Wisst ihr noch, als die Corona-Pandemie begann und plötzlich alle zu Sauerteig-Spezialisten wurden? Wenn man dank Lockdown sonst nichts zu tun hat, kämpft man eben mit Fermentation gegen die Langeweile in den eigenen vier Wänden.
Eine Frau, die sich schon lange vor Corona mit Fermentation beschäftigt hat, ist Florencia Juárez Marrades. Die 26-jährige Argentinierin ist Expertin für altertümliches Kochen. Sie hat sich dabei ganz der natürlichen Herstellung von Alkohol verschrieben – und greift dafür auf uralte Methoden und Techniken zurück. Uralt bedeutet hier wirklich uralt: Archäologische Aufzeichnungen zeigen, dass man wohl rund 4.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung damit angefangen hat, aus Malz und Hefe Bier und Brot herzustellen.
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Juárez und ihr Partner Nelson Ortega wollen das Altertümliche in die Moderne holen. “Wir haben Geschmäcker zurückgebracht, die längst in Vergessenheit geraten sind”, sagt sie. Ihre Spezialität ist das Bier des Altertums. Was dieses vom heutigen Gerstensaft unterscheidet, ist die Hefe. “Wir benutzen nur wilde Hefe, die aus Zutaten kultiviert wird, die jeder zu Hause hat”, sagt Juárez.
Alkoholische Fermentation – auch als Gärung bekannt – ist ein chemischer Prozess, bei dem Hefe Zucker in Alkohol verwandelt. Während praktisch jede Hefeart essbar ist, eignen sich nicht alle wirklich gut dafür, genießbares Bier zu brauen. “Einige Hunde jagen gerne, andere beschützen lieber das Haus. Hefe ist da ähnlich unterschiedlich”, sagt Juárez. “Wenn wir Alkohol fermentieren wollen, müssen wir Hefearten verwenden, die in zuckerigen Umgebungen gedeihen.”
Viele Nahrungsmittel können fermentiert und in Alkohol verwandelt werden, aber Bier besteht in der Regel aus fermentiertem Getreide. “Ich kann Bier aus Reis, aus Weizen oder aus Quinoa herstellen”, sagt Juárez. “Wenn ein Getreidebaustein, ein Zuckerbaustein und ein fermentativer Baustein zusammenkommen, erhält man Bier.”
Für die altertümliche Herstellung von Bier ist es allerdings unabdingbar, dass man genau weiß, wie man die vielen verschiedenen Hefearten richtig einsetzt. Mit anderen Worten: Du solltest das besser Profis überlassen. Stattdessen kannst du dich aber an selbst gemachtem Met probieren, dem auf Honig basierenden nahen Verwandten von Bier. Dafür hat Juárez ein einfaches Rezept parat.
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Du brauchst rund 2,5 Liter gefiltertes Wasser oder Sprudel und zwischen 800 und 1.000 Gramm unverarbeiteten Honig. Das ist alles.
Vermische das Wasser und den Honig in einem großen, weithalsigen Gefäß, das du danach mit einem Tuch abdeckst. Wichtig dabei ist, dass immer noch Luft in das Gefäß kommt. Nach einigen Tagen werden sich Blasen bilden. Rühre die Mischung zweimal täglich um, damit sie mit Sauerstoff angereichert wird.
Bei dieser ersten Fermentation geht es darum, dass jeden Tag Luft an die Wasser-Honig-Mischung kommt, damit sich die Hefe im Honig vermehrt. Zwischen dem zwölften und fünfzehnten Tag wird das Honigwasser bereits nach Alkohol riechen. Durch kleine Kostproben solltest du überprüfen, dass die Süße immer weiter abnimmt.
In diesem Braustadium sollte dein Met einen Alkoholgehalt von etwa vier Prozent haben. Für eine exakte Angabe während dieser und der darauffolgenden Fermentationsphase empfiehlt Juárez ein Hydrometer. Mit diesem Gerät messen Brauerinnen und Brauer, wie viel des Zuckers in einem Getränk schon in Alkohol umgewandelt wurde.
Wenn dein Met härter reinhauen soll, musst du das Gefäß jetzt luftdicht verschließen und dein Honiggebräu ohne Sauerstoff zwischen drei Monaten und einem Jahr weiter fermentieren lassen. Das nennt man die zweite Fermentation, bei der sich vor allem der Alkoholgehalt erhöht. Danach bist du fertig und kannst bei deiner nächsten Dinnerparty ordentlich angeben.
Ein weiterer Unterschied zwischen altertümlichem Bier und dem Sixpack, den du im Kiosk um die Ecke kaufst, ist die Pasteurisierung. Kommerziell gebrautes Bier muss so sauber und keimfrei wie möglich sein, damit man es in Massen produzieren und auf der ganzen Welt verkaufen kann. Deswegen werden die fertig befüllten und verschlossenen Flaschen und Dosen in den Brauereien mit heißem Wasser bespritzt und dabei erhitzt. Dabei werden Bakterien abgetötet, und die Hefe vermehrt sich nicht weiter.
Juárez sagt, dass bei dem Bier, das sie und ihr Partner herstellen, diese Pasteurisierung nicht zwingend nötig sei. Sie behauptet sogar, dass die von ihnen verwendeten wilden Hefen im Gegensatz zu kommerziell eingesetzten Hefearten “resistent gegen Verunreinigungen” seien.
In der Forschung ist man sich da allerdings nicht so sicher. Unser Wissen über die Fermentation von wilder Hefe ist ohnehin eher begrenzt. Laut einer Studie von 2014 seien wilde Hefen, die bei spontaner Fermentation auftreten, “im Allgemeinen gebrauchssicher”. Einige könnten jedoch “potenziell schädliche Verbindungen” produzieren – etwa Nervengifte.
Weltweit begeistern sich immer mehr Menschen für altertümliches Handwerk und wollen uralte Rezepte zurückbringen, bei denen Pasteurisieren keine Rolle spielt. Sie glauben, dass die Menschheit im Laufe der Geschichte allen möglichen Bakterien ausgesetzt war und dass unsere gegenwärtige Obsession, alle Mikroorganismen aus unserem Essen und Trinken zu entfernen, schädlich für unser Immunsystem sein könnte.
Genauso wie quasi unbehandelter Naturwein ist nicht pasteurisiertes Bier inzwischen in vielen angesagten Kneipen zu finden. Das ist auch gesundheitlich unbedenklich, solange das Bier stets gekühlt und kurz nach der Herstellung getrunken wird. Zwar kann man es theoretisch auch abfüllen, aber es ist eben bei Weitem nicht so lange haltbar wie massenproduzierte Getränke.
Aus diesem Grund hat es bisher auch noch niemand geschafft, die Massenproduktion von altertümlichem Bier zu meistern. Im Gespräch mit Juárez bekommt man aber das Gefühl, dass dieses Bier genau deswegen so reizvoll für sie ist. “Wenn du etwas in großem Umfang verkaufen willst, brauchst du einen standardisierten Geschmack, der immer gleich ist”, sagt sie. “Bei wildem Bier hingegen schmeckt jede Flasche anders.”