Was passiert, wenn man 165 Straßenkünstlern ein verlassenes Gebäude in Berlin überlässt? Das Ergebnis ist ein fünfstöckiges Labyrinth aus urbaner Kunst, das von Künstlern aus der ganzen Welt geschaffen wurde. Klassische Gemälde sucht man hier vergeblich. Tatsächlich fühlt sich THE HAUS mit seiner schummrigen Beleuchtung, Sound-Effekten, 3D-Kunstwerken, entnervenden Porträts, Klebebändern, Stickern und Gerüchen so ganz anders an, als der Besuch in einer herkömmlichen Gallerie.
Bei dem Gebäude handelt es sich um ein verlassenes Bankgebäude am Berliner Ku’Damm. Bis Anfang Juni können sich die Besucher noch an der wilden Indoor-Kunst erfreuen – am 1. Juni soll das Haus dann abgerissen werden und für ein Wohnhaus Platz machen. Und genau diese Vergänglichkeit macht für die Künstler auch den Reiz aus. Bis es soweit ist, kann jeder, der die etwa zweistündige Wartezeit in Kauf nimmt, THE HAUS besuchen.
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Das Projekt mit dem Untertitel “Berlin Art Bang” wurde von den Künstlern mit den Aliases Kimo, Bolle und Jörni ins Leben gerufen, die bereits seit über 20 Jahren in der Berliner Kunstszene zu Hause sind. Da sie sich gleichzeitig um ihre Werbefirma Xi-Design kümmern, übernahm ihre gemeinnützige Crew Die Dixons den Aufbau von THE HAUS. Sie luden ihr großes Netzwerk an Künstlern ein, sich an dem Projekt zu beteiligen und füllten das Gebäude mit vergänglicher, erlebbarer Kunst – die in diesem Aspekt der Street Art sehr ähnlich ist, wie mir Kimo erklärt.
Das Interview mit Kimo führte ich in einem Hinterraum, in dem sich Sprühdosen, Bier und andere Kunstutensilien bis zur Decke stapelten. Später erfuhr ich, dass es sich hierbei ausschließlich um Spenden handelt. Die Baumaterialien kommen von einem Berliner Bauunternehmen, das Bier wurde von Berliner Pilsner gespendet. Ein 4-Sterne-Hotel hatte sogar alle Künstler für einen gewissen Zeitraum kostenlos bei sich einquartiert. Kimo betont jedoch, dass das kein Marketing-Gag sei: “Wir wollen, dass die Künstler respektiert werden. Sie sollen entscheiden, was sie wann sagen und wann ihre Arbeiten zu sehen sind. Darum wurde auch niemand bezahlt und nichts hier ist käuflich.”
Kimo erklärt mir außerdem, wie Die Dixons zustande kam: “Wir haben genauso angefangen, wie jeder Straßenkünstler – illegal. Mit der Zeit bauten wir unsere Fähigkeiten weiter aus und suchten uns Jobs. Nun haben wir 20 Jahre später unsere eigene Firma Xi-Design. Darum verfügen wir auch über ein großes Netzwerk, das nicht nur aus Künstlern sonder auch aus Marken und Agenturen besteht. Die Leute kennen uns also und wissen, dass wir vertrauenswürdig sind, wenn es um große Projekte geht.” Für keinen der Beteiligten war es ein Problem, dass das Projekt vergänglich sein würde. “Wir malen die ganze Zeit, die Werke werden entfernt und neue Kunst nimmt ihren Platz ein. So funktioniert das. Wir machen das nicht, weil die Werke bestehen bleiben – wir wollen uns verbessern, mit neuen Materialien, an neuen Orten und in anderen Dimensionen arbeiten.”
Die Künstler waren von Mitte Januar bis Anfang März im Haus beschäftigt. Sie schlafen, aßen und arbeiteten fast ununterbrochen gemeinsam am Projekt. “Wir gaben den Künstlern ein paar Regeln vor”, erklärt Kimo. “Kein Fleisch, kein Hass, kein Bullshit. Wir wollten nicht, dass es dauernd heißt ‘Fuck Trump, fuck dies, fuck das’. Wenn dein Kunstwerk eine politische Botschaft hat, die jeder für sich interpretieren kann, ist das voll in Ordnung. Aber bei 165 Künstlern wollten wir nicht, dass ihre Werke miteinander im Konflikt stehen. Als eine Art Familien-Projekt wollten wir den Leuten zeigen, was wir können, wie professionell und hochqualitativ Street Art sein kann. Man kann immer noch sehr viel erreichen, ohne andere Leute anzugreifen.”
Unter den Künstlern ist alles vertreten: Berliner und internationale Aktivisten, etablierte Künstlerkollektive und Neueinsteiger, Einzelkämpfer und Nonprofit-Riesen. Die Solokünstlerin Urzula Amen füllte beispielsweise ein nachgebautes Lebensmittelgeschäft mit Warnhinweisen, die an die Label auf Zigarettenpackungen erinnern. Ein paar Zimmer weiter hat die International Justice Mission einen Raum in ein Indisches Bordell verwandelt, in dem Besucher mit einer VR-Brille einen Einblick in das Elend einer Prostituierten bekommen.
Mobiltelefone und Kameras dürfen in der Ausstellung nicht benutzt werden. Kimo erklärt, dass die Besucher sich stattdessen auf ihre Augen und Emotionen konzentrieren sollen, wenn sie die Räume betreten. “Hört auf, euch die Dinge durch eure Smartphones oder im Internet anzuschauen. Erlebt sie einfach selbst und konzentriert euch auf den Augenblick.”
Momentan schauen sich Die Dixons nach einem passenden Standort für ein neues HAUS um. “Wir haben schon Anfragen aus Belgien, den Niederlanden und anderen Ländern erhalten”, meint Kimo. “Alle sagen, dass sie ein Gebäude für uns haben. Das wird sicherlich nicht das letzte HAUS bleiben.”
THE HAUS wird Anfang Juni abgerissen werden. Einen Etagenplan und eine Künstlerübersicht findet ihr auf der Website von THE HAUS und auf Instagram @thehausberlin.