Google Maps weiß nicht nur eine Menge über die Adressen und Orte auf der Welt, sondern auch über die Menschen, die sie besuchen. Eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer lassen sich von der populärsten Navigationsapp sagen, wo’s langgeht, pendeln zwischen Arbeit und Zuhause, besuchen Freunde, gehen zur Ärztin. Von außen betrachtet kartografiert Google Maps den Planeten, hinter den Kulissen kann die App die Bewegungen der Menschheit kartografieren.
Nur weil Google Maps die Macht hätte, uns auf Schritt und Tritt zu verfolgen, heißt es nicht, dass Google Maps diese Macht auch einsetzt oder gar missbraucht. Google Maps pauschal als gefährlich zu bezeichnen, das wäre übertrieben. Andererseits steht hinter der App einer der mächtigsten, Datenkonzerne der Welt – mit Firmensitz in einem Land, das einige der mächtigsten Geheimdienste der Welt beherbergt.
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Als gruselig lässt sich Google Maps mindestens bezeichnen. Denn die Plattform nutzt eine Menge Tricks, um uns möglichst unauffällig private Informationen zu entlocken, die für die Funktionsweise der App nicht unbedingt nötig wären.
1: Google Maps will auf Krampf deinen Suchverlauf auswerten dürfen
Google hat eine fantasievolle Sprache erfunden, um Tracking und Überwachung in schöne Worte zu kleiden. Ein Beispiel dafür ist der Schwurbelbegriff “Web- & App-Aktivitäten“. Dazu zählen Google zufolge “unter anderem Suchanfragen und verknüpfte Informationen wie der Standort”. Genutzt wird das zur “Optimierung der Suchergebnisse und -vorschläge sowie der Personalisierung in allen Google-Diensten”. So steht es bei der Einrichtung eines neuen Google-Accounts.
Im Klartext bedeutet das für Google-Maps-Nutzer: Jeder verdammte Ort, den du mal in der App eingegeben hast – ob Stripclub, Dönerbude, Assessment Center oder Treffpunkt mit dem Dealer –, kann akribisch gespeichert werden und in Googles Auswertungen einfließen. Die Speicherdauer beträgt nach Angaben von Google 18 Monate.
Offenbar weiß Google, dass ein gewöhnlicher Mensch bei dem Thema nicht sofort singt: “Da simmer dabei, dat is prima.” Der Konzern wendet psychologische Tricks an, sogenannte Dark Patterns, um dich dazu zu bringen, den nötigen Mausklick freiwillig zu machen. Wir haben das für diesen Artikel ausprobiert und einen neuen Google-Account angelegt.
Nachdem wir dem neuen Account einen Namen gegeben haben, mussten wir durch einen Text mit der Überschrift “Datenschutz und Bedingungen” scrollen. Erst dann konnten wir auf den blauen Button “Konto erstellen” klicken. Plötzlich öffnete sich ein Popup mit dem ominösen Titel “Einen Moment noch…”.
In dem Pop-up stand in kleiner, grauer Schrift etwas von “personalisierten Funktionen”. Ein großer, blauer Button namens “Bestätigen” lud uns dazu ein, dieses nervige Pop-up schnell loszuwerden. Aber das war eine Falle.
Mit dem Klick auf den Button hätten wir den oben erwähnten “Web- & App-Aktivitäten” zugestimmt. Der alternative Weg war beschwerlich: Zuerst mussten wir auf den unscheinbaren Button “Weitere Optionen” klicken. Es öffnete sich eine neue Seite mit noch mehr Datenschutz-Erläuterungen. Dort mussten wir gezielt die “Web- & App-Aktivitäten” deaktivieren.
Wer Pick-up-Artists für manipulative Wichser hält, dürfte von diesen Tricks auch nicht gerade angetan sein. Offenbar möchte es uns Google so schwer wie möglich machen, Dienste mit privatsphärefreundlichen Einstellungen zu verwenden.
Wir haben der Pressestelle von Google eine Liste mit zwölf Fragen zu Google Maps geschickt. Als Antwort erhielten wir zunächst ein allgemeines Statement einer Sprecherin, das inhaltlich nicht direkt auf unsere Fragen eingeht. Darin heißt es unter anderem, Google setze auf “Einstellungen, die leicht zu finden und zu bedienen sind”. Das Unternehmen habe “das feste Ziel”, die “Erwartungen zu erfüllen”, dass Nutzerinnen und Nutzer die Verwendung von Daten verstehen und selbst kontrollieren können.
In einem zweiten Teil der E-Mail geht die Google-Sprecherin zwar näher auf unsere Fragen ein, möchte aber nicht öffentlich zitiert werden. Sinngemäß erklärt Google, dass die von uns kritisierten Einstellungen sorgfältig entwickelt worden seien, dass Google für Feedback offen sei und das Nutzerinnen und Nutzer die Kontrolle über ihre Daten hätten.
2: Google Maps verweigert dir ein wichtiges Feature, wenn du deinen Suchverlauf nicht freigibst
Wenn du Google Maps am Handy öffnest und oben rechts einen bunten Kreis siehst, dann nutzt du die App im eingeloggten Modus mit deinem Google-Account. Dabei ist das gar nicht notwendig. Du kannst dich einfach ausloggen. Aber Überraschung: Der Logout-Button ist gut versteckt. Der Klickweg lautet: App-Menü öffnen > Einstellungen > runterscrollen > Aus Google Maps abmelden.
Leider erweist sich Google Maps auf dem Handy ohne Login als unpraktisch. Du musst Adressen immer neu eintippen, kannst häufig besuchte Orte nicht hinterlegen. Das nervt spätestens, wenn du es mal eilig hast. Technisch gesehen wäre es überhaupt kein Problem, deine meistbesuchten Orte lokal auf deinem Gerät zu speichern, ohne dass Google diese Infos bei sich speichern und auswerten müsste. Aber Google lässt das nicht zu.
“Keine Lust auf Tippen?”, fragt Google Maps etwas scheinheilig und präsentiert dir den Button für den Login mit deinem Google-Account. Interessant, wie sichtbar sich so ein Button plötzlich platzieren lässt, wenn Google wirklich möchte, dass du ihn drückst.
Wenn du nun genervt den Login über dich ergehen lässt, probiert Google es erneut mit dem Zugriff auf deine “Web- & App-Aktivitäten” – jene Infos, die dir der Konzern schon bei der Registrierung abschwatzen wollte. “Web- & App-Aktivitäten sind deaktiviert”, beschwert sich Google Maps nun in einer Anzeige unter dem Suchfenster. Erst wenn du die Freigabe erteilst, lässt dich Google Maps endlich deine Wohnadresse und deinen Arbeitsplatz eintragen.
3: Google Maps möchte ein Bewegungsprofil von dir erstellen
Google Maps hat ein Talent, dir die Gefährdung deiner Privatsphäre als freundliche Dienstleistung zu verkaufen. Das beste Beispiel dafür ist ein Feature namens “Meine Zeitachse”. Zur Erklärung heißt es: “Rufe dir die besuchten Orte und die zurückgelegten Routen in deiner Zeitachse erneut in Erinnerung”. Da kommt ja richtig Nostalgie auf.
Mit dem Feature kannst du deine Reiserouten farblich hervorgehoben auf Google Maps studieren – inklusive der Info, ob du etwa zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs warst. Für die Inseltour auf Lanzarote mag das charmant sein, für dein Privatleben am Wochenende vielleicht weniger.
Die Kehrseite von “Meine Zeitachse”: Dein Bewegungsprofil liegt bei Google, und es ist damit auch kinderleicht abrufbar für alle Menschen, die Zugriff auf deinen Account bekommen. Das müssen nicht nur Hacker sein. Google darf deine Daten auch der Polizei offenlegen, wenn die Beamten das gut begründen. “Unsere Rechtsabteilung prüft jedes Ersuchen im Einzelfall”, heißt es auf der Infoseite zu diesem Thema.
Im Transparenzbericht macht Google öffentlich, wie oft Behörden bei dem Konzern nach Daten fragen: Allein im zweiten Halbjahr 2019 gab es in Deutschland demnach mehr als 11.000 Ersuchen um Offenlegung von Nutzerdaten, betroffen waren mehr als 18.000 Accounts. In der Mehrheit der Fälle, 70 Prozent, seien Nutzerdaten offengelegt worden.
Wer das nostalgische Feature “Meine Zeitachse” trotzdem in vollem Umfang haben möchte, verwandelt sein Smartphone mal eben in einen Google-Peilsender. Für “Meine Zeitachse” muss nämlich der “Standortverlauf” aktiviert werden. Was das bedeutet, erklärt Google so: “Die Orte, die Sie mit Ihrem Gerät aufsuchen, werden gespeichert, selbst wenn Sie gerade keinen Google-Dienst nutzen”. Wie das im Detail abläuft, erklärt Google hier.
Der Standortverlauf ist auch praktisch, wenn man ständig das Smartphone verliert und es orten möchte. Andererseits kann man sich mal fragen: Gibt es irgendeinen Menschen, dem man jederzeit freiwillig den eigenen Standort durchfunken würde? Wenn nein, warum sollte man das dann für Google tun?
4: Google Maps bittet dich, öffentlich preiszugeben, wo du gern abhängst
Bewertungen von Google-Nutzenden können super praktisch sein, etwa wenn man spontan die beste Falafelbude in Fußnähe testen möchte. Dass solche Bewertungen aber mit dem eigenen Google-Konto verknüpft werden, ist für die Privatsphäre weniger super.
Man muss nur ein paar Sekunden suchen, um in öffentlichen Google-Bewertungen sensible Infos zu finden. Zum Beispiel hat ein Nutzer – wie es scheint mit Klarnamen – über einen Berliner Supermarkt geschrieben: “Sei es der regelmäßige Einkauf für die Familie oder auch der Spaziergang nach dem Essen. Ich bin ungefähr 2-3 mal die Woche dort und das seit über 4 Jahren.”
Ziemlich viel private Infos für einen öffentlichen Post. Wenn ein Geheimdienst eine Zielperson observiert, muss man all das erst einmal rausfinden. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass viele Menschen solche Bewertungen mit ihrem vollem Namen verfassen: Schließlich nutzt man Google Maps mit seinem Google-Account, der automatisch mit GMail verbunden ist, und da möchte man sich ungern Daisy Duck nennen.
Google Maps verführt seine Nutzerinnen und Nutzer geradezu, mal schnell eine öffentliche Bewertung abzugeben. “Teile deine Erfahrungen, um anderen zu helfen”, heißt es in der App, wenn man sich einen Ort näher anschaut. Das sind gleich zwei rhetorische Kniffe auf einmal: Zuerst die direkte Aufforderung im Imperativ, dann der Appell an die eigene Solidarität.
Während Nutzende auf diese Weise den Wissensschatz von Google erweitern, wächst auf ihrem öffentlich einsehbaren Profil eine Liste mit Orten, die sie schon besucht haben. Nutzer auf Google Maps haben ein eigenes “Profil”, wie bei Facebook. Je mehr Infos sich dort ansammeln, desto leichter lässt sich abschätzen, ob jemand die Orte nur kurz im Urlaub besucht hat, oder ob er offenbar in der Nähe wohnt und dort häufiger rumläuft.
Eindeutig nicht zu empfehlen ist dieses Feature für Menschen, die jetzt oder in Zukunft verfolgt werden könnten, sei es, weil sie gestalkt werden oder weil Rechtsextreme ein Problem mit ihnen haben.
Die Sichtbarkeit der öffentlichen Einträge im Google-Maps-Profil lässt sich immerhin nachträglich einschränken. Der Klickweg dorthin ist so simpel und intuitiv, dass man ihn fast gar nicht erwähnen muss: Profil-Symbol > Mein Profil > Profil bearbeiten > Profil- und Datenschutzeinstellungen > Runterscrollen > Beiträge in meinem Profil anzeigen.
5: Google Maps mag es nicht, wenn du offline bist
Erinnerst du dich noch an alte Autonavis ohne Internetverbindung, die ihr Kartenmaterial von einer SD-Karte gelesen haben? Rein technisch gesehen müsste auch Google Maps nicht mit dem Internet verbunden sein, um dich zu navigieren. Wer auf aktuelle Verkehrsinfos verzichtet, könnte allein mit GPS und Offline-Karten ans Ziel kommen.
Google scheint davon nicht besonders viel zu halten. In der App lassen sich zwar Offline-Karten hinterlegen, die Offline-Navigation funktioniert aber nur für Autorouten. Routen für Fußgänger und Radfahrerinnen kann die App angeblich ohne Internet nicht berechnen. Für einen Tech-Giganten wie Google sollte das keine schwere Aufgabe sein. Aber offenbar besteht wenig Interesse, Nutzerinnen und Nutzern dabei zu helfen, den Datenstrom zu begrenzen.
6: Google betont immer wieder, dass alles nur zu deinem Besten ist
Wirklich sicher vor Missbrauch sind allein Daten, die nie erhoben wurden – so einen Satz wird man in den Datenschutzbestimmungen von Google wohl so schnell nicht lesen. Stattdessen unternimmt Google alle Anstrengungen, um das Datensammeln als einen Segen für die Menschheit zu verkaufen.
“Googles größtes Anliegen ist es, Ihnen als Nutzer einen sinnvollen Mehrwert zu bieten. Dabei spielen Standortinformationen eine wichtige Rolle”, heißt es auf einer Infoseite. “All das macht Google-Produkte und -Dienste für Sie relevanter und nützlicher.”
Auf derselben Infoseite liefert Google ein Beispiel, wie der “sinnvolle Mehrwert” aussehen könnte: “Wenn Sie den Standortverlauf aktiviert haben und beispielsweise regelmäßig Skigebiete besuchen, sehen Sie eventuell später eine Werbeanzeige für Skiausrüstung, wenn Sie ein Video auf YouTube abspielen.” Wie nützlich!
Für Werbetreibende hat Google ein weiteres Bonbon parat. Google darf “anonymisierte und aggregierte Daten” aus deinem Standortverlauf nutzen, damit Firmen ermitteln können, wie oft sie mehr “Besuche in ihren Ladengeschäften” erzielen.
Ein Beispiel nennt Google in diesem Fall leider nicht, das müssen Nutzer sich dann wohl selbst ausdenken. Konkret könnte das wohl heißen: Wenn du den oben erwähnten Werbeclip für eine neue Skibrille geschaut hast und dann in das Sportgeschäft gehst, das diese Brille anbietet, könnte Google genau das tracken und dem Werbekunden Bescheid sagen – natürlich “anonymisiert und aggregiert”. Wie nützlich!
Es gibt Alternativen zu Google Maps, aber keine optimale
Manchmal gibt es gute Alternativen für problematische Apps – zum Beispiel im Fall von WhatsApp. Bei Google Maps sieht die Lage aber anders aus. Eine weniger invasive Navigationsapp für iOS und Android mit annähernd praktischen Funktionen gibt es derzeit wohl nicht.
Zwar bietet Apple Maps strengere Privatsphäre-Features, für den Marktführer Android ist die App aber nicht verfügbar. Einen Blick wert sind noch Here WeGo und die App OsmAnd, die auf Kartenmaterial von OpenStreetMap basiert. Beide Anbieter verzichten aber auch nicht vollständig aufs Sammeln von Nutzerdaten – und sie kommen nicht an Google Maps heran, wenn es um umfangreiche, aktuelle Informationen geht. Zumindest ein nützliches Feature hat OsmAnd der Konkurrenz von Google voraus: Offline-Navigation für Fußgängerinnen.
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