, ich nehme alles mit.”
Seit 18 Jahren sammelt er. “Da hab ich jemanden gesehen, der eine Flasche aus dem Mülleimer geholt hat und mir gesagt: ‘Das kannst du auch, wa.’” Seitdem geht der 54-Jährige täglich auf die Suche.
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Franks Zuhause ist die Hasenheide, ein Park in Neukölln. Ein Zelt, ein Schlafsack, aus vielmehr besteht sein Zuhause nicht.
Er stammt aus Berlin. Auf dem Spielplatz der Hasenheide schaukelte er schon als kleiner Junge. Vor vier Jahren hat er sich in einer abgelegenen Ecke direkt hinter dem Zaun des Parks eingerichtet. “Über den muss ich klettern, um zu meinem Zelt zu kommen. Wenn du dir da nicht eine Decke drüber legst, zerreißt es dir deine Hosen, weil da Stacheln sind”, sagt er.
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Zu Freunden ziehen, das möchte er nicht: “Dort sind zu viel Alkohol und Drogen im Spiel. Da gewöhne ich mich sonst dran.”
Am Tag unseres Treffens hat Frank schlechte Laune. Sein Fahrrad hat einen Platten. Bis zu 400 Glasflaschen könne er auf dem Rad transportieren, sagt er. Frank hat uns von seinem Alltag erzählt und all die Fragen beantwortet, die wir haben, wenn wir die Sammler in den Parks, vor den Clubs und in den U-Bahnhöfen sehen, die wir uns aber bisher nicht getraut haben zu stellen.
VICE: Wie viel verdienst du? Ist Pfandsammeln lukrativer als Hartz IV?
Für mich schon, weil ich das auch übers Internet mache. Ich hab Firmen und WGs als Stammkunden, die rufen mich an und ich hole deren Pfand ab. Dadurch lohnt es sich. Ich nehme um die 800 Euro im Monat ein. Meine höchste Ausbeute an einem Tag hatte ich im letzten Jahr. Eine Versicherungsgesellschaft hat mich angerufen und die hatten 30 Kästen zu verschenken. Die haben meine Nummer auf pfandgeben.de gefunden. Da hab ich 115 Euro in zwei Stunden gemacht. Wenn ich selbst auf der Straße sammeln gehe, nehme ich am Tag 15 bis 20 Euro ein.
Wieso gehst du keinem bezahlten Job nach?
Den krieg ich nicht mehr. Ich bin nicht mehr ganz fit. Meine linke Seite wurde mal zusammengeschraubt, weil ich einen Unfall hatte. Ich bin von der Leiter geflogen, hatte unter anderem einen Leistenbruch. Aber auch das Alter spielt eine Rolle. Deshalb bin ich auf das Pfandsammeln angewiesen. Aber ich mach das auch gerne,so bin ich in Bewegung. Früher hab ich Sport gemacht. Das geht jetzt nicht mehr und Fahrradfahren, um Flaschen zu sammeln, ist der Ausgleich dafür.
Wühlst du im Müll?
Nein, das mach ich nicht. Das will ich nicht machen, weil mir mal eine Ratte entgegengesprungen ist. Da hab ich mir gesagt: “Nie wieder Mülleimer.” Ich weiß da ja nicht, wo ich da hinfasse. Da könnte ja auch eine kaputte Flasche drin sein. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, mich zu verletzen. Aber ich find ja auch so genug Flaschen.
Schämst du dich, wenn Leute dich beim Sammeln beobachten?
Am Anfang war das so, da haben manche auch blöd geguckt. Da hab ich das heimlich gemacht, erstmal gewartet bis alle weg sind. Aber jetzt ist das kein Problem mehr. Die Leute haben sich dran gewöhnt, weil es immer mehr Menschen gibt, die auf der Straße Pfandflaschen sammeln. Ich werde selten mitleidig angestarrt. Es passiert sogar eher das Gegenteil. Manchmal kommen welche und sagen: “Mensch, du sammelst Flaschen. Ich hab in meiner Firma noch welche stehen.” Und dann schenken die mir volle Tüten. Oder Leute stellen gleich ihre Tüten mit Flaschen auf die Straße. Ich kenne die Stellen, wo man so was findet. Je länger man sammelt, desto besser wird man.
Weiß deine Familie davon?
Nein. Meine Schwester ist die einzige Familie, die ich noch habe. Die wohnt auch ziemlich weit weg. Ich würde ihr das eigentlich erzählen, aber wir haben kaum Kontakt.
Verachtest du unsere Gesellschaft dafür, dass du überhaupt Pfandflaschen sammeln musst?
Nein, das ist doch meine Sache. Vielleicht hätte ich ja was anderes machen können. In meiner Situation ist Arbeiten aber schlecht. Wenn ich zum Beispiel mein Fahrrad flicken muss, dann muss ich mich zwar dafür nur fünf Minuten bücken. Dann brauch ich aber drei Stunden, um mich zu erholen. Deswegen steh ich auch während unseres Gesprächs, sonst tut mir der Rücken weh. Vor vier Jahren war ich in einer Zeitarbeitsfirma. Da war ich nach fünf Wochen erledigt und hatte eine Sehnenscheidenentzündung. Das war dann auch das letzte Mal. Aber ich bin auch nicht neidisch auf die Menschen, die so viel Geld haben, dass sie ihre Flaschen nicht zurückbringen müssen. Ohne die würde ich ja gar nicht überleben.
Gibt es Stress oder Übergriffe zwischen Pfandsammlern?
Ich kenne mittlerweile einen Großteil der anderen. Ich sehe sie als Kollegen an. Die Anzahl der Pfandflaschensammler in Berlin hat sich über die Jahre verzwanzigfacht. Rumänen und Bulgaren kommen zum Teil extra hierher, nur um Flaschen zu sammeln. Im Görlitzer Park in Kreuzberg reisen die mit Wohnwagen an. Die ziehen ständig um, müssen immer den Ort wechseln, weil das Ordnungsamt da sehr hinterher ist.
Manchmal gibt es Wortwechsel, weil immer ein paar Trottel dabei sind. Schlägereien habe ich selbst noch nie erlebt, zwischen anderen Sammlern aber schon. Die Polen und Russen machen das unter sich aus. Die prügeln sich hinter den Clubs um die Flaschen. Ich selbst habe meist meine Ruhe, weil ich nur nachts losziehe. Um 18, 19 Uhr geh ich schlafen und brech dann gegen halb 1 auf, auch bei Regen oder Schnee. Dreieinhalb Stunden dauert das Ganze dann, bis halb 5. Mein Auge ist mittlerweile geschult. Fahrraddiebe sehe ich zum Beispiel sofort.
Was ist das Schlimmste, das dir je beim Sammeln passiert ist?
Wie vorhin: mit Flaschen vollgeladen sein und einen Platten haben. Vor allem mit 200 Flaschen, da weißt du nicht mehr, was du machen sollst. Das ist ja auch ganz schön viel Gewicht. Ich hab die Flaschen mal gewogen. So eine Sternburg-Flasche wiegt 388 Gramm. Rechne mal, wie viel Gewicht das bei 100 Flaschen ist. Eigentlich hab ich ein anderes Fahrrad, aber das ist auch schwer beschädigt. Ich habe einen ganz schönen Verschleiß. Ich brauche so drei bis vier Fahrräder im Jahr.
Wofür gibst du das Geld aus?
Essen. Und wenn schlechtes Wetter ist, geh ich ins Internet-Café. Da zock ich dann ein bisschen rum. Das kostet 50 Cent die Stunde. Ein Bier trink ich auch ab und zu, aber nicht so oft, weil das geschäftsschädigend ist. Wenn ich zu viel davon trinke, fällt mir das Sammeln schwer. Bei Bier hab ich den Preis dann aber nicht in Flaschen im Kopf. Aber wenn ich mal so richtig einen baller und das bisschen teurer wird, denk ich schon daran, wie viel ich dafür jetzt wieder sammeln gehen muss.
Wovon träumst du?
Ich möchte mal mit dem Fahrrad nach Thüringen fahren. Fahrradreisen habe ich früher immer gemacht. Das Fahrradfahren ist auch heute körperlich kein Problem für mich. Wie ich meine Fahrradreise finanzieren soll, ist eine andere Geschichte. Ich will nach Thüringen, weil ich das mal im Internet gesehen habe. Berge und Wälder sind mein Ding. Mit Strand kannst du mich jagen. Das ist langweilig, das ist doch immer dasselbe.
Aber wie meine Zukunft aussieht, weiß ich nicht. Ich möchte in diesem Jahr alles mal wieder ein bisschen normaler angehen. Mal wieder zum Amt gehen, nach einer Unterkunft schauen. Am besten wäre eine WG. Ich hab keine Lust, alleine zu wohnen.