Am Anfang sollte es für die Frauen ein ganz normales Mode-Shooting werden. Kurz vor dem vereinbarten Termin, die Flugtickets waren schon gebucht, kam eine Planänderung: Sie würden doch einen Porno drehen. Die Videos würden nur auf DVD in Australien erscheinen, hieß es, exklusiv für private Sammler. Dazu gab es noch ein paar Nummern von vermeintlichen Ex-Darstellerinnen, die beteuerten, wie vertrauensvoll und nett der Darsteller und das Team doch seien.
Am Ende entpuppte sich der Dreh als psychische und körperliche Tortur. Es wurden Sachen verlangt, die man zuvor ausdrücklich abgelehnt hatte. Die Videos landeten doch im Internet – auf der Bezahlseite Girls Do Porn und auf Pornhub, der größten Pornoseite der Welt. Zusätzlich gelangten über die Seite PornWikiLeaks, auf der Girls Do Porn zeitweise beworben wurde, Klarnamen und Adressen der Frauen ins Internet. Die Folge: Die Videos kursierten in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, auf der Arbeit und unter ihren Kommilitonen. Die Frauen wurden massiv von Fremden belästigt, gestalkt und von ihren Familien geächtet. Girls Do Porn hatte ihre Leben zerstört.
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VICE-Video: Der qualvolle Kampf gegen Rachepornos
Jahrelang konnte Girls Do Porn ungehindert operieren, bis das FBI im Oktober 2019 die Betreiber wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung anklagte. Der Besitzer, Michael Pratt, floh und gehört seitdem zu den meistgesuchten Menschen des FBI. Vergangenen Monat bekannte sich der männliche Darsteller der Videos, Andre Garcia, schuldig. Ihm droht lebenslange Haft. Bereits Anfang des Jahres hatte ein Zivilgericht die Betreiber der Firma zu 12,7 Millionen US-Dollar Schadenersatz für 22 Frauen verurteilt wegen Zwang, Betrug und Nötigung. Jetzt wollen es die Geschädigten auch mit Pornhub, beziehungsweise dessen Mutterkonzern Mindgeek aufnehmen.
40 Frauen werfen dem Konzern vor, wissentlich finanziell von den Girls-Do-Porn-Videos auf Pornhub profitiert und die Verbreitung der Inhalte auf seinen Seiten nicht entsprechend moderiert zu haben.
Insgesamt verlangen die Geschädigten über 40 Millionen US-Dollar Schadensersatz – mindestens eine Million pro Klägerin – sowie das Geld, das Mindgeek mit dem Hosten und Bewerben der Videos verdient hat. Außerdem soll der Konzern die Kosten des Verfahrens tragen.
Die 43 Seiten lange Klageschrift, die am 15. Dezember am Bezirksgericht von Südkalifornien eingereicht wurde, beschreibt im Detail, was die mutmaßlichen Girls-Do-Porn-Geschädigten erlitten haben. Jede der 40 Klägerinnen sei durch die Belästigung und die Ächtung, die sie durch das nicht einvernehmliche Verbreiten der Videos im Internet erlebt hatte, suizidgefährdet gewesen.
Die Klägerinnen geben Mindgeek einen großen Teil der Schuld. Bereits 2009 “und definitiv im Herbst 2016” habe der Konzern gewusst, dass Girls Do Porn Frauen nötige und einschüchtere, damit sie Sex vor der Kamera haben, lautet ein Vorwurf. Mehrere Frauen geben an, dass Pornhub die Videos nicht runtergenommen habe, selbst als sie diese der Seite meldeten und das Unternehmen baten, sie zu entfernen.
Eine Klägerin, die namentlich nicht genannt wird, gibt an, dass sie Pornhub über das Video-Lösch-Portal kontaktiert habe. “Ich bringe mich um, wenn das hier weiter online bleibt”, soll sie geschrieben haben. “Ich wurde reingelegt. Mir wurde gesagt, dass das nur auf DVDs in einem anderen Land erscheinen würde. Bitte, Ich flehe sieh an. Ich zahle auch!” Tage später schrieb sie an Tube8, eine weitere Mindgeek-Seite: “Die haben mich reingelegt und mir gesagt, dass es nur auf DVDs in einem anderen Land erhältlich sein würde. Bitte, es zerstört mein Leben.”
Ein Jahr später, als das Video immer noch bei Pornhub zu sehen, habe die Klägerin die Seite wieder angeschrieben:
“Ich wurde reingelegt. Diese Firma hat mich angelogen, dass es nicht im Internet landen würde! Sie haben mir gesagt, dass es nur in Australien auf DVD erhältlich sein würde. Meine Arbeit, Freunde und Familie wissen es alle und dieser Link hier wird rumgeschickt. Ich will nur noch sterben.”
Die Klägerin sagt, das Video sei online geblieben, bis die Girls-Do-Porn-Inhaber im Oktober 2019 vom FBI verhaftet wurden. Die Klägerinnen gehen davon aus, dass Mindgeek im Laufe der Jahre “Dutzende, wenn nicht Hunderte” ähnliche Lösch-Anfragen von Geschädigten bekommen habe.
“Girls Do Porn (und Mindgeek) wussten, dass die ohne Zustimmung erfolgte Veröffentlichung der Sexvideos die Leben der Opfer auf den Kopf stellen würde”, heißt es in der Klageschrift. “Einmal veröffentlicht wurden die Geschädigten brutal von Bekannten und Fremden belästigt, in ihren eigenen Gemeinschaften zu Ausgestoßenen gemacht. Die Geschädigten wurden von ihren Freunden und der Familie geächtet, viele verloren ihre Arbeit und einige wurden von ihren Universitäten exmatrikuliert. Die unerbittliche Belästigung habe bei allen Betroffenen Suizidgedanken ausgelöst und manche haben sogar versucht sich umzubringen.”
Die Klageschrift beschreibt allerdings nicht nur die Traumata der Frauen, sondern erhebt auch neue Vorwürfe gegen Girls Do Porn und den Geschäftspartner Mindgeek, insbesondere Pornhub. Um 2018 herum, während bereits das Verfahren gegen Girls Do Porn vorbereitet wurde, soll Mindgeek versucht haben, Girls Do Porn zu kaufen. Das Unternehmen machte allerdings einen Rückzieher, als es von den Betrugsvorgängen erfuhr.
Diese Erkenntnis soll Mindgeek allerdings nicht davon abgehalten haben, weiter mit Girls Do Porn zusammenzuarbeiten und ihre Filme zu bewerben, heißt es in der Klageschrift. Im August 2019 konfrontierte VICE Pornhub mit der Frage, warum die Seite weiterhin Girls Do Porn als Content Partner führe, obwohl der Firma von vielen Frauen schwere Anschuldigungen wie Vergewaltigung und Betrug vorgeworfen wurden.
Als Pornhub zwei Monate später, nach der Anklage durch das FBI, den offiziellen Girls-Do-Porn-Kanal endlich von der Seite nahm, blieb der Partnerkanal Girls Do Toys, in dem viele derselben Frauen zu sehen sind, weiter abrufbar. Girls Do Toys überstand sogar die große Pornhub-Reinigungswelle vom vergangenen Wochenende, bei der die Seite fast 75 Prozent aller Inhalte löschte. Erst nach Veröffentlichung dieses Artikels in den USA am 16. Dezember ist auch Girls Do Toys von Pornhub verschwunden.
Vergangene Woche hatte Pornhub seine Nutzungsbedingungen geändert. Ab sofort können nur noch verifizierte Accounts Inhalte hochladen. Im Zuge dessen entfernte die Seite über zehn Millionen Videos und versprach, die Inhalte stärker zu moderieren. Vorangegangen war ein Artikel der New York Times und Anschuldigungen, dass sich Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen sowie nicht einvernehmlich gedrehte Videos auf der Plattform befinden. Dieser wichtige Schritt, den viele in der Industrie schon seit Jahren fordern, kam aber anscheinend zu spät. Wenige Tage nach den Änderungen hörten Mastercard und Visa auf, Zahlungen für Pornhub abzuwickeln. Darstellende, die auf der größten Pornoseite der Welt legal Geld verdienen, sagen, dass dieser Schritt vermeidbar gewesen wäre. Für viele stehe ihr Lebensunterhalt auf dem Spiel.
Pornhub hat sich gegenüber VICE nicht zu dem Fall geäußert.
Die volle Klageschrift kannst du hier oder weiter unten lesen.