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Wie uns Google Maps täuscht

Was auf Google Maps existiert, das ist real. Und was da nicht eingetragen ist, das gibt es nicht, glauben viele. Das hat böse Folgen.
Eine Google-Maps-Grafik zu Besuchszeiten und das Bräustüberl Tegernsee
Foto: Peter Hubert GmbH & Co. KG | Bräustüberl Tegernsee

Wir sind ziemlich gelackmeiert, wenn Google Maps uns hängen lässt. Ein Gefühl der tiefen Enttäuschung breitet sich im Bauch aus, wenn ein Café offensichtlich nicht an der Stelle ist, wo Google denkt, dass es sein müsste. Oder wenn Google Maps sich sicher ist, dass es dich an den richtigen Ort geführt hat, du aber vor einem nicht befahrbaren Feldweg stehst. Google Maps baut unser Bild der Wirklichkeit. Was machen wir, wenn sich die mit unserer Wahrnehmung der Welt beißt?

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Wir brauchen Google Maps. Und Google Maps braucht uns. Die App funktioniert nur deshalb so gut, weil es relativ leicht ist, selbst neue Einträge zu verfassen: Google klärt per Anruf, SMS oder Postkarte die angegebenen Daten. Danach kann man Einträge schreiben oder auch bestehende verändern. Weil viele Unternehmen ihre Einträge mit einer Anzeige von Google sichtbarer machen wollen, profitiert das Unternehmen davon. Meistens läuft dabei alles gut. Manchmal gibt es Manipulationen: Das AfD-Büro in Neukölln hieß im Sommer 2019 in seiner Google-Beschreibung nicht "Politische Partei", sondern "Karnevalsverein". Was in dem Fall ziemlich kurios und irgendwie ja auch akkurat ist. Restaurantbesitzer aber kann so eine Manipulation ruinieren. Es gibt Berichte, nach denen Konkurrenten über Google Maps versuchen, anderen zu schaden: Indem sie zum Beispiel gefälschte Einträge schreiben. Wenn in einer Straße plötzlich fünf Schuster liegen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand auf den richtigen Laden klickt, geringer. Oder Konkurrenten erstellen Fake-Profile – darin ist der richtige Schuster beschrieben, aber angegeben sind falsche Öffnungszeiten, Telefonnummern oder Adressen. Wenn sie richtig perfide sind, dann führen sie mit diesen Angaben potenzielle Kunden sogar zu sich selbst, anstatt zu dem eigentlich gesuchten Laden.

Manchmal sind falsche Angaben aber auch gewollt. Google Maps setzt selbst künstliche Orte in seine Karten, um seine Daten vor Kopien durch Konkurrenten zu schützen. Das ist ein uralter Trick aus einer Zeit, in der Kartenmachen noch unglaublich aufwendig war.

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Wir haben einige der kuriosesten Beispiele gesucht, die in Deutschland gerade auf Google Maps verkehrt laufen.

1. Ein ausgebuchtes Bräustüberl mit leeren Tischen

Stell dir vor, dein Bräustüberl ist voll, aber keiner ist da.

Es war am 25.11.2017, so ist es im Protokoll "Zeitablauf Klage Google" des herzoglichen Bräustüberls Tegernsee notiert, dass ein "erster Hinweis auf die Wartezeiten bei Google" einging. "1 Std., 45 Min." solle man auf einen Platz warten, das stand unter blauen Balken, die die Auslastung des Bräustüberls anzeigen sollten. Dabei sei es in den ganzen 16 Jahren, in denen Peter Hubert Wirt des Stüberls ist, noch nie vorgekommen, dass die insgesamt 1.400 Sitzplätze komplett belegt waren. Auch nicht an diesem 25. November. Google, oder besser sein Algorithmus, war davon jedoch überzeugt. Man könne die Angaben nicht verändern, weil die Parameter weltweit verwendet würden, hieß es.

Wirt Peter Hubert beschloss, das Spiel David gegen Goliath zu spielen. Sein Anwalt sandte eine Abmahnung mit Unterlassungsverpflichtungserklärung an Google. Google antwortete. Und verwies auf die Hilfeseiten von "Google My Business".

Hubert verfasste eine Klage. Drei Mal konnte sie offenbar nicht an den Google-Sitz in Hamburg zugestellt werden. Als es schließlich klappte, teilte das Unternehmen mit: "nicht zuständig". Nach weiteren Schleifen, mehr als zwei Jahre später, ruft im August 2010 der Rechtsanwalt bei Peter Hubert an: Post vom Gericht. Google habe die Klage anerkannt. Das Diagramm mit den blauen Balken und die Wartezeit ist vom Eintrag der Bräustüberls verschwunden.

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"Soweit hatten wir den Kampf gewonnen", heißt es vom Bräustüberl. Aber: Weil das Unternehmen nicht schuldig gesprochen wurde, wurde kein Präzedenzfall geschaffen. Und Hubert kann die Funktion von Google jetzt schlicht nicht mehr nutzen. "Das könnte für uns ein Nachteil sein", sagt er. Auch den Großteil der Prozesskosten und seinen Anwalt musste der Wirt selbst bezahlen.

2. Dackmar: Der Ort, in dem alle Straßen gleich heißen

In Dackmar zeigt sich, wieso mangelnde Kreativität wirklich unpraktisch sein kann. Dackmar liegt in Nordrhein-Westfalen und in Dackmar heißen alle Straßen gleich. Wie die hießen? Genau: Dackmar. Die Geschichte von Dackmar geht so: In einem Umkreis von acht Kilometern liegen drei Ortschaften mit der Straße "Dackmar". Aber nicht nur die Straßennamen sind identisch, auch die Hausnummern. Deshalb gibt es zum Beispiel gleich dreimal die Adresse "Dackmar 3". Zweimal liegt die Adresse in Sassenberg, einmal in Warendorf. Weil das Google Maps aber manchmal verwirrt, führt das zu Problemen.

Heinz S. lebt in so einem Dackmar 3, seit er geboren wurde. Er kann lustige Dinge erzählen und nachdem er es zuerst ein bisschen merkwürdig findet, dass ihn eine Journalistin aus Berlin wegen seiner Wohnadresse anruft, erzählt er sie auch. "Einmal wollten die ein Dachfenster einbauen, das ich nicht bestellt hatte." Er konnte die Handwerker glücklicherweise von ihrem Vorhaben abhalten. "Und ich hatte schonmal einen Pferdeanhänger auf dem Hof stehen. Die wollten hier ein Reitturnier machen. Aber ich hab gar keinen Reiterhof und keine Pferde."

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Briefe gehen oft verloren, sagt Heinz S. Pakete kommen erstaunlicherweise an. Lebensbedrohlich ist die mangelnde Kreativität von Dackmar 3 aber nicht: Als Heinz S. seiner schwerkranken Mutter einen Rettungswagen bestellen musste, kam der schnell an. "Die benutzen wahrscheinlich was anderes als Google Maps", sagt S. Ob er sich eine andere Anschrift wünschen würde? "Nö", sagt er. "Dann können die anderen ja eine neue nehmen."


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3. Strandparken in St. Peter-Ording: Bitte einmal ins Meer fahren

Ein Tag am Strand, wie schön. Man gibt also "Parken St. Peter-Ording" gewohnheitsgemäß ungenau in die Navigations-App ein, sie findet das wohlklingende und scheinbar optimal gelegene "Strandparken Ording" und pflanzt selbstbewusst den roten Google-Punkt mit der Zielspitze auf – Wasser. Wer sein Auto in Salzwasser zu parken nicht für besonders klug hält, der ist eventuell erst einmal verdutzt und fährt dann eben woanders hin. Nein, nein, versichert aber Bennet Homrighausen von der Touristikzentrale St. Peter-Ording, der Parkplatz liege normalerweise nicht unter Wasser. Auch nicht bei Flut. Der Parkplatz sei schon direkt am Strand, aber eigentlich könne man da ganz normal parken. Man hört Homrighausen nun selbst die Adresse in sein Smartphone tippen. Ergebnis: Der Punkt sei richtig gesetzt. Bloß scheint Google Maps eine Sturmflut eingezeichnet zu haben – normalerweise käme das Wasser gar nicht so weit. Zum Zeitpunkt des Telefonats hat Google Maps sogar recht, denn weil es gerade eine solche Sturmflut gab, ist der Parkplatz wirklich überschwemmt. Google Maps ist also vielleicht einfach ein bisschen übervorsichtig. Wie niedlich.

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4. Der Bibersee: Erfunden von einem "Scherzbold"

Ein im baden-württembergischen Eppingen schon wohlbekannter Biber tat, was er tun musste: Er baute sich eine Biberburg und staute den Eppinger Hilsbach so, dass er über seine Ufer trat. Das Wasser, das Teile eines Zuckerrübenfeldes überschwemmte, nannte dann ein Unbekannter "Bibersee", steckte im Januar ein selbstgebasteltes Schild daneben – und weil ihm das wohl zu analog war, meldete er den Bibersee auch auf Google Maps an. Und was die Menschen auf Google Maps lesen, das schleicht sich oft in ihren Sprachgebrauch ein.

Dass der von der Lokalzeitung als "Scherzbold" betitelte Unbekannte ein "er" ist, bestätigt Jörg Wiedmann von der Stadtverwaltung in Eppingen. Wer genau das aber war, das will er nicht sagen. "Ein Ortsansässiger. Aber das sind so Interna." Wiedmann sagt, in wunderbar schwäbischem Dialekt: "Vorher hat's eigentlich keinen interessiert, aber seit es den Punkt in Google Maps hat, ist das irgendwie gehypt. Dabei ist das ja gar nichts Besonderes, eine Pfütze. Die Biber sind nachtaktiv, die sieht man auch nie."

Der "Scherzbold" hat den See als "Naturschutzgebiet" beschrieben und tatsächlich darf der Biber nicht vergrämt werden – der Bauer bekommt seine überschwemmten Rüben also nicht unbedingt vor der Ernte zurück. Wiedmann denkt aber nicht, dass der Biber noch lange bleibt. Denn sein Damm liegt direkt neben einer vielbefahrenen Landstraße. Und an jedem Wochenende kämen jetzt Menschen, um sich den Bibersee anzugucken. Das werde ihm dann wohl langsam zu unruhig.

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5. Trap Street: Die "Könzgem Straße"

Ein Anruf in Selm in Nordrhein-Westfalen. "Eigentlich gibt es hier nur die Schorfheide, die alte Zechenbahn – von einer Könzgem Straße habe ich noch nichts gehört", sagt Daniel Gremme, der eigentlich genau um die Ecke leben soll. Denn was beim "Bibersee" ganz niedlich ist, kann auch vertrackter sein. Es gibt nämlich sogenannte "Trap Streets" auf Google Maps. Das sind kartengewordene Wasserzeichen. Würde ein anderer Anbieter die Kartendaten von Google kopieren, würde er auch die eingebauten Fehler mitnehmen – Google Maps könnte das dann leicht zurückverfolgen. Die meisten Trap Streets tilgt Google Maps, nachdem sie bekannt sind. Die "Könzgem Straße" ist aber noch da.

Im Straßenverzeichnis der Stadt ist sie nicht eingetragen, bei anderen Kartendiensten gibt es die Straße zwar, aber sie trägt dort keinen Namen. Gremme sagt: "Die gibt's nicht. Da hat sich wieder einer was einfallen lassen."

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