Gegen zwei Uhr nachts richten Killer der kalabrischen Mafia sechs Italiener hin – nicht in Italien, sondern in Duisburg. Es ist der 15. August 2007, als die Männer vor der Pizzeria Da Bruno in ihre Autos steigen. Auf den Moment haben die drei Mafiosi gewartet. Sie feuern mit ihren Berettas 93 R mehrere Dutzend Kugeln ab. Ein Mafia-Massaker in Deutschland. Eins der Opfer, Tommaso-Francesco V., hat gerade mal zwei Stunden seines 18. Geburtstages erlebt.
Die Morde sind ein neuer Höhepunkt in der Fehde zwischen zwei verfeindeten Mafia-Familien. Niemals zuvor hat die italienische Mafia in Deutschland eine so brutale Abrechnung ausgeführt. Und niemals danach. Zehn Jahre später scheint es, als existiere die italienische Mafia in Deutschland nicht. Das ist ihr Ziel.
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Die Mafia passt sich wie ein Chamäleon seinem Untergrund an, agiert im Verborgenen. Das Netzwerk der italienischen Mafia in Deutschland umfasste im Jahr 2014 mehr als 1.200 mutmaßliche Mafia-Mitglieder und Unterstützer. In Nordrhein-Westfalen vermutet das Landeskriminalamt bei etwa 100 Personen eine Verbindung zur italienischen Organisierten Kriminalität.
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Laut Bundeskriminalamt machen die Mafiosi noch immer das größte Geschäft damit, Kokain zu schmuggeln und zu handeln. Sie fälschen Bargeld, waschen illegale Gelder rein und erpressen andere Barbesitzer. Doch es geht nicht um Schutzgeld wie in Italien. In Deutschland sollen zum Beispiel Gastronomen nicht direkt Geld abdrücken, sondern ihre Einrichtung bei bestimmten Firmen kaufen – hinter denen dann die Mafia steht. So bleibt oberflächlich alles sauber. Solange niemand an die Mafia denkt, läuft ihr Business reibungslos.
Die Morde in Duisburg sind laut Ermittlern in NRW daher eine ungewöhnliche Ausnahme. Sie haben die Aufmerksamkeit der Polizei auf die Mafia gelenkt, etwas, das Mafiosi sonst penibel vermeiden. Der Ermittler Thomas Jungbluth vom Landeskriminalamt in NRW hält die Mafia-Morde laut Welt daher für eine Art Betriebsunfall.
Um die Hintergründe der Morde in Duisburg verstehen zu können, muss man den Spuren des Blutes mehr als zweitausend Kilometer weit in den Süden Italiens folgen. Dort an der Spitze des italienischen Stiefels liegt die Hochburg der kalabrischen ‘Ndrangheta: San Luca, ein kleiner Ort, der keine 4.000 Einwohner zählt.
Seit 1991 liefern sich zwei verfeindete Sippen dort eine Blutfehde. Im Jahr 2006 wird die Frau des Anführers der Familie Strangio-Nirta an Weihnachten getötet und ihr 5-jähriger Sohn verletzt. Ein Bruch mit den Regeln der Mafia, Frauen und Kinder aus den Fehden herauszuhalten. Der mutmaßliche Mörder Marco Marmo flieht und setzt sich nach Duisburg ab. Aber Mitglieder und Anhänger der Strangio-Familie verfolgen ihn und spüren ihn auf.
Die Killer töten auch Sebastiano S., den Besitzer der Nobel-Pizzeria Da Bruno in Duisburg. Er und vier weitere der getöteten Männer waren Mitglieder in der kalabrischen Mafia. Sein Restaurant zog nicht nur Promis wie Thomas Gottschalk an, sondern galt auch als Treffpunkt für ranghohe Mafiosi aus Italien, berichtet die Rheinische Post.
Deutschland gilt für italienische Mafiosi als Rückzugsort, wo sie vor den Mafia-Gesetzen der italienischen Behörden untertauchen können. Hier bleiben sie im Hintergrund. Sie betreiben Pizzerien und andere Geschäfte, auf dem Papier stehen als Besitzer jedoch oft noch unverdächtige Verwandte oder Strohmänner. Das macht die Strafverfolgung mitunter schwieriger.
Zunächst glaubten die Ermittler, dass Deutschland nur zufällig zum Austragungsort der Blutfehde geworden ist. Während der Ermittlungen hat sich – auch durch den verstärkten Austausch mit den italienischen Ermittlern – eine andere Erkenntnis durchgesetzt: Die italienische Mafia hat in Deutschland längst Fuß gefasst.
Das zeigt auch ein Fall aus Hagen. Im Jahr 2011 tötete sich dort ein deutscher Zeuge in der Nacht vor Prozessbeginn selbst. Er soll für die Mafia Morde verübt haben. Bevor er seine Aussage vor Gericht wiederholen konnte, beging er in seiner Zelle Suizid.
In Dortmund und Köln gab es 2014 zwei Gruppen von Sizilianern, die sich das Geschäft der Baumafia untereinander aufteilten. Durch ein ausgeklügeltes System generierten sie über ein Netzwerk aus Scheinfirmen und Scheinrechnungen Schwarzgelder. Hierbei sollen Gelder in Millionenhöhe gewaschen worden sein.
Die Ergebnisse der Ermittler zeigen, dass die italienische Mafia nicht nur ihre Geschäfte, sondern auch ihre Rituale nach Deutschland exportiert hat. Als Beamte nach den Morden das Restaurant durchsuchten, fanden sie ein angebranntes Heiligenbild, das San Michele zeigt. Der Schutzpatron der italienischen Polizei wird bei den Aufnahmeritualen der italienischen Mafia verbrannt. Das Ritual ist eine Drohung, nicht nur gegen die Polizei, sondern auch gegen die eigenen Mitglieder: Wer das Gesetz des Schweigens bricht, soll brennen wie das Bild.
In der Nacht der Morde feierten die sechs Opfer nicht nur den 18. Geburtstag von Tommaso-Francesco, sie zelebrierten auch seine Aufnahme in die italienische Mafia. Mafiosi sein, für zwei Stunden.