Ja, Tattoos sind schmerzhaft. Dieser Schmerz ist für die meisten aber nicht mehr als ein Mittel zum Zweck. Tätowierer sind in der Regel auch rücksichtsvoll, was die Schmerztoleranz ihrer Kunden angeht. Sie legen Pausen ein und sind nicht unnötig rabiat. Extrem ungewöhnlich ist es hingegen, Kunden beim Tätowieren zu fixieren. Genau so wenig normal ist es, dass sich Körper bei einer Session vor Schmerzen aufbäumen, um der unerbittlichen Nadel der Tätowiermaschine zu entkommen. Und, nein, es ist auch nicht normal, eine sadistische Freude in den Gesichtern gleich mehrerer Tätowierer zu sehen, während sie scheinbar pausenlos ungewöhnlich lange und dicke Linien unter die Haut stechen, als würden sie gerade an einer Holzschnitzarbeit sitzen.
Willkommen bei Brutal Black. Hier kommen Mandalas zum Sterben hin. Valerio Cancellier, Cammy Stewart und Phillip “3Kreuze”, die drei Tätowierer hinter dem Projekt, wollen den Ritualaspekt zurück in die Kunst bringen und dem Tätowieren neues Leben einhauchen. An Brutalität ist ihr Ansatz kaum zu überbieten. Stolz sagen sie: “Es wird dein Leben ruinieren.”
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Ich habe mit ihnen gesprochen, um herauszufinden, warum zur Hölle irgendjemand so etwas mit sich machen lässt.
VICE: Wie unterscheidet sich Brutal Black von einer herkömmlichen Tattoo-Session?
Cammy: Bei meinen regulären Arbeiten ist das Resultat am wichtigsten. Das hier ist für mich aber komplett anders. Dieses Tätowieren ist nicht für jeden etwas, aber für mich nimmt es genau das auseinander, was Tätowieren in meinen Augen geworden ist: gekünstelt, seelenlos, aufgeweicht durch Mode, Medien und Popkultur. Für mich ist es ein großes “Fuck You” an das, wofür die meisten Menschen Tattoos heutzutage halten.
Valerio: Die Tattoo-Welt von heute ist die Weiterentwicklung eines zutiefst handwerklichen Produkts, das viele als Kunst bezeichnen. Der rituelle Aspekt wird dabei komplett verworfen. Brutal Black will sich nicht auf Kompromisse einlassen. Die Erfahrung des Rituals ist dabei das fundamentale Element.
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Phillip: Bei meinen tagtäglichen Tattooarbeiten bin ich auch rabiat, schroff und hart und fülle große Hautflächen in kürzester Zeit. Aber ich achte mehr auf meine Kunden und ihre Körper. Bei diesem Projekt gibt es kein Erbarmen, keine Skrupel, keine Empathie. Am Anfang war es komisch, so an die Sache heranzugehen. Jetzt ist es nur geil, die Leute in der Session zu zerstören – der Schmerz in ihren Augen, das Zittern ihrer Körper und die ganze Sauerei. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich zusammen mit meinen Klienten Ziele erreiche. Das bedeutet nicht, ein komplettes Sleeve oder ein besonders großes Piece zu machen. Es bedeutet, den Willen zu brechen und bis ans Äußerste zu gehen. Wenn du nach der Session kaum noch laufen kannst, hast du alles richtig gemacht. Schmerz ist vergänglich, Stolz bleibt für immer!
Wie hat alles angefangen?
Cammy: Ich habe Valerio über Facebook kennengelernt. Er hatte das Gesicht von jemandem tätowiert, ich mochte die Arbeit und wollte mit ihm sprechen. Nach ein paar Nachrichten entschieden wir uns, zusammen an einem großflächigen Blackwork-Projekt in Italien zu arbeiten. Das lief gut, wir verstanden uns super und unsere Stile ergänzten sich. Wir haben weiter zusammengearbeitet, so oft wir konnten – etwa zweimal pro Jahr. Wir hatten bereits drei Projekte gemeinsam gemacht – das letzte in Deutschland, wo Phillip dazugekommen ist. Ich hatte allerdings Probleme mit dem Flug und konnte nicht daran teilnehmen.
Phillip: Wegen seines allgemeinen Erscheinungsbilds und ein paar tätowierten Swastikas hatte Cammy Probleme, von Schottland einzureisen. Die Polizei hatte Fragen an ihn und er hat seinen Flug verpasst. Das Projekt musste also unter neuen Konditionen über die Bühne gehen. Es war alles seit mehreren Monaten geplant und unser Kunde, ein guter Freund von mir, hatte sich bereiterklärt. Franky wusste, dass da etwas sehr Primitives und Brutales auf ihn zukommen würde. Das Tätowieren dauerte insgesamt über fünf Stunden, verteilt auf zwei Tage, alles so schnell wie möglich. Es gab aber Pausen zum Kotzen und Heulen.
Wann habt ihr denn gemerkt, dass es bei Brutal Black um mehr als Ästhetik geht?
Cammy: Als ich die Reaktionen der Kunden während des Tätowierens sah, setzte sich in meinem Kopf etwas in Gang. Bei dem Projekt geht es nicht immer um das Ergebnis. Es geht um den Prozess. Wir wollen die Sache auf das Primitive runterbrechen – auf den Übergangsritus. Die Grenzen deines inneren Selbst ausloten. Wie sehr willst du etwas wirklich? Kannst du es bis zum Ende durchziehen? Die Spuren des Tattoos sind nur eine Erinnerung an das, was du über dich selbst während des Prozesses gelernt hast. Für mich sind die Spuren auf der Haut nicht so wichtig wie die Spuren im Kopf.
Valerio: Nichts war festgelegt, nichts war geplant, nichts war forciert. Es war unklar, was daraus werde würde, aber ein Bewusstsein war geboren. Brutal Black ruft dich in die primitive Brutalität zurück, die die Moderne versaut hat. Es gibt viele brutale Stammesrituale, die man auch als Überlebensprobe bezeichnen könnte. Auch wenn das Projekt kein Andenken an Stammesrituale darstellt, so hat seine Energie die gleichen Ursprünge.
Was denkt ihr, motiviert jemanden dazu, sich so tätowieren zu lassen?
Cammy: Die Motivation dafür dürfte bei jedem anders liegen. Ich genieße die Energie, die zwischen Kunden und Tätowierern geteilt wird. Es ist für alle Beteiligten extrem intensiv, aber auf eine gute Art. Manchmal ist es gut, dich selbst etwas weiter zu pushen, als du glaubst, gehen zu können – für den Künstler und für den Kunden. Es gibt kein Ziel. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen und das ist nur eins davon. Tätowieren kann dir helfen, deine Wurzeln zu finden und zu lernen, dass du Schmerz – genau wie Vergnügen – verarbeiten kannst, wie immer du willst. Es ist nicht mehr als ein besonders intensiver Augenblick in einem Leben, das größtenteils mit Gefühlen gefüllt ist, die du schnell wieder vergessen hast. Um es wieder auf die Stammesgeschichte runterzubrechen: Einst warst du Krieger, erinnere dich daran. Es ist zu leicht, eine Drohne in dieser faden Welt zu werden, in der wir gezwungen sind zu leben.
Valerio: Jeder kann dieses Erlebnis auf seine eigene Art erfahren. Es kann auch eine Probe für uns – oder gegen uns – sein. Man mag es nur schwer glauben, aber es steckt keinerlei Negativität darin – kein Hass, kein Sadismus. Jedenfalls bin ich nur das Vehikel, der Henker, der Schlachter. Der Körper kann ein solches Ritual aushalten, aber es braucht einen sehr starken Geist.