Drogen

Die Bundesregierung zeigt mal wieder, wie egal ihr Kiffer sind

Auf 41 Fragen zur Legalisierung antwortet sie ausweichend, widersprüchlich – oder gar nicht.
Eine Hand reicht einen Joint in eine andere
Symbolfoto || Hände: imago images | Westend61 || Gras: imago images | Cavan Images || Collage: VICE

Wenn Bundestagsabgeordnete mit Hanf-Logo-Mundschutz ans Rednerpult treten, weiß man, dass es interessant wird. Ende Oktober debattierte der Bundestag mehrere Vorstöße der Opposition für eine liberalere Cannabis-Politik. Niema Movassat von der Linkspartei, der mit dem thematisch passenden Mundschutz, argumentierte für die Legalisierung von Cannabis. AfD und Union argumentierten dagegen und alle zusammen aneinander vorbei. Am Ende gab es keine Mehrheiten für die Anträge der Opposition. Aber Movassat war mit dem Thema noch nicht durch. 

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Schon zuvor hatte die Linken-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung rausgeschickt. Darin fragte sie deren Haltung zur Legalisierung von Cannabis ab – man könnte auch sagen: verhörte sie in 41 Fragen. Die Antworten liegen VICE vor.

Darin zeigt sich, wie verhärtet die Fronten zwischen Legalisierungs-Gegnern und -Befürwortern sind. Einerseits, weil sie sich übereinander lustig machen. Warum Cannabis kein Brokkoli sei, fragte die Linkspartei und griff dabei eine Äußerung der Bundesdrogenbeauftragten Daniela Ludwig auf. In der augenrollenden Antwort erfahren wir: "Cannabis (Cannabis sativa) ist eine Pflanzenart der Gattung Hanf (Cannabis), aus der Familie der Hanfgewächse (Cannabaceae). Brokkoli (Brassica oleracea) ist eine Pflanzenart der Gattung Kohl (Brassica) aus der Familie der Κreuzblütengewächse (Brassicaceae)." 


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Aber die festgefahrene Haltung der Bundesregierung zeigt sich auch darin, dass sie bei einigen Antworten ins Straucheln gerät oder Fragen ignoriert und ausweichend beantwortet. Dabei muss man die Gefahren von Cannabis nicht herunterspielen um anzuerkennen: Mindestens vier Millionen Menschen in Deutschland kiffen. Es zu verbieten, funktioniert offensichtlich nicht. Trotzdem gilt für die Regierung: Der Status quo soll verteidigt werden. Unbedingt und ohne Kompromiss.

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Legale Drogen sind gefährlicher als Cannabis, na und?

Ein beliebter wie durchschaubarer Weg, einen wackeligen politischen Standpunkt zu festigen, geht so: Fakten bleiben Fakten, aber bei ihrer Interpretation ist Kreativität gefragt. Das zeigt sich auch in den Antworten auf die Kleine Anfrage. 

Mit Fragen zur Gefährlichkeit von Tabak, Alkohol und Cannabis zwingt die Linkspartei die Bundesregierung zu einem Vergleich. Und den kann die Regierung eigentlich nur verlieren, wenn es darum geht, ob die Zahlen ihre Politik unterstützen. Tabak und Alkohol fordern 121.000 beziehungsweise 74.000 Tote im Jahr. Cannabis keinen einzigen. Und 19 Prozent der Krebsneuerkrankungen waren 2018 aufs Rauchen zurückzuführen, zwei Prozent auf Alkohol. Für Cannabis gibt es keine Zahlen. Ist es also unverhältnismäßig, die harmlosere Droge zu verbieten? Das würden wohl nur Leuten so sehen, die entweder für eine Cannabis-Legalisierung eintreten oder sich in dieser Sache zumindest neutral verhalten.

Alles, was mit unserer Drogenpolitik nicht stimmt

Die Bundesregierung schließt sich aber nicht dem Bild an, dass Cannabis viel weniger gefährlich ist, sondern stellt stattdessen fest, dass es dennoch auch gefährlich sei. Darüber wolle sie aufklären und so den Konsum reduzieren. Außerdem, so heißt es in einer Antwort auf die Frage, warum man Cannabis nicht wie Alkohol und Tabak reguliere, müsse man die Gesellschaft schützen, besonders Jugendliche und junge Erwachsene. Und das mache es "unverzichtbar" Leute zu bestrafen, die unerlaubt mit Betäubungsmitteln hantieren – und, so würde die Gegenseite einwenden, das Regulieren irgendwelchen Kriminellen auf dem Schwarzmarkt zu überlassen. Denn trotz aller Anstrengungen der Polizei wird dieser ja nicht kleiner.

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Die Bundesregierung widerspricht der CDU-Bundestagsfraktion

Die Faktenflexibilität der Bundesregierung beherrscht auch Alexander Krauß von der CDU virtuos. Bei der jüngsten Cannabis-Debatte im Bundestag wärmte er (und vor ihm der Vertreter der AfD) ein wissenschaftlich längst widerlegtes Klischee auf. "Mitunter ist Cannabis auch ein Einstieg in eine Drogenkarriere", sagte er. Das ist sogar so sehr widerlegt, dass es das Gesundheitsministerium in einem ihr unterstellten Infoportal schreibt, und die Bundesregierung dazu gar keine Informationen mehr sammelt: Auf die Anfrage der Linken, wie viele Jugendliche von Cannabis auf andere Drogen umsteigen und um welche es sich dabei handele, lautet die kurze Antwort der Bundesregierung, dass ihr dazu keine Daten vorliegen. 

Die Bundesregierung spielt die Forschungsergebnisse ihres wissenschaftlichen Dienstes herunter

In Regierungskreisen wird sie offenbar immer mehr zum peinlichen Ärgernis – eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung zu Cannabis. In ihrer Veröffentlichung vom November 2019 hatten die Forschenden, ganz der Wissenschaft und nicht der Politik verpflichtet, Ergebnisse zu Tage gefördert, die so gut zu den Regierungspositionen passen wie Senf zu Cappuccino. 

Die Untersuchung hatte ergeben, "dass die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat". In Ländern mit einer liberalen Drogenpolitik gebe es außerdem einige der niedrigsten Raten an Konsumierenden. In Belgien, den USA, Kanada und den Niederlanden hätten Jugendliche nach der Liberalisierung von Drogengesetzen entweder genauso oft Cannabis konsumiert wie davor oder sogar weniger.  

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All das, stellt die Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung zur Linken-Anfrage fest, sei kein Grund, irgendetwas an der deutschen Drogenpolitik zu ändern. Denn der Wissenschaftliche Dienst verweise ja ebenfalls darauf, dass man noch nichts über die langfristigen Auswirkungen der Gesetzesänderungen auf das Konsumverhalten sagen könne. Es könne sich womöglich auch nur um kurzfristige Abweichungen handeln.

Man kann nur vermuten, was passiert wäre, wenn der Wissenschaftliche Dienst das Gegenteil festgestellt hätte – steigenden Cannabis-Konsum unter Jugendlichen wegen liberaleren Drogengesetzen. Die Bundesregierung hätte wohl kaum darauf verwiesen, dass man erst mal abwarten müsse, ob sich an diesem Ergebnis noch etwas ändert.

Die SPD macht einen Rückzieher bei der Cannabis-Entkriminalisierung

Mitte Februar sammelte die SPD Punkte unter Cannabis-Legalisierungsfans. In einem Positionspapier legte sich die Bundestagsfraktion nach langem Herumeiern fest: Cannabis soll entkriminalisiert werden. "Die Prohibition von Cannabis in Deutschland ist krachend gescheitert. Sie kriminalisiert unnötig und begünstigt einen ausufernden Schwarzmarkt und überlastet Polizei und Justiz", so das Statement der Genossen dazu. Das war bemerkenswert, denn die Koalitionspartner von der Union sahen und sehen das anders. 

Jetzt zeigt sich: Die Positionen waren das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurden.

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Die Bundesregierung habe das Positionspapier zwar zur Kenntnis genommen, es sei in der Koalition aber nie diskutiert worden, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Auch in der SPD-Fraktion werde das Papier nach Kenntnis der Bundesregierung nicht weiter verfolgt. Mit anderen Worten: All das war nichts weiter als ein von der CDU belächelter SPD-Arbeitsnachweis.

Alles bleibt beim alten – zumindest vorerst

Wenn die Bundesregierung ihre Sturköpfigkeit in der Cannabis-Frage beweisen wollte, hat sie sich mit ihren Antworten Bestnoten verdient. Eine Legalisierung wird es mit ihr nicht geben. Auch von der SPD ist in dieser Legislaturperiode offenbar nicht mehr viel zu erwarten. Ihr Positionspapier wäre weiter gekommen, wenn eine Mitarbeiterin es zusammengefaltet vom Dach des Willy-Brandt-Hauses hätte segeln lassen. 

Die Bundesregierung ruht sich indessen weiter in einer Parallelwelt aus, in der Strafandrohungen die Leute schon überzeugen werden, die Finger von Cannabis zu lassen. Für Niema Movassat gleicht das einer Bankrotterklärung. Es reiche nicht aus, einfach nur den Gesundheitsschutz der Bevölkerung vorzuschieben, um die vielen Nachteile des Cannabis-Verbots zu rechtfertigen, schreibt Movassat in einem Statement. "Die Kriminalisierung von Konsument*innen, die gesundheitlichen Risiken, die durch überzüchtetes oder verunreinigtes Cannabis entstehen und die Entmündigung erwachsener Menschen, die mit ihrem Cannabiskonsum niemandem Fremdschaden zufügen – all das ist für mich nicht mehr länger hinnehmbar."

Er wünsche sich stattdessen, dass die Bundesregierung und ihre Drogenbeauftragte bei der Gestaltung und Ausrichtung ihrer Drogenpolitik Hilfe von Expertinnen holen" – um den Weg hin zu einer evidenzbasierten und fortschrittlichen Drogenpolitik zu ebnen!" Diesen Weg aber, das lernt man aus den Antworten der Bundesregierung, können die Wählerinnen und Wähler im nächsten Jahr bei der Bundestagswahl mit ihrem Kreuz an der richtigen Stelle nur selbst gehen.

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