Polizeigewalt, Pfefferspray und „Das Boot ist voll”-Rhetorik – der NPD-Parteitag in Weinheim

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Polizeigewalt, Pfefferspray und „Das Boot ist voll”-Rhetorik – der NPD-Parteitag in Weinheim

Die Polizei fuhr mit Wasserwerfern auf und setzte Pfefferspray ein. Insgesamt landeten 201 Personen in Gewahrsam, die am Abend aber wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Der Bundesparteitag der NPD versetzt Weinheim in Baden-Württemberg in den Ausnahmezustand. Zum dritten Mal in Folge findet der Parteitag der NPD dort statt. Ganze acht Gegenveranstaltungen sind laut Polizeiangaben am Samstag über die Stadt verteilt.

Die Stimmung ist aufgeheizt, das merke ich, als ich auf einer Brücke hinter einer der Absperrungen der Polizei zwischen den Gegendemonstranten stehe und sich ein NPD-Delegierter durch die Menge drängelt. Er ruft der Polizei vor der Absperrung aufgebracht zu, dass er zur Stadthalle will, dem Veranstaltungsort des Parteitages.

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Fotos von Anna Neifer

Die Umstehenden werden laut, buhen und rufen „Haut ab". Es bleibt bei zornigen Worten und als der Mann von der Polizei abgewiesen wird, muss er durch die Menge zurück einen anderen Weg zur Stadthalle einschlagen.

Strammstehen und Fahnenschwingen beim NPD-Parteitag

Draußen spitzt sich die Lage zu und es kommt zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Polizei und Gegendemonstranten, drinnen in der Stadthalle stehen die Delegierten der NPD stramm, als zum Auftakt des Parteitages Fahnen geschwungen werden. Der Vorsitzende der Bundespartei Frank Franz feiert seinen Geburtstag und will zeigen, dass die NPD auf einem neuen Kurs ist. Das Motto des Parteitages „Das Boot ist voll" stammt hingegen aus den 90er Jahren und verstärkt Ängste und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen. Die NPD müsse sympathisch auftreten und nah an die Bürger ran.

Der Applaus für Frank Franz ist verhalten. Als er letztes Jahr zum Vorsitzenden gewählt wurde, galt der 37-jährige vielen als Notlösung. Großen Applaus gibt es stattdessen für seine Amtsvorgänger, Udo Pastörs, Chef der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, und den NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt.

Voigt lässt durchblicken, dass ihn einige Mitglieder der NPD gern zurück hätten, doch er unterstützt Franz und bescheinigt ihm: „Er hat seine Schul- und Hausaufgaben ordentlich gemacht." Voigt klingt in der Situation ein wenig wie ein Lehrer, der den umstrittenen, aber fleißigen Klassensprecher lobt.

Die Rechtsextremen beschwören Geschlossenheit, um im kommenden Frühjahr den Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt zu erreichen, sogar vom Bundestag ist die Rede, dabei lag die Partei im Jahr 2013 bei 1,3 Prozent. Ein Mitspielen auf Bundesebene ist auch nach den jüngsten Umfragen für die Rechtsextremen völlig ausgeschlossen.

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Ganz anders sieht es bei der AfD aus, die laut der Sonntagsfrage im November nach Umfragen aller Meinungsinstitute bei mindestens 7 % landet.

Besorgt schielen die Rechtsextremen auf die Erfolge der AfD, deren Veranstaltungen gut besucht sind. Bei einer Demonstration Anfang November mobilisierte die AfD in Berlin 5.000 Anhänger. Björn Höcke schaffte es in Erfurt sogar, 8.000 Demonstranten auf die Straße zu bringen. Ein Zuspruch, von dem die NPD nur träumen kann.

Frank Franz versucht, eine klare Grenze zur AfD zu ziehen, die weder systemkritisch sei noch die „Völkermordzentrale"—so bezeichnet Franz die USA—ablehne. Die NPD bleibe die einzige nationalistische Partei.

In Weinheim will man mit der Vergangenheit abschließen, den „Dreck" und den alten „Filz" der vergangenen Jahre hinter sich lassen. Verschiedene Skandale um Funktionäre hatten die Partei aufgewühlt und vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wurde die NPD wegen erschlichener staatlicher Subventionen zu einer Strafzahlung in Höhe von 1,27 Millionen Euro verurteilt. Nach dem jahrelangen Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen gibt es laut Franz in diesem Jahr zum ersten Mal ein Wachstum.

„Die Migrationsdebatte spielt uns in die Hände", erklärt Franz diese Entwicklung im Gespräch mit VICE, und man gebe sich nach außen hin moderater. Die Partei habe sich umstrukturiert und insgesamt verjüngt. Auf Facebook habe die NPD 140.000 Likes und dies sei auch der primäre Kanal, über den Leute den ersten Kontakt zur Partei herstellten. Die NPD solle eine Partei der Normalität werden. Eben so wie die Partei Normalität definiere, setzt Franz nach einer kurzen Pause noch hinzu.

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Beim vom Bundesrat initiierten Verbotsverfahren gibt sich die Führungsriege der NPD gänzlich unbekümmert. Ebenso in Bezug auf die vermutlich andauernde Bespitzelung des Verfassungsschutzes. Der Rechtsanwalt der NPD, Peter Richter, geht davon aus, dass in den Landesverbänden weiterhin V-Männer sitzen. Im Jahr 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht ein erstes Verbotsverfahren eingestellt , da der Inlandsgeheimdienst Spitzel in den Führungsgremien der Partei eingeschleust hatte.

Die Pariser Terroranschläge missbraucht die rechtsextreme Partei für ihre Zwecke und der Landesvorsitzende von Brandenburg, Ronny Zasowk, bezeichnet die weiter ankommenden Flüchtlinge als „das trojanische Pferd des islamistischen Terrors". Um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, entrollten vergangene Woche NPD-Abgeordnete im Plenarsaal von Mecklenburg-Vorpommern—dem einzigen Landtag, in dem die NPD vertreten ist—ein Transparent mit der Aufschrift „Paris mahnt. Asylflut stoppen.".

Franz hält dies für eine legitime Provokation. Der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern wertete die Aktion als einen Verstoß gegen die Ordnung des Hauses und schloss die beteiligten vier NPD-Abgeordneten für drei Sitzungstage aus.

Ein Großaufgebot der Polizei war bis in die Nacht vor Ort.

Etwa 1.700 Polizisten sind am Wochenende im Einsatz. Nachdem sich Polizei und Gegendemonstranten ein heftiges Gefecht mit Pfefferspray liefern, werden Wasserwerfer aufgefahren, allerdings kommen die nicht zum Einsatz. Videoaufzeichnungen eines russischen Fernsehsenders zeigen, dass Polizisten sehr rabiat mit den Demonstranten umgingen. In einer Szene treten Polizisten nach den Knien von Demonstranten. Über Twitter gab die Polizei bekannt, man habe das Material zur Kenntnis genommen. Laut dem Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mannheim, Michael Klump, landen am Samstag 201 Personen in Gewahrsam, werden aber abends wieder auf freien Fuß gesetzt. Beim überwiegend friedlichen Aufzug der Gegendemonstranten durch die Stadt sind etwa 1.500 Menschen beteiligt, trotz regnerischem Wetter. Insgesamt werden 16 Beamte verletzt, ein Polizist sogar schwer.