Es war ein gut geplanter Überfall: Am Abend des 11. Januar 2016 fielen über 200 rechte Hooligans und Neonazis in den Leipziger Stadtteil Connewitz ein. Zu diesem Zeitpunkt waren viele der linken Bewohner des Viertels gerade in der Innenstadt, um gegen einen Legida-Aufmarsch zu demonstrieren. Der rechte Mob zog mit Baseballschlägern, Äxten und Böllern bewaffnet durch das Viertel. Als die Polizei eintraf, hatten sie bereits 24 Kneipen und Geschäfte verwüstet.
Ihre Flucht hatten die Täter allerdings nicht ganz so gut geplant. In kürzester Zeit konnte die Polizei einen Großteil der Beteiligten festsetzen. Das Ergebnis: eine Liste von 215 Namen und Anschriften jener Personen, gegen die jetzt wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt wird.
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Diese Liste landete in verschiedenen Redaktionen. Der MDR, die Leipziger Internet-Zeitung und das Stadtmagazin Kreuzer identifizierten die Beteiligten schnell als ein Who-is-Who der gewaltbereiten Neonazi- und Hooligan-Szene aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Journalisten waren allerdings nicht die einzigen, die die Namensliste in die Hände bekamen: Im Dezember tauchten erstmals Plakate mit den Namen und Anschriften der mutmaßlichen Täter an Connewitzer Hauswänden auf. Die Polizei entfernte die Plakate innerhalb von Stunden.
Vor wenigen Tagen kam dann der richtig große Knall: Antifa-Aktivisten erstellten eine Webseite, auf der diesen Namen in mühevoller Kleinarbeit Fotos und Facebook-Profile zugeordnet waren. Das Ausmaß dieser Enthüllungen beschäftigt jetzt auch die Behörden. “Wir nehmen das sehr ernst”, bestätigte eine Sprecherin des Operativen Abwehrzentrums – eine Abteilung des sächsischen Staatsschutzes, die sich nur mit extremistischen Straftaten befasst — gegenüber VICE. Erstens müsse damit gerechnet werden, dass die so Exponierten nun gefährdet sind. Zweitens versuche man jetzt nachzuvollziehen, “wie diese Informationen abfließen konnten”. Und drittens würden die Erkenntnisse auf der Webseite nun ebenfalls in die Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Täter einfließen.
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Nachdem Zeitungen über die Veröffentlichung berichtet hatten, löschten viele der Angeprangerten ihre Facebook-Profile. Aber vorher war für kurze Zeit ein umfassender Einblick in ein Milieu möglich, zu dem man sonst kaum Zutritt bekommt. Viele der mutmaßlichen Täter hatten große Teile ihrer Profile öffentlich gelassen, sodass jeder nachvollziehen konnte, wen oder was sie gelikt und was sie gepostet hatten.
Wir haben diese Profile systematisch analysiert. Die Antifa-Aktivisten hatten schon Vorarbeit geleistet, indem sie zum Beispiel die politischen “Likes” – NPD, AfD, LEGIDA, Identitäre —, aber auch die für Fußballteams ausgewertet hatten.
Wir wollten weitergehen. Wir wollten ein Psychogramm des klassischen “Ofri” erstellen – des “ostdeutschen Fußballschlägers/rechtsextremen Intensivtäters”. Was machen diese Leute, wenn sie nicht gerade mit Baseballschlägern durch die Stadt ziehen? Was mögen sie? Wofür können sie sich begeistern? Was macht sie traurig?
Schritt für Schritt haben wir uns durch jedes einzelne Facebook-Profil gewühlt, das wir einsehen konnten. Dabei haben wir Likes und Posts in verschiedene Kategorien wie “Fußball”, “Motivations-Poster”, “Pin-ups” und “Neonazi-Kacke” eingeteilt.
Nach Abzug all jener Ofris, die kein Facebook-Profil hatten, deren Profile komplett abgeriegelt waren, oder die sie während unserer Recherche löschten, konnten wir am Ende 122 Profile auswerten. Trotzdem sind die folgenden Prozentwerte natürlich nur Richtwerte.
Dennoch: Wir haben diese Menschen sehr gut kennengelernt.
Ofris mögen Motivationsposter
Neben der hohen Dichte von ausrasierten Schädelseiten und Ohrtunneln fällt auf den Ofri-Seiten vor allem ein Detail immer wieder auf: Bilder mit Sprüchen drin. 23 Prozent aller Profile enthielten Likes zu Seiten, die solche Bilder verbreiten, aber die Dunkelziffer auf den Walls müsste viel höher liegen. Tatsächlich sieht die klassische Ofri-Wall so aus:
– ein Artikel über Flüchtlinge, die Smartphones verlangen, geteilt mit einem Kommentar à la “Ich glaub’s ja nicht… [drei wutschnaubende Emojis] … und unsere feinen VOLKSVERTRETER schieben denen natürlich alles in den A…!!”;
– ein Shoutout an die Freunde, wer am Freitag Bock und Zeit hat, sich mal “so richtig einen reinzulöten?!!?”
– ein Bild mit einem Spruch drin.
Die meisten dieser Sprüche sind markige Männersprüche wie “Der Tag an dem ich aufgebe ist der Tag an dem ich sterbe” [sic] oder “Dein Bruder hat nicht immer recht, aber er ist immer dein Bruder!”. Aber auch tiefere Gedanken sind beliebt. Auf dem Profil eines tätowierten Fußballfans, dem die Hooligan-Gruppe “Auswärts sind wir asozial” gefällt, findet man auch ein stimmungsvolles Bild von Herbstlaub, darauf in weißer Schrift: “Du kannst keinen Tag und keine Stunde kaufen, selbst der Augenblick ist unbezahlbar”. Kein Scheiß: Ein NPD-Funktionär mag die Seite “Süße Sprüche, die das Herz berühren”.
Wie das zusammenpasst? Nun, es gibt da eine ziemlich simple Erklärung: Wie eine kanadische Studie herausgefunden hat, besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Intelligenz eines Menschen und seiner Begeisterungsfähigkeit für pseudo-philosophische Sprüche. Oder, um es in Worten zu sagen, die auch diese Menschen verstehen: Wer gerne “inspirierende” Zitate auf Facebook postet, ist einfach ein bisschen dumm. Was dann wiederum ganz gut zum sonstigen Verhalten des Ofri passt.
Ofris sind zum großen Teil rechtsextrem
Tatsächlich tauchen in den 122 immer mal wieder junge Männer auf, die mehr oder weniger unpolitisch wirken und sich hauptsächlich für Kampfsport, Fußball oder Kampfsport beim Fußball interessieren.
Aber ganze 50 Prozent der Profile liken explizite Neonazi-Kacke. Als “Neonazi-Kacke” definiert haben wir dabei wirklich nur Sachen, die offen rechtsextrem sind – die NPD, die Neonazi-Partei “Der Dritte Weg”, Banner, auf denen “Nationaler Widerstand” oder “88” steht, oder die Band Landser (“Heil, Heil, Heil / Wir wollen euren Jesus nicht, das alte Judenschwein”). Ein Like bei einer popeligen rassistischen Bürgerinitiative, der AfD oder sogar bei LEGIDA reichte noch lange nicht aus – und trotzdem schafften es 50 Prozent in diese Kategorie.
Nach den Antifa-Recherchen waren viele dieser Männer auch an den Anti-Flüchtlings-Ausschreitungen in Heidenau und Freital beteiligt. Damit scheint klar, dass es sich bei dieser Truppe nicht einfach nur um außer Kontrolle geratene Fußballfans, sondern um gewaltbereite, größtenteils rechtsextreme Rassisten handelt.
Ofris haben nicht sehr viele Freunde
Insgesamt konnte wir nur bei 55 Profilen die Freundeszahl herauslesen, deshalb sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem auffällig: Der Durchschnitt lag bei 397 und damit weit unter dem weltweiten Durchschnitt von 649 für junge Erwachsene. Das könnte damit zusammenhängen, dass viele der Ofris aus eher ländlichen Gegenden Ostdeutschlands kommen. Das wäre wohl die wohlwollendste Begründung.
Ofris lieben Kampfsport
60 Prozent dieser jungen Männer – haben wir schon erwähnt, dass das alles Männer sind? – geben an, Kampfsport zu mögen. Und zwar zum absoluten Großteil Mixed Martial Arts, und da gefällt über 50 Prozent der Jungs das Profil des Leipziger Freefighters Benjamin Brinsa.
Brinsa, der eine Vergangenheit als rechtsextremer Hooligan hat, ist Trainer beim Leipziger “Imperium Fight Team”. Den Organisatoren wird schon lange vorgeworfen, Verbindungen zum rechtsextremen Milieu zu unterhalten. Dafür spricht, dass sich unter den mutmaßlichen Angreifern von Connewitz laut MDR auch drei Mitglieder des Teams befinden. Brinsa selbst wurde vor Kurzem erst zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er zusammen mit bekannten Rechtsextremen versucht hatte, einen Lokaljournalisten per Online-Steckbrief als Kinderschänder zu verleumden.
Ofris sind verletzlich
Es ist Zeit, über eines der verwirrendsten Ergebnisse dieser Recherche zu sprechen: Ofris haben ein weiches Herz, sie fühlen sich oft missverstanden und sie sind schnell gekränkt.
Und nein, das ist kein Ärzte-Song, das ist unsere Beobachtung: Auf sehr vielen Ofri-Profilen wimmelt es nur so vor eigenartigen, paranoid-aggressiven Spruchbildern. Ihr wisst schon: “Es fällt mir schwer zu vertrauen. Weil es anderen so leicht fällt zu lügen.” Oder: “Die Menschen werden von außen immer schöner, aber von innen immer hässlicher.”
Das Verrückte ist: Je härter der Kerl zu sein scheint, desto mehr von diesen Sprüchen scheint er zu mögen. Da gibt es den knallharten Turbo-Neonazi, der Fotos von sich mit Seitenscheitel und Hitlerbärtchen macht, aber auch Dutzende Seiten mit Namen wie “Dir tut es leid? Schön, mir tut es weh” oder “Warum ich kalt bin? Vl. habe ich einfach nur Angst davor verletzt zu werden” [sic].
Warum können sich ausgerechnet gewaltbereite Rechtsradikale mit solchen Sprüchen identifizieren? Eine Erklärung: Menschen, die diese Art Sprüche teilen, geben gerne anderen die Schuld an ihren Problemen. Wer sich permanent von Lügnern, Betrügern und falschen Freunden ausgenutzt fühlt, muss keine Verantwortung dafür übernehmen, dass im eigenen Leben nicht alles so klappt, wie er sich das vorgestellt hat. Es könnte gut sein, dass der Ofri sich diffus als Opfer sieht – und deshalb umso härter zuschlägt, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt.
Ofris leben für Fußball
Keine große Überraschung, schließlich ging die Polizei schon vorher von einer Tat aus dem Hooligan-Milieu aus. Aber trotzdem: 75 Prozent dieser Männer liken irgendwas, das mit Fußball zu tun hat, meistens im Zusammenhang mit Lok Leipzig, Dynamo Dresden oder eben Hooligan-Seiten. Interessanterweise gibt es niemanden, der einen Fußballverein, aber keine Hooligan-Seite mag — aber mehr als einen, der zwar alle möglichen Hooligan-Seiten toll findet, sich aber zu keinem einzigen Fußballverein bekennt.
Ofris sind horny
Gut die Hälfte aller Profile hat Seiten abonniert, die regelmäßig Bilder von heißen Frauen posten (meistens als “Fitness-Models” getarnt). Eben das klassische Billig-Kalender-Pinup-Girl, nur in digital. (Nebenbei: Es gibt nicht genügend Angaben über die Berufe dieser Männer, um allgemeingültige Aussagen zu treffen. Aber bei den paar Dutzend, deren Berufe bekannt sind, handelt es sich – bis auf einen einzigen Arzt – ausnahmslos um Handwerker oder Sicherheitsmänner.) Interessant: 63 Prozent der Männer, die angegeben haben, eine Freundin zu haben, mögen trotzdem solche Seiten.
Immerhin: Auch auf diesem Gebiet sind die Männer patriotisch. Sehr vielen gefallen Seiten, die “Echte Schönheiten aus dem Osten/Sachsen/dem Erzgebirge” heißen – und die auch halten, was sie versprechen. Außerdem bemerkenswert: Sophia Thomalla ist in dieser Gruppe überdurchschnittlich beliebt.
Ofris lieben derben Humor
Spätestens jetzt ist uns klar: Wer sich mit Ofris beschäftigt, muss Widersprüche aushalten. Zum Beispiel, dass dieselben Typen, die sich eben noch verletzlich und gefühlvoll gezeigt haben, auch mindestens zehn Seiten mit Titeln wie “Nur wer bläst wird auch geleckt”, “Anlauf, kein Gleitgel!” oder einfach “Männerhumor” liken. 52 Prozent aller Profile haben diese Seiten abonniert. Derselbe Typ, der die Seite “Ich bin eifersüchtig auf die, die dich jeden Tag sehen können” abonniert hat, folgt auch “Bitch, deine Pussy wurde öfter besucht als Google”. Keine Frage: Ofris haben ein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen.
Ofris hören Rock, gerne Rechtsrock
Wie zu erwarten ist Rock mit 40 Prozent die beliebteste Musik-Kategorie. Wobei sich ein nicht unerheblicher Teil der Mustergruppe dabei zu Neonazi-Bands wie Landser oder der Lunikoff-Verschwörung bekannte. Auf dem zweiten Platz folgt Rap mit 22 Prozent, dann EDM mit 20 Prozent.
Nur 16 Prozent der Probanden hatten Schlagersänger unter ihren Likes. Von denen waren aber immerhin mehrere Mitglieder einer Gruppe namens “Helene Fischer Hooligans“, in der hauptsächlich Helene-Bilder gepostet und Andrea-Berg-Fans bedroht werden.
Andere Interessen
Dinge, die wir nicht statistisch erfasst haben, die aber immer wieder auf Ofri-Seiten auftauchen: Alkohol, Kampfhunde, ihre Kinder, Biker-News, Wut auf “Kinderschänder”, Ballerspiele und trashige Horrorfilme der Sorte Saw.
Fazit
Was haben wir über das Milieu gelernt? Vor allem, dass es den Erwartungen entspricht. Abgesehen von dem rechten Zeug interessieren sie sich hauptsächlich für Tattoos, Fußball, Schlägereien, scharfe Frauen und blöde Witze (meistens auf Kosten von Frauen). Außerdem, da hatten die Ärzte schon vor 24 Jahren Recht: Sie wollen geliebt werden.
Die meisten dieser Männer wirken, als hätte sich ihre Vorstellung von Männlichkeit nicht mehr entwickelt, seit sie 15 waren. Hart sein, loyal sein, sich von niemandem etwa bieten lassen – das sind die Werte, über die sie sich selbst definieren. Am wohlsten fühlen sie sich in einer Gruppe, entweder als Fußballfans, Brinsa-Fans oder als Hooligan-Mob. Kein Wunder, dass es nicht besonders schwer ist, solche Menschen zu Gewalttaten wie die in Connewitz zu überreden.