Der Alkoholkonsum ist in Ägypten ein offenes Geheimnis

„Theoretisch gibt es keinen Alkohol in Ägypten”, sagt Shaker Nawal, der Manager von Kouroum of the Nile, einem unabhängigen ägyptischen Weingut in Kairo. „In der Realität aber schon.”

Der scheinbare Widerspruch spiegelt die Rolle von Alkohol in diesen vorwiegend muslimischen Land wider. Die Ägypter brauen schon seit 3000 Jahren Bier und tun es auch heute noch—nur das Trinken ist nicht so einfach.

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Unter dem wachenden Auge von Osiris, dem Totengott, brauten die Ägypter in der Antike Bier aus reichhaltigem, saurem Teig aus Gerste oder Ammer. Der Teig wurde gebacken, zerkrümelt und mit Wasser durch ein Sieb gegossen, fermentiert und schließlich mit Datteln oder Malz aromatisiert. Das Bier war voller Nährstoffe und ein wichtiges Nahrungsmittel für die Bauarbeiter im Gizeh-Plateau, das ihnen die nötige Ausdauer schenkte, um eine Zivilisation zu errichten.

Ein großer Mann wies seinen Angestellten an, die Tüten mit Alkohol in sein Auto zu laden, damit er den Alkohol selbst nicht angreifen muss. ‚

Alahu akbar

Mit der arabischen Eroberung Ägyptens und der Ankunft des Islams kam auch das religiöse Alkoholverbot. Die neuen muslimischen Machthaber waren nicht begeistert von der Vorliebe der Ägypter für Alkohol, die auch in künstlerischen Darstellungen zum Ausdruck gebracht wurde. Alkohol war den Arabern jedoch nicht fremd. Man wusste, dass prominente religiöse Personen—wie der zweite Kalif Omar Ibn Al Khattab—und einige der Begleiter des Propheten getrunken hatten.

Aber anders als Saudi Arabien, der Iran und Afghanistan wurde Ägypten kein trockenes Land. Im späten 19. Jahrhundert berichtete der Orientalist Edward William Lane von „Boozah”—Alkohol aus Gerstenbrot, der auf den Straßen verkauft wurde—und der ägyptischen Laxheit. „Wein und alle berauschenden Getränke sind verboten, weil sie mehr Übel anrichten als Gutes tun”, schrieb er. „Viele Muslime trinken jedoch heute Wein, Brandy und so weiter im Geheimen, und einige, die es für keine Sünde halten, in Maßen zu trinken, haben keine Bedenken, es öffentlich zu tun.”

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Stella (hat nichts mit Stella Artois zu tun) ist das offizielle Bier Ägyptens. Foto von mencantagava via Flickr.

Heute hat Kairos Trinkkultur mehrere Facetten: von versteckt and verlockend haram (verboten) bis offen kosmopolitisch. Die schicken Restaurants, hippen Clubs und historischen Bars der Stadt—manche schäbig, andere grelle Funken der Verwestlichung—und die Alkoholgeschäfte offenbaren die turbulente Beziehung Ägyptens zu Alkohol.

In den nobleren Vierteln von Kairo—Zamalek, Maadi, Heliopolis—gibt es britische Pubs, Bars, die 200 EGP (24 Euro) fürs Gedeck verlangen und klimatisierte Alkoholgeschäfte. Alkohol in wohlhabenden Gegend zu kaufen und zu konsumieren, ist gesellschaftlich akzeptiert. In Gegenden der Unter- bis Mittelklasse wie Gizeh und Sayeda Zeinab ist Alkohol zu kaufen jedoch ungefähr ähnlich gefährlich wie ein Drogendeal.

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„In Zamalek sind nicht alle Kunden frei”, sagt Samman, der Manager eines erfolgreichen Spirituosengeschäfts in Zamalek. An einem der umsatzstärksten Tage des Jahres, kurz vor Ramadan, verließen Sammans Kunden den Laden mit klirrenden Flaschen Wein und 24er-Packungen Bier—mit einer Ausnahme: einem großen Mann, der seinen Angestellten anwies, die Tüten mit Alkohol in sein Auto zu laden, damit er den Alkohol selbst nicht angreifen muss.

Im krassen Gegensatz zu denen, die mit Flaschen in den Händen auf der Straße herumlaufen, „kaufen die Muslimbrüder in Wasserkisten oder schwarzen Tüten”, sagte er. Sogar im wohlhabendsten Paradies „kaufen Typen, die ‚Alahu akbar‘ rufen, schwarz Alkohol in Plastiktüten”, erklärte er.

Der Vorbehalt der Ägypter gegenüber Alkohol hat auch mit den strengen gesetzlichen Vorschriften zu tun. In Ägypten ist der Verkauf und der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Plätzen oder in Geschäften verboten, mit der Ausnahme von Hotels und touristischen Einrichtungen, die vom Tourismusministerium als solche genehmigt wurden. Während das Gesetz zwar nur mit wenig Erfolg den Alkoholverkauf auf Hotels beschränkt, hindert es jegliches Wachstum der Alkoholbranche. Eine Alkohollizenz zu bekommen, ist für angehende Geschäfte, Bars und Drei-Sterne-Hotels fast ein Ding der Unmöglichkeit.

1973 verbot ein Gesetz den Verkauf von Alkohol an Ägypter—eingeschlossen der zehn Prozent der Bevölkerung, die Christen sind—während des Ramadans und der islamischen Feiertage.

Bars in Ägypten besitzen noch alte Alkohollizenzen, die vor Jahrzehnten ausgestellt wurden, „als es noch einfach war”, erzählt Osama Mohamed, der Manager des King Hotel in Dokki in Kairo. „Heute ist es fast unmöglich für ein Drei-Sterne-Hotel, eine Lizenz zu bekommen.” Der komplizierte und schlichtweg mysteriöse Prozess, eine Alkohollizenz zu erhalten, hält die Alkoholbranche davon ab, den ägyptischen Markt zu überschwemmen.

Das alkoholische Lieblingsgetränk der Ägypter ist Bier, das etwa 54 Prozent des konsumierten Alkohols ausmacht. Mit dem Geschmack von ägyptischem Wein und Spirituosen muss man sich erst einmal anfreunden, was viele nicht geschafft haben. Das Unternehmen Al-Ahram Beverages, das schon seit 1897 in Ägypten agiert, hat ein Monopol auf die Branche. Als Al-Ahram 1963 nationalisiert wurde, kümmerte sich das Unternehmen um die notwendigen Produktions- und Betriebsgenehmigungen, und so wurde es zum größten Player der Branche. Al-Ahrams einziger Konkurrent, die Egyptian International Beverage Company (EIB), ein unabhängiges Weingut, hat aufgrund von Verkaufslizenzen Probleme mit der Expansion. Das Verbot von Werbung für alkoholische Getränke macht es außerdem schwierig, das Stigma des Alkoholkonsums zu verändern.

„In den 70-er-Jahren wurde die Branche ein bisschen eingeschränkt und Gesetze über die Erneuerungen von Lizenzen und über das Werbeverbot wurden verabschiedet”, erklärte Shams Eweiss, der Mediendirektor von Al-Ahram Beverages. Als Al-Ahram in den 80er-Jahren wieder privatisiert wurde, passte sich das Unternehmen der konservativen Einstellung des Landes gegenüber Alkohol an und brachte ein alkoholfreies Getränk auf den Markt. Obwohl Al-Ahram den Markt fest im Griff hat, sagte Eweiss: „Was die Lizenzen anbelangt, sind wir eingeschränkter als in den 40ern und 50ern, als Alkohol Teil der Kultur war.”

Der konservative Wandel fand unter Präsident Anwar Sadat in den 1970ern statt und wurde deutlich, als 1973 ein Gesetz den Verkauf von Alkohol an Ägypter—eingeschlossen der zehn Prozent der Bevölkerung, die Christen sind—während des Ramadans und der islamischen Feiertage verbot.

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Drinkies, eine der wenigen Ketten in Ägypten. Foto von icare56 via Flickr.

Karim Abhar, der 26-jähriger muslimische Manager des Carlton Hotel, behauptet, das Gesetz habe keine religiöse Grundlage. „Christen sind Ägypter”, sage er, als er seine Zigarettenasche abklopfte. „Was für dich gilt, gilt auch für mich … wir wurden im gleichen Land mit den gleichen Traditionen geboren. Es ist das Gesetz und hat nichts mit Religion zu tun.”

Die christliche Minderheit verzichtet während des muslimischen Fastenmonats auf Essen und Trinken in der Öffentlichkeit, ohne dass ein Gesetz sie dazu motivieren müsste. Der Staat hielt es jedoch für notwendig, es im Gesetz zu verankern, dass Christen aus Respekt gegenüber Muslimen keinen Alkohol konsumieren dürfen. Von Ausländern, wie den tausenden Golftouristen, die das Land jedes Jahr besuchen, wird keine solche Sensibilität gegenüber der muslimischen Bevölkerung verlangt, auch wenn sie selbst Muslime sind.

Das heutige Ägypten befindet sich im ständigen Wandel und Wachstum, mit einem Auge auf die Vergangenheit und einem auf die Zukunft gerichtet. Die ägyptische Gesellschaft ist unglaublich vielfältig, was einen fruchtbaren Boden für Widersprüche bietet—sei es eine Tasse mit einem Schuss Whisky in einem Straßencafé, eine Lieferung frei Haus vom Spirituosengeschäft während des Ramadans, eine Frau mittleren Alters, die ihrer Familie verheimlicht, dass sie trinkt, muslimische Männer im traditionellen Gewand, die in einer verrauchten Bar Bier trinken oder eine Regierung, die Reformen einer boomenden Alkoholbranche hinauszögert, während sie die Steuern auf Alkohol verdoppelt.

Ein Bier in Ägypten ist immer noch eine geschätzte Ware. Es ist ein skandalöser Akt des Widerstands und eine eiskalte, angenehme Überraschung.