Gerald Wenschitz hat sich in Wien einen Namen als Veranstalter gemacht. Seit zehn Jahren etabliert er Events wie “F*cken Plus”, “Mutter” oder “Meat Market” und ermöglicht damit nicht nur der Gay-Community partytaugliche Safe Places. Inzwischen führte der Weg des bekennenden Bodybuilders bis ins Berghain – doch dort ist noch lange nicht Schluss. Wir haben den Veranstalter und DJ zum zehnjährigen Jubiläum seiner Eventreihe “Meat Market” getroffen und mit ihm über Techno als politische Musik, Frauen hinter den Turntables und seine Erfahrungen aus Berlin gesprochen.
Noisey: “Meat Market” ist heute eine der erfolgreichsten Techno-Partys in Wien. Wie kam es vor zehn Jahren zu der Idee?
Eine musikalisch anspruchsvolle Party für LGBTQ-Personen gab es für mich in Wien damals nicht. Ich habe mich nirgends wohl gefühlt, es fehlte was. “Meat Market” ist aus diesem Bedürfnis entstanden. Dabei wollte ich gar nicht mehr veranstalten.
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Was hast du vor “Meat Market” veranstaltet?
Ich habe circa 200 Drum’n’Bass-Veranstaltungen auf dem Buckel. Das ist viele Jahre her. Irgendwann verlor ich aber das Interesse an diesem Genre und entwickelte mich in eine technoidere Richtung.
Du bist in der Punk- und Hardcore-Szene aufgewachsen, dann zu Drum’n’Bass übergelaufen. Wie landest du beim Techno?
Als ich das erste Mal 90er-Jahre-Techno hörte, war das für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich hab mein Leben nicht mehr gepackt. Das war für mich einfach so unglaublich revolutionär.
“Das Ziel war, dass beim ‘Meat Market’ Berghain-Sound laufen kann.”
Gab es eine Schlüsselscheibe für dich?
Alles von Surgeon und Luke Slater aus den 90ern. Primate Recordings fand ich auch geil. Das war schon riesengroß damals. Dazu die alten Planet-Rhythm-Sachen von Umek. Unglaublich, wenn man bedenkt, was der heute produziert. Die alten Umek-Tracks haben mir den Beidl auf die Seit’n g’haut.
Wo hast du den “Meat Market” zu Beginn veranstaltet?
Im alten Badeschiff am Donaukanal. Die musikalische Ausrichtung war zu Beginn noch anders. Wir spielten Techno, waren musikalisch aber noch nicht so definiert, wie wir es mit unserem harten Techno heute sind. Das Ziel war, dass beim “Meat Market” Berghain-Sound laufen kann.
Das war zu einer Zeit, in der DJs wie Marcel Dettmann und Ben Klock den “Berghain-Sound” prägten.
Wir haben Ben Klock sogar einmal in die Säulenhalle gebucht.
Warum dort? Die Säulenhalle ist so schick, Ben Klocks Sound so undergroundig.
Natürlich hätte ich die damalige Pratersauna cooler gefunden, ich bekam dort aber keinen Termin. Die Betreiber schenkten mir, wie andere Locations auch, kein Vertrauen. Verantwortliche der Säulenhalle haben mich hingegen offensiv umworben. Ich konnte dort sowohl Ben Klock als auch Psyk buchen. Über 1.000 Leute kamen – die haben wegen der Location alle komisch dreingeschaut. Schließlich passte das musikalisch überhaupt nicht ins Konzept. Wenn ich heute drüber nachdenke, ist das absurd. Trotzdem funktionierte die Party und wir bekamen die Aufmerksamkeit, mit der wir weiterarbeiten konnten.
Welche Veränderungen haben den “Meat Market” in den letzten zehn Jahren geprägt?
Die musikalische Entwicklung. Außerdem hat sich unsere Community viel breiter gefächert. Auf den ersten Partys waren ganz wenig heterosexuelle Männer. Das hat sich mittlerweile geändert. Es kommen auch mehr Frauen, weil sie die Musik mögen oder Menschen vorfinden, mit denen sie in diesem Umfeld gerne feiern wollen. Nur lesbische Frauen haben wir nie für unsere Veranstaltungen gewinnen können.
Was könnte der Grund dafür sein?
Am Sound liegt es sicher nicht. Ich nehme an, dass lesbische Frauen lieber eigene Partys wie das Wet besuchen. Mit deren Veranstalterinnen haben wir vor Kurzem einen Floor bespielt, das war super.
“Der Club als Ort, wo man entflieht und andere Dinge ausprobiert, ist etwas höchst Politisches.”
Du bist bekannt für deine konsequente politische Einstellung über den Club-Kontext hinaus. In Wien ist das eher ungewohnt. Was treibt dich an?
Musik war für mich immer politisch. Vor allem der Club – als Freiraum, als Ort, wo man entflieht und andere Dinge ausprobieren kann als im “normalen” Leben – ist etwas höchst Politisches. Mir ist es ein Bedürfnis, meine kleine Öffentlichkeit zu nutzen, um meine Message rauszubringen.
“No homophobia, no sexism, no racism, no discussion” steht in Frakturschrift auf deinen “Meat Market”-T-Shirts. Wie steht es in dieser Hinsicht um die Wiener Szene?
Da ließe sich noch nachbessern. Das T-Shirt symbolisiert unsere Hausregeln. Wenn bei unseren Partys fünf Leute mit diesem T-Shirt am Dancefloor stehen, macht das einen großen Unterschied. Selbst wenn sich jemand verirrt, weiß die Person, dass sie die Goschen zu halten hat. Der Club ist ein Umfeld, in dem ich darüber keine Diskussion dulden will. Sollte jemand damit nicht klarkommen, muss sich die Person eine andere Party suchen.
Müsste das nicht eine übergreifende Aussage sein, die überall gilt?
Gehe ich in Wien auf andere Partys, spüre ich einen ganz anderen Vibe. In unserer Bubble gibt es wenig Homofeindlichkeit, wenig Sexismus und wenige Übergriffe. Am besten sollte jeder Security und jeder Barkeeper dieses T-Shirt anhaben. Meine Mutter trägt das Shirt im Alltag und ist begeistert davon.
Aus dem Radio im Hintergrund plätschert Bilderbuch.
Bilderbuch sind, wie auch Wanda, in Österreich riesig, positionieren sich aber nicht politisch.
Das kritisiere ich. Als der Identitären-Anführer Martin Sellner sich zu Wanda äußerte, hätte sich die Band klar dagegen positionieren müssen. Das ist eine Verantwortung – egal wie klein deine Öffentlichkeit ist.
Siehst du im Techno eine politische Message?
Wenn jemand Techno noch nie gehört hat, dann versteht die Person nicht, um was es bei dieser Musik geht. Für mich war die Musik beim allerersten Mal auch unverständlich. Erst als ich Techno im Clubkontext gehört habe, verstand ich das Unangepasste und das Rebellische in der Musik.
Gibt’s in der Gay-Szene konservative Gruppen, die dich für deine Positionen anfeinden?
Die homosexuelle Szene ist sicher nicht vor Konservatismus gefeit und besteht aus ebenso vielen bornierten Menschen wie die heterosexuelle Techno-Szene. Natürlich ecke ich bei manchen an. Die ärgern sich, wenn ich den Mund aufmache und auf die Regierung schimpfe.
“Wenn mir Leute sagen, sie hätten nichts gegen meine Homosexualität, weil ich mich wie ein Mann verhalte, ist das ziemlich scheiße.”
Gleichzeitig zeigst du auf Fotos gerne deinen muskulösen Körper, deine Tattoos und deinen Kampfhund. Ist diese offensive Darstellung von Männlichkeit für dich ein provokantes Stilmittel?
Das werfen mir manche vor. Ich kann es nicht ganz von der Hand weisen. Wenn mir Leute aber sagen, sie hätten nichts gegen meine Homosexualität, weil ich mich wie “ein Mann” verhalte, ist das trotzdem ziemlich scheiße. Wieso soll ein schwuler Mann, der sich feminin gibt, ein Problem sein?
Es gibt diesen Spruch: We’re all born naked and the rest is drag. Das ist mein Lebenskonzept. Und ich wünsche mir, dass mich meine Mitmenschen nicht nur tolerieren, sondern akzeptieren. Ob mein Auftreten der Geschlechterrolle entspricht, die mir die Gesellschaft zugewiesen hat, ist für mich egal. Ich fühle mich wohl bei dem, was ich mache, und hoffe, dass das alle hinnehmen – auch wenn ich gerne starke Autos, große Hunde und Fußball mag.
Fußball-Fan bist du auch noch?
Bei Arsenal London bin ich seit über zehn Jahren Mitglied. Ich flieg einmal im Jahr nach London und schau mir ein Match an. Das ist ein wichtiger Teil von mir.
Ein wichtiger Teil von dir ist auch dein Künstlername: van der Hint. Was hat es damit auf sich?
Ich bekomme ihn nicht los. Eigentlich war es nur ein Joke für “von hinten”. Später habe ich das auf VDH geändert – mit dem Erfolg, dass noch immer alle “van der Hint” sagen. Auf Instagram bekam ich letztens eine Nachricht von einer Person, die van der Hint hieß. Sie wollte wissen, ob wir verwandt sind. [Lacht]
Der “Meat Market” startete bekanntlich als Veranstaltung für Schwule. Wie sieht es mit der Frauenförderung hinter den Plattenspielern aus?
Das ist ein wunder Punkt von mir. Ich würde die Frauenquote beim “Meat Market” gerne erhöhen, bis jetzt ist mir das nicht gelungen. Es gibt in Wien sehr wenige Frauen, die genau die Musik spielen, die unsere Veranstaltungen auszeichnen. Zum Beispiel Electric Indigo – die kann ich mir nicht bei jedem Event leisten, weil sie zurecht eine höhere Gage verlangt.
International haben wir uns geöffnet und letztes Jahr bewusst mehr Frauen wie zum Beispiel Aleja Sanchez oder Shinedoe gebucht. Natürlich haben wir einen schwulen Hintergrund, es dauert eine Zeit, bis Frauen in dieses Radl hineinkommen. Wir sind bemüht, mehr zu machen.
Siehst du bei sehr hartem Techno eine Geschlechterdifferenz?
Es hat sicher nichts mit dem Musikstil zu tun. Electric Indigo oder Dr. Rubinstein spielen knallharten Techno. Es ist eher ein strukturelles Problem, das schon in der Kindheit beginnt. Wir wachsen mit starren Geschlechterrollen auf. Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung, Transgender-Personen und Homosexuelle – sie alle sind auch im Club unterrepräsentiert. Schau dir das Line-up des Frequency Festivals an. Die Bands mit Frauenanteil kannst du an einer Hand abzählen. Das wird noch viele Generationen dauern, bis sich das umgewälzt hat.
“Die Grelle Forelle gehört zu den besten Clubs der Welt.”
Du veranstaltest neben dem “Meat Market” auch andere Partys. Zum Beispiel das “F*cken Plus” im Werk und “Mutter” im Sass. Wo verlaufen da die Grenzen?
Im Werk wollten wir was Anderes machen als in der Forelle. Beim “F*cken Plus” haben wir zum Beispiel einen Trash-Floor, der ein ganz anderes Publikum anzieht. Zu Beginn haben wir selbst nicht genau verstanden, warum das funktioniert. Fakt ist: Es läuft, wir sind immer voll.
“Mutter” hat es schon vor der Übersiedlung ins Sass gegeben. Wir waren damit davor im Café Leopold und kurz im Dual. Wir verfolgen mit “Mutter” ein housigeres Konzept – viel Vocal-House, Chicago House und Hands Up. Außerdem habe ich mir damit die Möglichkeit geschaffen, meine House-Platten zu spielen.
Welche Vorlieben hast du, wenn es um die Wahl der Location geht?
Ich mach mir keine Feinde und lege mich auf einen Club fest. [Lacht] Die Grelle Forelle gehört mit ihrer Anlage, der Ausstattung, und der räumlichen Anordnung zu den besten Clubs der Welt. Trotzdem verbringe ich manchmal die schönsten Nächte im Werk oder im Fluc. Übrigens: Ich habe die Forelle gehasst, bevor Martin Ho die Pratersauna übernahm.
Was hat sich mit Martin Ho in der Sauna verändert?
Ich war nie mehr dort – obwohl ich fast mein ganzes Leben in der alten Pratersauna verbrachte. Eigentlich hat nur der Meldezettel gefehlt. Wir veranstalteten dort Lesungen und ich brachte Frittenbude das erste Mal nach Wien. Diese Liebe war von einem auf den anderen Tag weg. Als Martin Ho die Sauna übernahm, hab ich nur die Geschichten gehört und wollte nie wieder hin.
“Wir wollten besser sein als eine räudige Afterhour.”
Vermisst du die alte Sauna?
Natürlich, da bröselte der Stuck von den Wänden, alles war abgefuckt – und es gab diese inoffiziellen Afterhours in irgendeinem Raum, in dem man davor noch nie gewesen war. Das war total mystisch.
In der Forelle hast du später das Daytime-Event “52 Degrees” etabliert. Warum?
Für mich gab es das Bedürfnis, untertags zu feiern – und das auf einem hohen qualitativen Niveau. Matt Mor, ein Veranstaltungspartner und ich hatten die Idee. Wir wollten besser sein als eine räudige Afterhour, wo Musik nicht im Vordergrund steht. Und es funktioniert.
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Du bist einer der wenigen österreichischen DJs, der regelmäßig im Berghain auflegt. Was nimmst du von dort für deine Partys in Wien mit?
Für mich ist das Berghain wie die 70er-Jahre in San Francisco. Das Booking ist außerordentlich. Die haben ihre Fühler in Bereichen, von denen andere gar keine Ahnung haben. Sie buchen eben nicht nur den Mainstream, sondern schauen auf Qualität. Gleichzeitig haben sie ihre queere Identität nie aufgegeben. Egal wie touristisch es drinnen ist, du wirst nie einen Zweifel daran haben, dass das ein queerer Safe Place ist.
“Das Werk baut weiter aus. Wir haben damit die Möglichkeit, dort endlich einen ordentlichen Darkroom einzurichten.”
Die Darkrooms aus dem Berghain hast du auch bei deinen Veranstaltungen übernommen.
Darkrooms sind kein zwingender Bestandteil unserer Partys. Sie können aber den Druck, die sexuelle Spannung aus der Party rausnehmen. Wir werden bald eine neue Party veranstalten. Das Werk baut weiter aus, dort gibt es demnächst eine Galerie über dem Mainfloor – und damit die Möglichkeit, im Werk endlich einen ordentlichen Darkroom einzurichten.
Was hältst du von Sex-Positive-Partys, wie sie Hausgemacht in Wien veranstalten?
Das ist sehr gut. Es gab früher schon Sex-Positive-Partys in Wien, zum Beispiel die “Hart aber Herzlich”-Veranstaltungen in der alten Pratersauna. Alle mussten sich zumindest das T-Shirt ausziehen. Das war für die Heute-Zeitung ein Skandal.
Du hast 2017 dein eigenes Label Meat Recordings gegründet, bisher mit respektablen Output, guten Videos und positivem Feedback. Was sind die nächsten Pläne?
Wir bekommen viele tolle Demos, der Stamm mit Matt Mor und Specific Objects soll aber gleich bleiben. Meat Recordings wird nie ein Label sein, dass jeden Monat drei Releases raushaut. Vor Kurzem haben wir die Clubmusik für den Film Nevrland gemacht. Das war viel Arbeit, bei der viele mitgeholfen haben. Die Musik erscheint demnächst bei Meat Recordings.
Am 15. Februar 2019 findet die 10-Jahre-Party von “Meat Market” in der Grellen Forelle und im Werk statt.
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