Menschen

Die Gletscher im Himalaya könnten bald noch schneller schmelzen

Geplante Industrieprojekte bedrohen die Umwelt und den Lebensraum vieler Menschen in dem Gebirge. Wir haben mit ihnen über die Umweltkatastrophe gesprochen, die sich dort gerade abspielt.
Shamani Joshi
Mumbai, IN
Ein schmelzender Gletscher im Himalaya
Dieses Foto vom 22. November 2018 zeigt den Austrittskanal des Imja-Gletschersees in der Everest-Region des Solukhumbu-Bezirks, etwa 140 Kilometer nordöstlich von Kathmandu || Foto: Prakash Mathema | AFP

Es ist Zeit für ein Umdenken. Am Global Day of Climate Action veröffentlicht VICE ausschließlich Geschichten zur aktuellen Klimakrise. Hier erfährst du mehr über die jungen Klimaaktivistinnen aus der ganzen Welt und was du selber unternehmen kannst.

Dawa Steven Sherpa erinnert sich allzu gut an jenen Abend im August 2017. Der Bergsteiger und Umweltaktivist war gerade in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu, als er von einer Organisation für Umweltforschung eine Warnung erhielt: Das nepalesische Dorf Chukung am Fuß des Mount Everest sei kurz davor, von einer Flut Schmelzwasser überschwemmt zu werden.

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"Die Wand des Imja, einem Gletschersee, der sich direkt über dem Dorf meiner Sherpa-Community befindet, war gebrochen. Ich sollte die Menschen sofort evakuieren", sagt Steven zu VICE. Es war zu einem Gletscherlauf gekommen, einer der gefährlichsten Folgen der Gletscherschmelze.


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Als Bergsteiger, der den Mount Everest schon dreimal bestiegen hat, hat Steven die schädlichen Auswirkungen der Industrialisierung auf das Hochgebirge mit eigenen Augen gesehen. "Wenn du den Schnee im Himalaya schaufelst, siehst du eine Schicht schwarzen Ruß von den Emissionen der nahegelegenen Industriegebiete", sagt er.

Um gegen die negativen Folgen der Industrialisierung anzukämpfen, baut er gerade eine Gabionenwand. Die dammartige Struktur aus mit Stein gefüllten Metallkörben soll Bergdörfer, wie das der Sherpas, vor Gletscherfluten schützen.

Steven gehört zu einer wachsenden Zahl von Freiwilligen, Aktivistinnen und Umweltschützern, die auf die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher des Himalaya-Gebirges aufmerksam machen. Sie schmelzen so schnell wie nie.

Am 28. Juli dieses Jahres verfassten 52 Umweltschutzorganisationen und Aktivisten aus den zwölf indischen Bundesstaaten der Himalaya-Region einen offenen Brief an das indische Ministerium für Umwelt, Wald und Klimawandel. Der Brief zeigte, wie regulatorische Entscheidungen und Industrieprojekte immense ökologische Schäden am höchsten Gebirge der Erde mitverursacht haben.

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Der Himalaya erstreckt sich über 2.400 Kilometer Länge und fünf Länder: Indien, Nepal, Pakistan, Afghanistan und China. Seit 1991 schrumpfen die Gletscher des Gebirges erheblich.

In dem Brief an Indiens Regierung heißt es unter anderem, dass ein geplantes Wasserkraftwerk mit 150.000 Megawatt Leistung negative Folgen für fast 90 Prozent des indischen Himalaya-Tals haben könnte und 27 Prozent der dichten Wälder in dem Gebiet vernichten würde.

"Die Regierung hat die Himalaya-Region im Index für Klima-Anfälligkeit aufgeführt. Das bedeutet, dass jedes Projekt in der Region Erdrutsche, Senkungen des Grundwasserspiegels und die Gletscherschmelze verschlimmern würde", sagt Manshi Asher vom Himdhara Environment Research and Action Collective. Sie ist eine der 52 Unterzeichnerinnen des Briefes und leitet eine Kampagne für Umweltschutz und den Schutz gefährdeter Gemeinschaften in der Himalaya-Region.

Asher findet vor allem die Entwicklungen im nordostindischen Bundesstaat Assam verstörend. Aufgrund der massiven Entwaldung und der geringen bewässerten Fläche gilt Assam auf dem Index als gefährdetste Region. In dem Bundesstaat befindet sich auch eine Gasquelle, die vom staatlichen Unternehmen Oil India Limited erschlossen wurde. Seit einer Explosion im Mai tritt an dem Brunnen allerdings unkontrolliert Gas aus und bedroht das sensible Ökosystem. Mehr als 3.000 Menschen mussten wegen des Vorfalls ihre Häuser verlassen.

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Im Bundesstaat Sikkim, etwa 600 Kilometer westlich von Assam, haben sich seit 1995 23 Gletscher signifikant zurückgezogen oder sind geschmolzen. Die hohe Geschwindigkeit, mit der die Gletscher schmelzen, hat schwere Folgen. Allein in den vergangenen drei Monaten sind 21 Menschen in Erdrutschen und Überflutungen umgekommen, mehr als 30 Familien verloren ihre Häuser.

Diese Tragödie wird Mayalmit Lepcha, eine in Sikkim lebende Umweltschützerin, niemals vergessen. Im August nahm Lepcha an einer Online-Veranstaltung zu Umweltproblemen der Himalaya-Region teil. "Etwa 30 in Sikkim gebaute Dämme hatten negative Auswirkungen auf unsere heiligen Wälder und Flüsse", sagte sie während der Veranstaltung.

Obwohl die Hochgebirgskette kurz vor einer ökologischen Krise steht, diskutiert die indische Regierung eine Vorlage für ein umstrittenes Umweltgesetz, dem sogenannten Environmental Impact Assessment 2020, kurz EIA. Dieses würde die nachträgliche Genehmigung von Industrieprojekten erlauben, öffentliche Entschädigungen reduzieren und Umweltsündern ermöglichen, ihre Regelverletzungen selbst anzuzeigen.

lAktuell muss noch ein Komitee aus Expertinnen und Experten – Wissenschaftlern und Projektmanagerinnen – die Auswirkungen eines vorgeschlagenen Projekts untersuchen und die Effekte auf die betroffenen Gemeinden miteinbeziehen. Sollte der neue Vorschlag Gesetz werden, fällt dieser Prozess weg.

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Gopal Krishna Agarwal, ein Sprecher der regierenden Bharatiya Janata Party, weist die Vorwürfe zurück, dass die Regierung die Biodiversität schutzbedürftiger Gebiete aus wirtschaftlichen Interessen hintenan stellt. "Die Menschen sind vor allem gegen das Gesetz, weil sie das Gefühl haben, dass wir öffentliche Anhörungen abschaffen wollen. Aber das betrifft nur bestimmte Projekte in Grenzregionen", sagt Agarwal auf Anfrage zu VICE.

Nichtsdestotrotz: Die Auswirkungen für die Menschen vor Ort sind real und fühlbar.

Dr. Ravi Chopra, ein Umweltforscher aus dem nordindischen Bundesstaat Uttarakhand, sagt, dass diese Projekte vor allem den Einheimischen schaden werden. Wenn die Gletscher einmal schmelzen – beschleunigt durch derartige Projekte –, werde das den jährlichen Ablauf der Flüsse im Himalaya stören, die im Sommer wachsen und im Winter versiegen. "Am Ende helfen selbst Wasserkraftwerke nicht, nutzbare Wasserressourcen bereitzustellen", sagt Chopra.

Keshav Singh Panwar ist Ladenbesitzer in der Uttarakhand. 2012 verlor er bei verheerenden Überschwemmungen sein Zuhause und sein ganzes Hab und Gut. Zehn Menschen starben damals, 38 verschwanden spurlos. Panwar, der bis heute in einem Übergangszentrum lebt, sagt zu VICE, dass die exzessive Abholzung für kommerzielle Projekte in seinem Bundesstaat daran schuld sei.

Was die Lage zusätzlich verschärft: Die Regierung tut kaum etwas, um Menschen wie ihn zu unterstützen. Mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes dürfte das noch schlimmer werden.

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"Seit acht Jahren sagt mir die Regierung, dass ich ein neues Zuhause kriege, aber bis jetzt habe ich noch nichts bekommen", sagt er.

Auch Steven Sherpa sorgt sich, dass die schmelzenden Gletscher zu mehr Stürmen, Lawinen und Kälteschäden auf den Bergen führen werden. Er befürchtet, dass Bergsteigen im Himalaya in absehbarer Zeit nicht mehr sicher sein wird.

"Als Bergsteiger sind wir auf unsere Fähigkeiten angewiesen, aber unbeständiges Wetter macht es schwierig vorauszusagen, worauf man sich vorbereiten muss", sagt Steven. "Für uns ist das nicht einfach nur unpraktisch, sondern lebensbedrohlich."

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