Wir haben Leute gefragt, ob sie heute anders wählen würden

Die große Frage am Montag nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen lautet: Haben wir uns alle umsonst verkatert in die Wahllokale gequält? Nicht wenn es doch zu einer Großen Koalition käme. Die SPD hatte das aber noch am Wahlabend ausgeschlossen und jetzt erneut bestätigt. Und eine Minderheitsregierung? Ebenfalls unwahrscheinlich. Angela Merkel hat kein wirkliches Interesse daran, sich bei jeder politischen Entscheidung mit der Opposition abzustimmen, zumal sich die SPD gegen eine Minderheitsregierung unter Merkel quer stellen will. Die dritte Option wären Neuwahlen. Dafür müsste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen würden wir erneut abstimmen. Doch damit nicht alles beim Alten bleibt, so wie das aktuelle Umfragen nahelegen, müssten sich viele Menschen politisch neu entscheiden.

Wir haben Leute gefragt, ob sie heute tatsächlich anders wählen würden.

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Sebastian, 23:

VICE: Wem hast du im September deine Stimme gegeben?
Sebastian: Der FDP. Ich kenne die Spandauer Wahlkreisabgeordneten der drei Parteien SPD, CDU und FDP relativ gut und fand – bis auf den Kandidaten der FDP – alle ziemlich unsympathisch. Außerdem stehe ich hinter der liberalen Wirtschaftspolitik der Partei.

Die FDP hat die Verhandlungen für gescheitert erklärt. Enttäuscht dich das?
Ich glaube, es liegt eher an der CSU als an der FDP. Es war aber ziemlich absehbar, dass es zwischen den drei Parteien nicht klappen würde. Enttäuscht bin ich nicht, obwohl … ich denke, dass Neuwahlen stark zugunsten der AfD ausfallen würden – und das wäre eine große Enttäuschung.

Würdest du heute nochmal genauso wählen?
Ja, ich unterstütze die FDP weiterhin.

Sam, 24

VICE: Wen hast du vor zwei Monaten gewählt?
Sam: Niemanden, weil ich mich von keiner Partei richtig angesprochen gefühlt habe. Vor der Bundestagswahl war mir Politik nicht so wichtig, das hat sich jetzt geändert.

Welche Partei würdest du dann wählen?
Wahrscheinlich die CDU. Ich glaube, dass Merkel wieder Kanzlerin wurde, war der richtige Schritt und sie braucht Unterstützung. Deswegen will ich ihr helfen. Ich fände auch die FDP cool, in Sachen Digitalisierung und Fortschritt sind die nicht so konservativ wie die anderen Parteien.

Also wärst du für Neuwahlen?
Ja, dann könnte ich das erste Mal wählen! Wenn die sich nicht einigen können, wäre das der richtige Move. Bei einer Großen Koalition oder einer Minderheitsregierung würde das nicht mehr so gut gehen.

Wie findest du es, dass die Verhandlungen abgebrochen wurden?
Es zeigt, in was für einer Zeit wir leben. Mehr Gegensätzlichkeiten als Gemeinsamkeiten. Ich bin nicht besorgt. Das sind auch nur Menschen und sie müssen Lösungen zu krassen Themen finden. Fuck it, einfach nur positiv bleiben, dann wird das schon.

Julia, 29:

VICE: Wen hast du vor zwei Monaten gewählt?
Julia: Die Partei, die sich so offensiv gegen die Jamaika-Koalition gewehrt hat: die FDP.

Warum?
Die Partei deckt ziemlich genau das ab, was für unsere Generation wichtig ist. Ich arbeite in der Tech-Branche und bin der Meinung, dass wir vielen anderen Ländern hinterherhängen – das darf nicht so sein. Die Wahlversprechen der FDP fand ich attraktiv, und ich glaube, dass Christian Lindner die richtige Person ist, um das alles umzusetzen.

Würdest du die Partei wieder wählen, wenn es Neuwahlen gäbe?
Ich hatte mir die CDU angeschaut, weil ich Merkel mag und finde, dass sie Deutschland gut repräsentieren kann. Als ich mich mit den Grünen auseinandergesetzt habe, gab es einige Sachen, die ich nicht realistisch fand. Ich würde nach wie vor die FDP wählen.

Wie sollte es deiner Meinung nach weitergehen?
Damit habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Ich finde Neuwahlen ziemlich gefährlich, aber ich glaube, daran führt kein Weg vorbei. Mich besorgt es, dass wir bis Ostern möglicherweise keine neue Regierung haben, es könnte sich zur Never Ending Story entwickeln. Es gibt zu viel Wichtiges, das besprochen werden müsste.

Marcel, 27:

VICE: Welche Partei hast du gewählt?
Marcel: CDU. Ich bin zufrieden mit der bisherigen Politik, deswegen kann es meinetwegen so weitergehen. Wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, würde ich wieder CDU wählen.

Wie sollte es weitergehen?
Natürlich wäre es mir lieber, wenn sie sich geeinigt hätten. Aber das Wahlrecht besagt, dass es Neuwahlen geben muss. Deswegen ist das auch die Option für mich.

Bist du besorgt, dass die Sondierungsgespräche gescheitert sind?
Nein, überhaupt nicht. Das wird schon.

Franziska, 72, und Gabi, 70:

VICE: Welche Partei habt ihr gewählt?
Franziska: Ich habe vor zwei Monaten Grüne gewählt, weil sie am überzeugendsten sind und ich wollte, dass CDU und Grüne koalieren.
Gabi: Ich habe auch Grüne gewählt, aus den gleichen Gründen. Witzigerweise sprechen wir beide nie über Politik, aber hier sind wir uns einig. Bei Neuwahlen würde ich sie auch wieder wählen.

Wie war eure Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen?
Franziska: Es ist ein Trauerspiel. Ich finde es unmöglich, dass sie sich nicht einigen konnten und der Lindner alles platzen ließ.
Gabi: Nein, das macht man einfach nicht. Vielleicht sollten sie die CSU rauslassen und ohne sie weiterverhandeln.

Besorgt euch, dass es erstmal keine Regierung gibt?
Franziska: Besorgt bin ich nicht, aber enttäuscht. Große Koalition fände ich nicht gut und eine Minderheitsregierung auch nicht. Dann bringen die doch nichts zustande.
Gabi: Ich bin auch enttäuscht, vor allem wegen der Kosten, falls es Neuwahlen geben sollte: 90 Millionen Euro [Anm. d. Red.: Laut dem Bundesinnenministerium wurden die Kosten der letzten Wahl auf 92 Millionen Euro geschätzt]. Die könnte man sinnvoller einsetzen. Für die Menschen, die nach Deutschland kommen zum Beispiel, die haben ja nichts.

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