Wenn Fußballanhänger mit dem Zug durch Deutschland reisen, verwandeln sie Waggons gerne in Kneipen. Auf engstem Raum wird gesungen, getrunken und auch mal geraucht. Jeder Pendler, der schon mal in diesen Kosmos euphorisierter Fußballfans eintauchen musste, weiß aber, dass meistens bis auf etwas Gegröle und einige Rülpser nicht viel passiert. Am Samstag soll eine Frau aber eine ganz andere Erfahrung gemacht haben.
Nach dem 1:0-Sieg von Borussia Mönchengladbach bei Hannover 96 fuhren etwa 450 Borussia-Fans am Samstagabend im Regionalexpress von Minden in Richtung Ruhrgebiet. Neben den Fans saßen auch einige Pendler. “Am Dortmunder Hauptbahnhof hielt der Zug für längere Zeit, weil laut Zeugen ein 22-jähriger Gladbach-Fan sein Glied vor einer 23-jährigen Mitfahrerin entblößt haben soll”, sagte ein Sprecher der Bundespolizeiinspektion Dortmund gegenüber VICE. Die Frau soll zudem noch weiter sexuell belästigt und beleidigt worden sein, so die Polizei.
Als zwei Beamte der Bundespolizei die Bahn betreten wollten, um den mutmaßlichen Täter ausfindig zu machen, sollen einige Fans den Eingang versperrt haben. “Die Fans drohten den beiden Beamten, dass es für sie nicht gut sei, wenn sie reinkommen, weil sonst alle ‘Theater’ machen würden”, sagte der Sprecher der Polizei. “Die Kollegen versicherten den Fans dann, dass der Verdächtige nicht festgenommen werde, sondern lediglich seine Personalien angeben müsse – das klappte.”
Anschließend sollen die Personalien des Tatverdächtigen in Kooperation mit einem Vertreter des Mönchengladbacher Fanprojektes festgestellt worden sein, so die Polizei. Etwa 180 Fans sollen danach aber ebenfalls den Zug verlassen haben, um sich mit dem Verdächtigen zu “solidarisieren”. Bei ihm soll es sich um einen 22-jährigen Gladbach-Fan handeln, der bereits mit einer gewalttätigen Auseinandersetzung auf einer Fahrt zu einem Fußballspiel aufgefallen sei. Gegen den Mann wurde ein Ermittlungsverfahren wegen exhibitionistischer Handlung, sexueller Belästigung und Beleidigung eingeleitet. Genauere Infos konnte die Polizei nicht geben. “Wegen der Drohkulisse vor Ort werden wir jetzt erst die verschiedenen Zeugen, die keine Fußballfans sind, anhören”, sagte der Sprecher.
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Das Fanprojekt Mönchengladbach “De Kull e.V.”, das sich selbst als neutraler Vermittler zwischen Polizei und Fans sowie zwischen Vereinen und Fans sieht, bestätigt den Vorwurf von “exibitionistischen Handlungen” gegen eine Person. Doch dieser konkrete Vorwurf gegen den Fan sei den meisten Fans im Zug nicht klar gewesen. “Nicht alle ‘Szeneangehörige’ hatten Kenntnis von der Situation einer Personalienaufnahme und solidarisierten sich zunächst mit der Person”, heißt es von Philip Hülsen aus der Geschäftsführung auf Nachfrage von VICE. Die ganze Gruppe sei weitergefahren, nachdem der Mitarbeiter zwischen den Fans und der Polizei vermittelt und die Situation so beruhigt habe. “Weiter können wir uns als Einrichtung leider nicht zu dem Vorfall äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt und wir auch keine Erklärungen für die Fanszene von Borussia Mönchengladbach abgeben können.” Ein Mitglied der aktiven Gladbacher Fanszene, das anonym bleiben will, erklärte VICE, dass die Gladbacher Fans sich keineswegs mit dem Fan solidarisiert hätten, sondern vielmehr sein Fehlverhalten “intern geregelt” werden sollte. Was wirklich passiert ist, bleibt also weiter unklar.
Es gibts noch weitere Vorfälle vom vergangenen Wochenende, bei denen Gladbach-Fans involviert gewesen sein sollen. Schon zwei Stunden vor dem Halt in Dortmund wurden 40 Personalien von Gladbach-Fans beim Umstieg am Bahnhof im ostwestfälischen Minden aufgenommen. Dort hatten Supermarkt-Mitarbeiter die Polizei gerufen, weil einige Fans aus der Gruppe Alkohol und andere Waren geklaut haben sollen, wie die Polizei berichtet. Die Gruppe fuhr demnach anschließend weiter in Richtung Ruhrgebiet. Ob es sich um dieselbe Gruppe handelt, die in Dortmund ausstieg, konnte die Polizei nicht sagen.
Von der Bundespolizeiinspektion Dortmund erfährt VICE nur: “Solche Einschüchterung und Drohkulissen wie am Wochenende in Dortmund erfahren wir Polizisten jedes Wochenende von den Fußballfans.” Schaut man sich die Zahlen an, scheinen Fußballfans prozentual gesehen jedoch kein großes Kriminalitätsproblem zu sein: Durchschnittlich 100.000 Fans fahren an jedem Fußball-Wochenende mit dem Zug durch Deutschland, schätzt die Deutsche Bahn. Im Jahr 2016 sollen von diesen Millionen Fußballfans nur 420 von der Bahn verschiedene “Abmahnungen” erhalten haben. Sowieso schätzt das Unternehmen, dass lediglich ein Prozent der Fans “gewaltbereit” sei – auch wenn Polizei und Politik die von Fußballfans begangenen Straftaten bisweilen instrumentalisieren.
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