Diese 10 Lieblingssongs sind eigentlich verdammt unangenehm

Wie würdet ihr es finden, wenn wir euch jetzt sagen, dass euer Lieblingslied eigentlich verdammt verstörend ist? Dass euer Instant-Gute-Laune Track, der nach Regenbogen, Cabriofahren oder Trichtersaufen klingt, extrem ernst gemeint ist? Dass der Song, bei dem ihr im Club jedes Mal inbrünstig mitgröhlt und euch mit Jacky-Cola besudelt, mit Suizidgedanken gespickt ist? Oder dass EUER Lied eigentlich Stalking thematisiert?

Manchmal ist es nämlich echt absurd, welche Lieder uns da fröhliche Throwback-Momente bescheren. Die fiesen Ohrwurm-Melodien geben uns ein wohliges Gefühl oder bringen uns in Feierlaune. Wir verbinden mit ihnen bestimmte Erinnerungen, schießen damit aber in manchen Fällen komplett am eigentlichen Thema des Songs vorbei. Ein Blick in die Lyrics kann dann ziemlich augenöffnend und Kinnladen runterknallend enden. Aber seht selbst:

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1. Third Eye Blind – “Semi-Charmed Life”

Sommer 1997. Titanic ist in den Kinos, J.K. Rowling veröffentlicht das erste Harry Potter-Buch, George Clooney ist Sexiest Man Alive und “Semi-Charmed Life” von Third Eye Blind läuft auf Repeat. Wir waren alle so “Dü dü dü, düdüdü dü, dü dü dü…” und überhörten dabei irgendwie die eigentlich ziemlich deprimierenden Lyrics. Frontmann Stephan Jenkins singt in dem Song nämlich von Drogenmissbrauch, genauer genommen über Koks und Crystal Meth.

Expliziter als in der zweiten Strophe kann man es dabei nicht machen: “The sky was gold, it was rose / I was takin’ sips of it through my nose / And I wish I could get back there, someplace back there / Smilin’ in the pictures you would take / Doin’ crystal meth, will lift you up until you break.” Damit ist der Song sofort von der Sommer- auf die Spätherbst-Playlist geflogen.

2. The Police – “Every Breath You Take”

Ach Sting, Herzchenemoji, was für ein wunderschönes Liebeslied. Gerade zum Lecken der Wunden nach einer Trennung drehten wir bei Zeilen wie “Oh can’t you see / You belong to me” den Walkman bis zum Anschlag auf. Wir wollten, dass irgendjemand auch uns nie wieder aus den Augen lässt. Dachten wir zumindest. Gegenüber New Musical Express äußert sich Sting verwundert über die Rezeption des mehrwöchigen Nummer-Eins-Hits: “It’s a nasty little song, really rather evil. It’s about jealousy and surveillance and ownership.”

Eigentlich ist “Every Breath You Take” nämlich einfach nur der ultimative Stalker-Song. Die Engländer paarten die sanften Vocals und die zarte Melodie mit bedrohlichen Lyrics über ständiges Beobachten und extrem besitzergreifendes Verhalten.


VICE-Video: “Der Vergewaltigungs-Prediger”


Mal ganz ehrlich: “Every breath you take / Every move you make / Every bond you break / Every step you take / I’ll be watching you” ??? Und nur für den Fall, dass noch nicht jeder mitbekommen hat, dass The Police es ernst meinen; hier die nächste Bridge: “Every single day / Every word you say / Every game you play / Every night you stay / I’ll be watching you.” Gruselig.

3. Sean Paul, Clean Bandit & Anne-Marie – “Rockabye”

Aber auch die Bedeutung aktuellerer Songs können wir ziemlich gut ausblenden. Perfektes Beispiel dafür ist “Rockabye” von Sean Paul, Clean Bandit und Anne-Marie, das seit 2016 zur Stammplaylist einer jeden ordentlichen Großraumdisco gehört. Wenn der Beat einsetzt, kreisen wir euphorisch mit den Hüften und werfen die Hände in die Luft. Was die da eigentlich singen? Na “Rockabye baby, Rockabye, rocka rocka rocka bye” halt.

Dass der Song das harte Leben einer alleinerziehenden Mutter behandelt, die jeden Cent umdrehen muss, ignorieren wir gekonnt, während wir unseren Zwölf-Euro-Gin-Tonic schlürfen. Hier nochmal zum Nachlesen: “Single mama you doing out there / Facing the hard life / without no fear / You find his school fee and the bus fare”.

4. Foster the People – “Pumped up Kicks”

2010 schenkten uns Foster the People mit “Pumped up Kicks” einen entspannten Spätsommerhit. Lockere Beats und angenehme Harmonien gaben uns die ultimativen Roadtrip-Feels. Dabei ist der Song eigentlich eine düstere Anti-Waffengewalt-Hymne, die von einem jungen Amokläufer handelt, dessen Mitschüler vor ihm und dem Revolver seines Vaters davonrennen.

Der Refrain, der eigentlich fast den kompletten Song ausfüllt, liest sich nämlich so: “All the other kids with the pumped up kicks / You’d better run, better run, out run my gun / All the other kids with the pumped up kicks / You’d better run, better run, faster than my bullet”.

5. Papa Roach – “Last Resort”

CUTMYLIFEINTOPIECES. THISISMYLASTRESORT. Geil. Nennt uns eine gute Wg-Party, auf der dieser Song nicht gefeiert wurde, und auf der nicht JEDER aus vollster Brust diese Hook mitbrüllte. Auch, wenn man gar nicht mal SO textsicher war. Vielleicht ist uns genau deswegen entgangen, dass Jacoby Shaddix hier ziemlich ernst von Suizid als seinen einzigen Ausweg singt.

Der Songtext gleicht dabei mehr einem Abschiedsbrief als einer Partyhymne: “Suffocation, no breathing / Don’t give a fuck if I cut my arm, bleeding / Do you even care if I die bleeding? / Would it be wrong? / Would it be right? / If I took my life tonight / Chances are that I might.” Jetzt verstehen wir auch, warum im Video immer wieder betrübte Teenager eingeblendet wurden.

6. OutKast – “Hey Ya!”

OK, der hier tut weh. Es gibt wohl keinen Song auf dieser Liste, der so verlässlich gute Laune macht und zu dem wir unseren Hintern lieber wie ein Polaroid-Picture shaken. Dabei besingt André 3000 eigentlich das Ende einer unglücklichen Beziehung. OutKasts Schlussmach-Track handelt von zwei Menschen, die sich nicht mehr lieben, es aber auch nicht schaffen, sich zu verlassen.

Die Lyrics lesen sich losgelöst von der Musik um einiges tiefsinniger, als der happy Sound erwarten lässt: “If what they say is nothin is forever/ What makes love the exception? / Why, oh, why / Are we still in denial when we know we’re not happy here?” Autsch.

7. Red Hot Chilli Peppers – “Under the Bridge”

Die ruhige Ballade zählt zu den beliebtesten RHCP-Tracks. Eigentlich ist “Under the Bridge” aber ein Lied über Einsamkeit, Kokain- und Heroinsucht. Als Anthony Kiedis den Song schrieb, war er gerade drei Jahre clean und fühlte sich seit seinem Entzug von seinen Bandkollegen distanziert, die oft ohne ihn durchzogen. Die einzige Verbindung, die der Sänger noch spürte, war die zu seiner Heimatstadt Los Angeles: “Sometimes I feel like / My only friend / Is the city I live in / The City of Angels / Lonely as I am / Together we cry”.

Unter der besungenen Brücke besorgte er übrigens früher seinen Stoff und wurde high.

8. System of a Down – “Chop Suey!”

Zugegeben, System of a Down machen es uns nicht unbedingt leicht, irgendeinen ihrer Texte zu raffen. Wie viele ihrer Songs funktiniert auch “Chop Suey!” nach dem Schema: langsam mit Gitarrenakkorden die Stimmung steigern, hart den Bass reinbrechen lassen und irgendwann steigt dann Serj Tankian ein und schreit etwas kaum Verständliches, das sich ungefähr so anhört: “Wake Up / hfdjagbelskdvfdsjbk / Make-Up”. Wie soll man da auch ahnen, dass es hier eigentlich um Suizid und mehr oder weniger verdienten Tod geht?

Gegenüber NME erklärte Tankian, dass sie kritisieren wollten, wie die Gesellschaft Menschen verurteilen, wenn beispielsweise jemand aufgrund von Drogenkonsum stirbt. “They might say I deserved it because I abused dangerous drugs”, so der SOAD-Sänger. Deshalb auch die Zeile “I cry when angels deserve to die”. Mit “‘Father, into your hands I commend my spirit” und “why have you forsaken me?” spielen sie außerdem an den Tod von Jesus Christus am Kreuz an.

Ursprünglich sollte der Song übrigens den Titel “Suicide” oder “Self-righteous Suicide” tragen. Weil das aber nicht sonderlich radiofreundlich gewesen wäre, haben sie daraus “Self-right-Chop Suey-cide”, kurz “Chop Suey!” gemacht. Damit belegten sie dann auch Platz eins der US-Charts, bis der Hit mit dem 11. September einen noch bittereren Beigeschmack bekam.

9. Limp Bizkit – “Eat You Alive”

Es gibt also viele Songs, die erstmal super locker und fröhlich klingen, eigentlich aber total deep und ernst sind oder gesellschaftskritisch aktuelle Probleme ansprechen. Und es gibt “Eat You Alive” von Limp Bizkit. Die Nummer klingt schon unheimlich und ist auch textlich ein unfassbar creepy “Du willst mich nicht, aber ich hole dich mir trotzdem”-Lied.

Fred Durst singt darin aus der Sicht einer dieser gruseligen Kerle, die Frauen auf der Straße hinterher rufen und dann wütend werden, wenn sie keinen Bock auf die Typen und ihr prolliges Getue haben: “Hey you Mrs. Too-Good-to-Look-My-Way and that’s cool”. Sie möchte zwar nichts mit ihm zu tun haben, aber er will sie trotzdem und das sei ja wohl völlig legitim: “But I want you, ain’t nothin’ wrong with wanting you / ’cause I’m a man and I can think what the hell I want.” Außerdem würde er jetzt auch wirklich gerne an ihrem Höschen schnüffeln. OK.

Das Video, in dem Durst ein entführtes, verängstigtes Mädchen durch ein Megafon anbrüllt, nur um ihr kurz danach wieder übers Gesicht streicheln zu dürfen, setzt noch einen drauf. Die Blondine verfällt ihrem verschwitzten Kidnapper sogar und will am Ende eigentlich gar nicht vom Suchtrupp gerettet werden. Super Message auch.

10. Nena – “99 Luftballons” (Kalter Krieg)

https://youtu.be/La4Dcd1aUcE

Bisher kamt ihr vielleicht noch mit der Ausrede davon, dass ihr dem Englischen nicht allzu mächtig seid. Cool. Aber auch Songs in eurer Muttersprache können in die Irre führen. So zum Beispiel Nenas Megahit “99 Luftballons” aus dem Jahr 1983 – noch heute einer der erfolgreichsten Popsongs in deutscher Sprache. Wusstet ihr, dass das NDW-Exportsternchen da eigentlich über die Angst vor einer Eskalation des Kalten Krieges singt? Das Lied beschreibt 99 Luftballons, die zufällig über die Grenze nach Ost-Berlin gelangen und 99 Jahre Krieg mit 99 Düsenfliegern und 99 Kriegsministern auslösen.

Am Ende liegt die Welt in Schutt und Asche: “99 Jahre Krieg / ließen keinen Platz für Sieger / Kriegsminister gibt’s nicht mehr / und auch keine Düsenflieger / Heute zieh’ ich meine Runden / seh’ die Welt in Trümmern liegen.”

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