An einem Sonntag in Berlin, 2008. Foto: Flickr/m.a.r.c./CC BY-SA 2.0
Wenn du 100 Leute nach dem Status quo von Techno fragen würdest, wäre die mehrheitliche Antwort wahrscheinlich: Läuft, oder? Clubs sind in aller Munde und gelten sogar als Wirtschaftsfaktor, besonders in Berlin. Doch es gibt auch noch andere Stimmen, die Gentrifizierung und Clubsterben ebenso beklagen wie fehlende spontane Raves und die fortschreitende Kommerzialisierung. Dagegen müsse etwas unternommen werden, am besten gemeinsam. Netzwerke wie die Berliner Clubcommission sind das Ergebnis solcher Überlegungen.
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Sich zusammenzuschließen, um als Kollektiv seine Interessen zu vertreten, ist naheliegend und dennoch nicht einfach. Weil es viele Vorbehalte gibt, wie Lutz Leichsenring von der Clubcommission bei der Konferenz “Stadt nach Acht” im November sagte: “Wenn du für alle sprechen willst, hast du sofort eine Opposition.” Im Zuge dieser Veranstaltung forderte die THUMP-Autorin Antonie Hänel, dass die Clubszene endlich erwachsen werden müsse; proaktiv sein. Man brauche dafür mehr Leute, die sich auch mit den langweiligen Aspekten des Nachtlebens auskennen. Zum Beispiel mit Lärmschutzfragen oder Baurecht. Gegen eine solche Professionalisierung gibt es jedoch viele Vorbehalte. Von Clubbetreibern und -besuchern selbst. Und von Dr. Jan-Michael Kühn, der vielen vor allem als Betreiber des Blogs “Berlin Mitte Institut für bessere elektronische Musik” bekannt ist. Er meint, die Professionalisierung von Techno könnte auch zu seinem Ende als Subkultur führen.
Über Letzteres veröffentlichte Kühn letztes Jahr seine Dissertation mit dem Titel Die Wirtschaft der Techno-Szene: Arbeiten in einer subkulturellen Ökonomie. Darin geht er mit soziologischen Mitteln der Clubszene auf den Grund. Wie wird in der Szene gewirtschaftet, im Vergleich zur restlichen Gesellschaft? Warum gibt es so große Vorbehalte gegen den “Kommerz”? Beantwortet wird dabei auch die Frage, warum Clubs nicht wie Unternehmen geführt werden können und sollten. Wir haben mit Dr. Jan-Michael Kühn nicht nur über letzteres gesprochen, sondern auch über Clubs als vermeintliche Wirtschaftsfaktoren, das Understatement des Undergrounds und das Ende von Techno in Berlin.
THUMP: Jan, unsere Autorin Antonie Hänel fordert, dass die Clubszene erwachsen werden müsse und “vielleicht Partyrabatte für Politik-, Jura- und BWL-Studenten einzuführen, um die angehenden Profis möglichst früh auf die Seite der Szene zu ziehen?” Was hältst du davon?
Dr. Jan-Michael Kühn: Viele Clubs und Labels haben sowas schon – also eine Buchhaltung und Arbeitsverträge, auch wenn es oft nur Minijobs sind. Mit den meisten DJs gibt es Verträge. Clubs sind verwalterische Betriebe wie alle anderen auch.
Also ist die Clubszene schon erwachsen?
Nein. Ich kenn diese Debatte bereits aus den Interviews, die ich für meine Doktorarbeit geführt habe. Da haben mir zum Beispiel Booker und Clubbetreiber gesagt, dass sie sich wünschen, dass alles etwas professioneller abläuft. Damit ist gemeint, dass alles verlässlicher und erwartbarer wird.
Sprechen sie da für alle?
Ein Merkmal von Musikszenen ist, dass Leute daran teilnehmen, weil sie vor allem Lust auf die Musik und das Feiern haben. Verwaltungsfragen sind da eher zweitrangig.
Welche Probleme entstehen daraus?
Bei DJs hast du zum Beispiel das Phänomen, dass sie relativ viel trinken, Drogen nehmen und dann auch mal einen Gig absagen. Solche Unsicherheiten waren am Anfang ein Problem in der Szene. Deshalb hat man dann angefangen, Verträge einzuführen, in denen man sich für eine kurze Dauer zu etwas verpflichtet.
Also ist die Clubszene doch schon professionell?
Jein. Es gibt noch eine andere Dimension der Professionalisierung und ich glaube, die ist wohl auch in dem Artikel gemeint. Da geht es darum, gewinnorientierter zu arbeiten, dass das ganze sichere Arbeitsplätze liefert und zu einem richtigen Wirtschaftsfaktor wird. Damit die Beschäftigten mehr Geld verdienen und sich eine Altersvorsorge leisten können.
Und das ist für dich problematisch?
Die Frage ist erstmal: Lässt sich das überhaupt bewerkstelligen? Oder entstehen da Widersprüche?
Was heißt das?
Das was eine Szene und ihre Wirtschaft ausmacht, widerspricht dieser Art von Professionalisierung. Im Kern der Szenewirtschaft geht es darum, ein bestimmtes Erlebnis zu produzieren. Und dieses Erlebnis ist sehr, sehr fragil.
Kannst du das konkretisieren? Was heißt das im Techno-Bereich?
Das Erlebnis, das die Techno-Szene auszeichnet, ist in den 80er und 90er Jahren entstanden. Es wird hier und da ein wenig verändert aber im Kern geht es um das Gleiche: das Gefühl, ein DJ-Set im Club zu erleben, die Lautstärke zu fühlen und nicht zu wissen, was der Abend bringt. Treffe ich neue Freunde? Lerne ich eine neue Liebschaft kennen? Probiere ich Drogen aus?
Und warum ist dieses Erlebnis fragil? Die Leute gehen doch schon seit Jahrzehnten in Clubs.
Es findet im Rahmen einer bürgerlichen Gesellschaft statt. Und in der gibt es Individualisierungsprozesse. Die haben zur Folge, dass Milieus entstehen, die sich untereinander teilweise feindlich gegenüberstehen und nichts miteinander zu tun haben wollen. Solche Milieus gibt es auch in der Musik und sie reproduzieren sich als Szenewirtschaft.
Klingt wissenschaftlich. Beispiele?
Zum Beispiel bei bestimmten Kooperationen von DJs und Labels, die unter sich bleiben. Dann hast du dieses Fusion- und Bachstelzen-Milieu. Oder das Publikum, das in Berlin in die Magdalena gegangen ist, das kommt primär aus dem Arbeitermilieu.
Die Clubszene ist ein Attraktivitätsfaktor, kein Wirtschaftsfaktor. Berlin nicht mehr als Stadt von Hitler und Co, sondern als Stadt der Loveparade und Kreativszene.
Also gibt es eigentlich nicht die eine elektronische Szene?
Genau. Was diese Milieus gemeinsam haben, ist eine gemeinsame Clubkultur und Musik. Aber intern sind sie total ausdifferenziert und in dem Sinne auch nicht besonders interaktiv untereinander.
Wie drückt sich das aus?
Zum Beispiel in der Türpolitik, da haben alle Clubs eine bestimmte Vorstellung von ihrem Publikum. Das muss sehr homogen sein, um ein ähnliches Erlebnis zu produzieren.
Und was denkst du, wird passieren, wenn diese Szenen professioneller gestaltet werden?
Das würde die Szene selbst gefährden, weil dann Leute teilnehmen würden, die unter Verdacht stehen, aus anderen Gründen mitzumachen. Zum Beispiel, um nur Gewinn zu erwirtschaften oder Politik machen.
Was für Folgen hätte das?
Die Wahrscheinlichkeit verringert sich, dass diese Erlebnisse reproduziert werden, die ich vorhin beschrieben habe.
Also würde eine Professionalisierung das Cluberlebnis letztlich zerstören?
Nicht zerstören, aber die Szenemitglieder nehmen an, dass sie nicht mehr das erleben können, was sie bisher mochten. Meistens wird das aber nicht bewusst formuliert. Große Labels wie Universal stehen zum Beispiel für gewisse Strukturen und bestimmte Handlungsorientierungen, die die Szene nicht so gerne hat.
Merkt man überhaupt denn als Besucher wirklich den Unterschied zwischen einem Club, der primär betrieben wird, um Geld zu machen und einem, der den “Spirit” von früher hat?
Der Hobby-Besucher nicht, aber Leute, die länger in der Szene sind, merken das sofort. Wer legt auf? Wie sind die Flyer gestaltet? Wie ist das Barpersonal drauf?
Das Berghain gibt sich öffentlich wie ein Underground Club, ist aber zugleich der am wirtschaftlich erfolgreichste in Berlin. Kann man also Underground nicht als Verkaufsargument benutzen: “Hier ist das authentische, echte Cluberlebnis?”
Das funktioniert nicht, denn immer wenn das Label Underground drauf ist, wissen die wahren Szenekenner, dass sie nicht hingehen müssen.
So meine ich das nicht. Natürlich schreibt man das nicht direkt drauf, sondern kopiert den Habitus und kokettiert damit. Man weiß, wie man sich darstellen muss, um undergroundig zu wirken. Die Besucher des Berghains rechnen sich doch zum Beispiel der Szene zu.
Es kann Marketing sein, ja. Das Konzept von Undergrounds ist auch Understatement. Aber anders als im Falle des Berghains.
Inwiefern?
Da geht es um Mund-Zu-Mund-Propaganda. Das ist natürlich auch Marketing aber man lockt die Leute nicht, um Geld zu machen, sondern um jemanden allein von der Qualität einer Party zu überzeugen. In den 90er Jahren stand aber wirklich noch Underground auf manchen Plakaten, da war halt alles auch noch sehr nischig.
Wie alle Subkulturen geben Clubs den Menschen die Möglichkeit, jenseits der bürgerlichen Gesellschaft zu experimentieren. Besonders bei Jugendlichen geht es darum, auch der Irrationalität mal freien Lauf zu lassen.
Was anderes: Ist die Clubszene eigentlich ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor, wie oft behauptet wird?
Zumindest nicht in dem Maße, wie es immer behauptet wird. Es gibt keine genauen Zahlen, aber das wird in der Regel überschätzt. Es wäre ohnehin besser, den kulturellen Wert der Clubszene zu verstehen und dann zu überlegen, wie eine Förderung aussehen könnte und ob sowas überhaupt sinnvoll ist – oder vielleicht auch kontraproduktiv sein kann.
Warum legt die Berliner Politik dann mittlerweile so viel Wert auf ihre Clubkultur?
Weil sie Touristen und Kreative anzieht, die dann hier in anderen Bereichen für Umsatz sorgen. Es ist ein Attraktivitätsfaktor, kein Wirtschaftsfaktor. Berlin nicht mehr als Stadt von Hitler und Co, sondern als Stadt der Loveparade und Kreativszene.
Stichwort Kultur und Politik. Sollten Clubs sich von der Stadt fördern lassen?
Davon halte ich nicht viel. Einzelne Clubs können das natürlich machen. Aber Förderung im Sinne eines Zusammenschlusses aller Clubs zum Zwecke, Geld zu bekommen, wäre kontraproduktiv.
Inwiefern?
Wie alle Subkulturen geben Clubs den Menschen die Möglichkeit, jenseits der bürgerlichen Gesellschaft zu experimentieren. Besonders bei Jugendlichen, da geht es darum, auch der Irrationalität mal freien Lauf zu lassen.
Wird Techno als Subkultur dann nicht aussterben?
Das ist möglich und das müssen wir auch akzeptieren lernen. Berlin gehört nicht zwangsläufig zu Techno und umgekehrt auch nicht. Es gehört einfach dazu, dass Subkulturen aussterben, weil sie eben nur deshalb existieren, wenn sich genug Menschen dafür interessieren und das dann auch praktizieren.
Ist das Ende von Techno in Berlin also bald erreicht?
Möglicherweise. Die spannenden Sachen passieren längst außerhalb.
Dann nenn doch mal welche.
Zum Beispiel diese ganzen kleinen Festivals rund um Berlin oder in Polen, wo Menschen sich für 2.000 Besucher völlig verausgaben und selbst ausbeuten, um den DJs hinterher noch ihre Gage zu zahlen.
Am kommenden Samstag, den 18. Februar, wird Dr. Jan-Michael Kühn im Rahmen der Podiumsdiskussion “Electronic Body Music. Ordnung in und als Bewegung” einen Vortrag über “Die post-traditionale Vergemeinschaftung zwischen Szene, Szenewirtschaft und Subkultur” halten. Stattfinden wird die Veranstaltung im Dortmunder Club Oma Doris, wo es anschließend auch eine stattliche Party mit Mall Grab, dem Hype der Stunde, geben wird.