5 Dinge, die ich an der Schweizer Linken hasse

Mit einer einfachen Google-Suche findet man raus, dass ich Mitglied in einer Partei bin. Auf der ersten Seite der Google-Ergebnisse findet man auch raus, dass ich 2011 als SP-Kandidat für den Nationalrat kandidiert habe.

Heute komme ich dieser Parteimitgliedschaft aktiv kaum mehr nach. Meistens erhalte ich zwei Mahnungen, bevor ich den Jahresbeitrag zahle und den zahle ich auch nicht aus Glauben an die Weltrevolution (Mangelnder Glaube an das revolutionäre Moment ist übrigens die einzige Möglichkeit, um die Trotzkisten in jedem Uni-Seminar zu beruhigen.) oder die 35-Stunden-Woche (Haha! Wunschtraum.), sondern da ich ein Bruchstück eines Bruchstücks von Idealismus in mir trage. (Und weil ich Folkmusik mag. Billy Bragg, Dick Gaughan und Mercedes Sosa sind meine Ideologen.)

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Journalisten haben Probleme mit parteipolitischer Bindung. Auf Twitter haben sie meine SP-Vergangenheit diskutiert, bevor ich selbst einen Twitter-Account hatte. Etwa hier:

Aaron Agnolazza arbeitet für die Basler Zeitung und war damals gleichzeitig SVP-Einwohnerrat in Riehen.

2015 ist Wahljahr. Und natürlich werde ich wählen. Und wahrscheinlich eine Partei, die irgendeine Relevanz hat, denn Dadaismus muss auch Grenzen haben. (Sorry, Freistaat Unteres Kleinbasel!) Bevor ich das tue und brav den Politjournalisten raushängen lasse, um jedem irrelevanten Selbstinszenierer nachzuhöseln, möchte ich hier aber mal auflisten, was mich an der parlamentarischen Linken in der Schweiz nervt.

1. „Die SVP ist schuld.”

Foto von FlohEisenstein; Wikimedia Commons; CC BY-SA 3.0

2003 hat mein Mami geweint, als Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt wurde. Mein Mami ist nicht in einer Partei oder besonders politisch. Mein Mami ist kein Blocher-Fan. So wie meiner Mutter geht es wohl 75% der Menschen in der Schweiz. Da das bei 75% der Menschen in der Schweiz so ist, muss man nicht dauernd sagen, dass die SVP schuld ist. Man kann das sagen, wenn man was neues zu sagen hat.

2. „Wir sind die Guten.”
Nein. Siehe Punkt 3.

3. Gesetze statt Selbstreflexion
Vor ein paar Wochen war ich am 80-jährigen Jubiläum der JUSO Aargau. Es gab Essen und es war schön. Da aber kein Abend ohne Traktandenliste sein darf, mussten wir uns eine Rede des Präsidenten mit den üblichen Politsprech-Versatzstücken (Im Stil: Noch nie waren wir so viele/so erfolgreich/so engagiert und morgen wird alles besser.) anhören.

Das war immer noch schön, sogar nostalgisch. Der Abend wurde allerdings ziemlich scheisse, als ein schmalschultriger Bub (der sich laut eigener Aussage auch in der Partei der Arbeit sähe) im schwarzen Hemd mit einem rotem Stern-Pin am Revers seine Verklemmtheit auslebte.

Meine Kollegin fragte ihn, ob er den Weg zum Klo wisse. Der Bub antwortete: „Do obe, aber mues sälber grad go pisse. Chasch mer de bim Hebe helfe.” Und als dann eine ganze Gruppe wartete, als der Bub wieder aus dem Klo kam, sagte er Dinge wie: „Ich säg das au oft zu Kollege.” Der Bub ist ein armer Bub, der sich wenig Gedanken über sich selbst macht, aber oft „Kapitalismusüberwindung” sagt, während er für Jungparteiämtli kandidiert.


Foto von JUSO Schweiz; Flickr; CC BY 2.0

Und der arme Bub ist vielleicht für Frauenquoten und Geschlechtergerechtigkeit, aber verhält sich Frauen gegenüber beschissener als jeder Langstrassen-Dealer auf Steroiden. Und er sieht sich nicht unbedingt selbstkritischer als jeder Langstrassen-Dealer auf Steroiden. Er glaubt, dass Gesetze mieses Verhalten kompensieren. Das ist dumm. Und führt wieder zu Punkt 2.

4. Alles ist politisch.
Wenn ich mit Leuten was trinken gehe, besprechen wir manchmal auch gemeinsame Projekte. Und diese Projekte sind irgendwie politisch oder nicht-politisch (und genau deshalb politisch). Schon klar. Aber früher hatte ich viermal pro Woche Sitzung, entweder in der Orts-, der Bezirks-, der Kantonalsektion oder der nationalen Jungpartei, der kantonalen Jungpartei oder der Regionalgruppe der Jungpartei.

Und falls mir das nicht reichte, konnte ich wählen zwischen Bildungsanlässen dieser Aktionsgruppe und Brainstorming-Sitzungen für jene Protestaktion. (Sorry, Kinder, am Ende hatten wir trotzdem meistens einfach ein Transpi gemalt.)

Foto von JUSO Schweiz; Flickr; CC BY 2.0

Und nach den Sitzungen trinkt man was und redet—je nachdem wie nerdig die Genossen grad sind—entweder über die historische Arbeiterbewegung oder über Persönliches. Und wenn man abends im Bett liegt, hat man ein schlechtes Gewissen, da man statt ins Sommerlager zu gehen und die Workshops „Warum sind wir SozialistInnen (I-IV)” zu durchlaufen, Interrail-Ferien macht.

Es ist aber nicht besser über Persönliches zu reden, denn so findet man raus, ob man sich mag. So verbinden sich Hirn, Herz und Libido so lange mit politischen Zielen bis sie ein einziger Brei sind. Und natürlich ist Networking auch in anderen Situationen wichtig, aber da es am Ende immer um irgendeine (inner-)parteiliche Wahl geht, hat Networking in dieser Subkultur keinen anderen Zweck als Networking.

Im März 2011, an der letzten Jahresversammlung der JUSO Schweiz, die ich besucht habe, hat der Exfreund einer Kandidatin für einen Parteiposten das Mikrofon genutzt, um ihre Kompetenzen kleinzureden. Ganz okay, wenn er das nötig hat, aber natürlich sagte er nicht „Sie ist meine Ex und darum mag ich sie nicht.”, sondern jaulte einen pseudo-sachlichen Mix aus Technokratie und Sozialromantik ins Mikrofon. Womit wir bei Punkt 5 angekommen sind.

5. Der Bürokratie-Fetisch
Mit 17 bin ich in die „Koordinationsgruppe” der JUSO Aargau gewählt worden. Wir nannten das Ding „Koordinationsgruppe”, da uns „Vorstand” zu autoritär klang. Irgendwann haben wir eine Stunde darüber diskutiert und uns dann doch in „Vorstand” umbenannt. Und genau so gründeten wir dauernd Aktions- und Ortsgruppen, die für jedes Stammtisch-Treffen Traktandenlisten brauchten, an die dann doch nur zwei, drei Leute kamen.


Foto von JUSO Schweiz; Flickr; CC BY 2.0

Nach zwei, drei Sitzungen hatte ich verstanden, was „Resolutionen” und was „Interpellationen” sind. Als ich mich wohl genug fühlte, nuschelte ich mich in Wasserfall-Sätzen durch endlose Diskussionen. Ich wollte alles im Grundsatz diskutieren, umstellen. Was man mit 17 halt so will.

Aber nach etwa einem Jahr sind Grundsatzdiskussionen zu Feinden geworden, Samstage zerbröselten in Abstimmungen über Änderungsanträge zu Resolutionen, die am Ende dann doch abgelehnt wurden. Und auch bei der Ablehnung gibt es Unterschiede zwischen „nicht eintreten” und „rückweisen”, yeah. Ganz am Schluss kamen dann noch die Trotzkisten von „ Der Funke” (einer Gruppierung innerhalb der JUSO) mit dem Antrag „Verstaatlichung sämtlicher Banken”. Hallelujah, das waren erfüllte Wochenenden.


Foto von Juso Schweiz; Flickr; CC BY 2.0

Ich habe auch heute noch gute (sehr, sehr gute) Freunde, die ihre Wochenenden, ihre Facebook-Selbstinszenierung und ihre Energie in diese Polit-Subkultur stecken. Dafür bewundere ich sie, aber mir ist es zu blöd. Und das hat noch nicht mal etwas mit meiner Meinung und meinem Standpunkt zu tun.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Titelbild von Juso Schweiz; Flickr; CC BY 2.0