Ein Söldner erklärt, wie du im Dschungel überlebst

In einem Fitnessstudio auf Bali treffe ich zum ersten Mal auf “Cyborg”. Er erinnert mich an eine dieser typischen Actionfiguren: jeder Muskel im Körper trainiert, in Stein gemeißelte Gesichtszüge, stahlblaue Augen. Als wir uns zum Mittagessen zusammensetzen, zieht er zuerst eine digitale Waage aus der Tasche, um sein Essen zu wiegen. Anschließend erzählt er mir von seinem Job.

Er trainiert südostasiatische Elitesoldaten, indem er sich im philippinischen Dickicht absetzen lässt und dann gefangen genommen werden soll. Seinen Erzählungen nach ist Cyborg im Dschungel quasi unsichtbar. Selbst nach vier Jahren hätten ihn die Soldaten noch kein einziges Mal geschnappt.

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Während wir unser Sushi essen, erklärt mir Cyborg (seinen echten Namen dürfen wir nicht verraten), wie man in der Wildnis überlebt, was in brenzligen Situationen wichtig ist und welche Rolle Religion in seinem extremen Leben spielt.


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VICE: Wieso nennt man dich Cyborg?
Cyborg: Das weiß ich gar nicht. Eigentlich bin ich nur ein normaler US-Amerikaner, der gerne Budweiser trinkt und Football schaut. Meine Eltern stammen aus der Arbeiterschicht. Ich falle da ein wenig aus dem Rahmen, aber trotzdem ist mir nichts wichtiger als meine Familie.

Warum bist du dann abtrünnig geworden?
Ich habe mich nicht mit meinen Vorgesetzten gestritten oder so. Ich wollte einfach nur reisen und die Welt entdecken. Deswegen arbeite ich hier in Indonesien, in Hongkong und auf den Philippinen als militärischer Ausbilder und Sicherheitsberater.

Foto: Public Domain Pictures | CC0 1.0

Und spielst im Dschungel Verstecken mit Soldaten. Wie schafft man es da, nicht entdeckt zu werden?
Hier sind vier Regeln wichtig. Nummer eins: Nachts sagt Licht immer die Wahrheit. In anderen Worten: Jegliches Licht verrät in der Dunkelheit nicht nur deinen Standort, sondern auch den deines Feindes. Nummer zwei: Man sollte sich nur nachts fortbewegen. Tagsüber kann man die feindlichen Truppen beobachten und sich ihre Routinen einprägen. Nummer drei: Immer alleine unterwegs sein – auch wenn es in kleinen Gruppen leichter erscheint. Und Nummer vier: Wenn man sich mit dem Feind oder einer Gefahr konfrontiert sieht, dann muss man sich auf einem anderen Weg zurückziehen, als man gekommen ist.

Außerdem gilt: Je gestresster man ist, desto schneller wird man müde. Man muss sich im Klaren darüber sein, wie sich der psychische Zustand auf Schmerzen, Verletzungen, das Hungergefühl und Erschöpfung auswirkt.

All diese Tipps sind aber nur wirklich nützlich, wenn man sie immer wieder in verschiedenen Szenarien und Umgebungen trainiert. Unterm Strich gilt: Immer aufmerksam bleiben und sich gut über den jeweiligen Ort informieren.

Klingt so, als ob viel mentale Kontrolle nötig ist, um nicht geschnappt zu werden.
Die Grenzen des eigenen Verstands sind die schwierigste Hürde. Wenn man denkt, sein Limit erreicht zu haben, sind da locker noch weitere 30 Prozent drin. Man ist sich selbst der größte Feind. Diesen Gedanken muss man bei Schwierigkeiten immer im Hinterkopf haben. Die eigenen Zweifel, Ängste und Unsicherheiten führen zu dummen Fehlern. Man darf an nichts anderes denken als an das Überleben. Das ist schon die halbe Miete. Der Rest kommt dann von selbst, solange der Wille da ist.

Foto: Alejandro Hernandez. | Flickr | CC BY 2.0

OK, mal angenommen, wir haben im Kopf alles unter Kontrolle. Auf was muss man dann achten, um im Dschungel zu überleben?
Nach der Willensstärke ist die Orientierung der zweitwichtigste Faktor. Falls man seine Ausrüstung und seine Uhr verloren hat, dann kann man den geografischen Norden ganz einfach mit der Sonne, einem Zweig und ein paar Steinen finden.

Dann ist es wichtig, sich über Trinkwasser, essbare Pflanzen und die Jagd zu informieren. Ohne Wasser überlebt man natürlich nicht lange, vor allem wenn man viel Ausrüstung mit sich schleppt und schwitzt. Im Dschungel trinkt man meistens aus Seen und Flüssen, deswegen muss man auf Überschwemmungen, Straßen und Baustellen achtgeben, die das Wasser verschmutzen könnten. Es ist wichtig zu wissen, wie man Wasser aus Schlamm herausfiltert.

Außerdem sollte man Feuer machen und sich einen Unterschlupf bauen können. Beim Unterschlupf kommt es vor allem darauf an, vor der Sonne, vor Insekten, vor Tieren und vor dem Feind geschützt zu sein. Das heißt: Man muss vollkommen mit der Umgebung verschmelzen – inklusive Matsch im Gesicht und so weiter.

Auch hier macht Übung den Meister. Anstatt in Südostasien also jedes Wochenende in der gleichen beschissenen Bar bei der gleichen beschissenen Musik zu verbringen, sollte man einfach mal alleine in die Natur losziehen. So klischeehaft das auch klingen mag, aber das ist viel krasser, als Cocktails zu schlürfen. Erst im Dschungel wird einem klar, dass man auch auf sich allein gestellt überleben kann.

Was war das Schlimmste, was du in einer Extremsituation gegessen hast?
Wenn es um Leben und Tod geht, dann ist der Geschmack egal. Über sowas denkt man dann gar nicht nach, sondern nur über Kohlenhydrate, Vitamine und Nährstoffe. Eigentlich ist es mir nur einmal richtig schlecht gegangen. Das war in Hanoi, wo ich wie ein typischer Tourist ein noch schlagendes Kobraherz gegessen habe. Danach bin ich eine Woche lang nicht mehr vom Klo runtergekommen. Wenn ich nur daran denke, wird mir wieder richtig flau im Magen.

Foto: Wikimedia Commons | Public Domain

Dein Verhältnis zur Religion scheint auch ein interessanter Teil deines Charakters zu sein.
Ich habe dem Tod schon öfter ins Auge geblickt und dabei hat mich immer ein gewisses Gefühl des Geleitetseins überkommen. Manche würden das Instinkt nennen, aber ich empfand es immer eher als spirituell. Ein Beispiel: Als wir in Afghanistan kurz vor einem feindlichen Angriff durch ein Dorf liefen, spürte ich plötzlich, dass etwas nicht stimmte – so als ob der Wind nicht mehr wehen würde. Also duckte ich mich schnell und schon pfiffen mehrere Kugeln vorbei.

Im Krieg ist Timing das Wichtigste. Gebete schärfen bei mir die Sinne und stellen mich auf den Rhythmus des Kriegs ein. Ich bin schon über Felder gerannt, während meinen Kameraden Arme und Beine weggesprengt wurden. Warum habe gerade ich den richtigen Weg genommen? War das mein Instinkt? Ich weiß es nicht.

Vielleicht war es nur Glück?
Nach so vielen Einsätzen habe ich eine Sache gelernt: So etwas wie Glück gibt es nicht. Es gibt nur Vertrauen, Zielstrebigkeit und harte Arbeit. Haben gute Musiker etwa Glück, wenn sie die richtigen Töne spielen?

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