Wenn man mal darüber nachdenkt ist es eigentlich ziemlich auffällig, dass in nahezu allen Sprachen, mit denen man in Berührung kommt, die stärksten Beleidigungen Bezug auf Mütter nehmen. Das ist allerdings nicht erst seit dem großen Deutschrapboom mit Farid Bang und Co. so, sondern laut aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen seit rund 3.500 Jahren ein gesellschaftlicher Trend. Eine kulturübergreifende Studie hat Beleidigungen in 103 Sprachen untersucht und festgestellt, dass in 66 Sprachen, die beleidigendsten Sprüche Mütter beinhalteten (wohingegen es nur in 20 Sprachen Beleidigungen gegen Väter gab). Laut RoutledgeFalmer Reader in Gender & Education „werden Mütter als Beleidigungselement genutzt, um herauszufinden, welche assoziative Verbindung junge Männer mit der Weiblichkeit haben und um ihre Verletzlichkeit offenzulegen.” Ob man damit nun eine Schlägerei provozieren oder einfach nur für ein paar Lacher sorgen möchte—die Geschichte von „Deine Mudda”-Sprüchen zeigt, dass der schnellste Weg in das Herz eines Mannes über die Beleidigung seiner Mutter führt.
Vom alten Babylon in moderne Umkleideräume
Die älteste bekannte Beleidigung einer Mutter wurde 1976 bei einer Ausgrabung im heutigen Irak gefunden. Der Archäologe J.J van Dijk entdeckte den Deine-Mutter-Spruch auf einer alten babylonischen Tafel aus dem Jahr 1500 vor Christus. Die original Tafel ist zwar bis heute verschollen, aber die Forscher M.P. Streck und N. Wassermann haben die Tafel studiert und herausgefunden, dass einer der sechs Flüche, die auf der Tafel eingemeißelt waren, eine witzige Bemerkung über die Mutter von jemanden enthielt:
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„…deine Mutter ist bei dem, der mit ihr Geschlechtsverkehr hat. Was/wer ist es?”
Die Punchline ist zugegebenermaßen durch die Übersetzung verloren gegangen, dennoch sind darin immer noch alle grundsätzlichen Merkmale eines Witzes enthalten, wie man sie auch bei einem Deine-Mutter-Spruch in einer Umkleidekabine des 21. Jahrhunderts zu hören bekommt.
Biblischer Trash-Talk
Das Buch, das geholfen hat, das Patriarchat zu errichten und uns Sätze geschenkt hat wie „du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Wille soll deinem Mann unterworfen sein, und er soll dein HERR sein.”, macht wenig überraschend auch vor Mütterbeleidigungen nicht Halt.
Im Vers 2 Könige 9:22 als Joram, der König der Israeliten, seinen Feldherren Jehu trifft und fragt „Jehu, ist’s Friede?”, antwortete Jehu: „Was Friede? Deiner Mutter Isebel Abgötterei und Zauberei wird immer größer.”
Jehus schnelle Reaktion war mehr als nur eine naherliegende Spitze, um Joram auf die Palme zu bringen. Jehu hat Jorams Mutter für ihre angebliche Hexerei und Hurerei so gehasst, dass er ihn aus diesem Grund umgebracht hat.
Shakespeares Hurensohn
Ethymologen streiten sich über die genaue Herkunft dieses Ausdrucks, aber eine längere und wohl poetischere Version des abwertend verwendeten Ausdrucks „Hurensohn” kann Shakespeare zugeschrieben werden. In Szene 2 Akt 2 des Stücks König Lear, das zum ersten Mal 1606 aufgeführt wurde, nennt Lears Berater Kent den Diener Oswald „hasenfüßig” und „den Sohn und den Erben einer Mischlingshure”.
Der rechtliche Präzedenzfall von Motherfuckern
Das älteste Zitat des Adjektivs „motherfucking” findet man in einem Bericht des Prozesses Levy gegen den Staat, einer Verhandlung vor einem texanischen Berufungsgericht aus dem Jahr 1889. Dabei wurde der Beschuldigte angezeigt, weil er sein mutmaßliches Opfer einen „gottverdammten mutterfickenden Bastard-Hurensohn” genannt hat. Der englische Sprachhistoriker Geoffrey Hughes sagt, die Wirkung des Begriff sei unübertroffen, da er dem Freud’schen Ödipuskomplex unterliegt, der besagt, dass jedes Kind unterbewusst den Wunsch hat mit seiner Mutter zu schlafen.
Nach der Meinung von Soziolinguisten sind Kraftausdrücke eine Manifestation von Machoverhalten in einem ausschließlich männlichen Umfeld, beispielsweise bei Streitkräften. Die Verbreitung des Wortes „Motherfucker” seit den 50er-Jahren verdanken wir den ehemaligen Soldaten, die die Schimpfwörter wieder mit zurück in die Gesellschaft gebracht haben. In der Jazz Community dagegen wurde „Motherfucker” als Kosewort verwendet. Miles Davis ist regelrecht berühmt dafür. Bevor er den Schlagzeuger Cinelu zum ersten Mal traf, nannte er ihn einen „Motherfucker” und Cinelu bedankte sich bei Miles für das Kompliment.
Von der Harlem-Renaissance bis MTV
The Dozens ist ein Spiel, das vor allem in afroamerikanischen Kommunen beliebt ist. Dabei liefern sich zwei Teilnehmer vor Publikum einen verbalen Schlagabtausch. Obwohl auch die Intelligenz, der finanzielle Status oder das Aussehen des Gegenübers immer beliebte Themen sind, bleibt die fette und hässliche Mutter des Gegners doch meist die Kerndisziplin des Spiels. Es gibt die Theorie, dass die Abwesenheit einer Vaterfigur für einen afroamerikanischen Mann bedeutet, dass er „permanent den Problemen und der Aufopferung seiner Mutter, die versucht, die Familie ohne Unterstützung eines Partners zu versorgen, ausgesetzt ist” und sich deshalb „außergewöhnlich sensibel, schützend und empathisch gegenüber seiner Mutter” verhält.
The Dozens hat die Arbeit von Schriftstellern der Harlem-Renaissance wie Langston Hughes beeinflusst, der schrieb: „Sie haben an meiner Tür geklingelt, um zu fragen, ob ich ihnen ein Dienstmädchen empfehlen kann und ich sagte: ‚Ja, deine Mutter’”. Elijah Wald, Autor von The Dozens: A History of Rap’s Mama sagt in einem Interview mit dem Bosten Globe: „Ich habe angefangen, mir die Texte der Harlem-Renaissance anzusehen und es gibt in wirklich jedem Buch eine Dozens-Szene.” Einige Jahrzehnte später brachte MTV eine Show raus, die Yo Momma hieß und von 2006 bis 2007 lief. Das Konzept: berühmte Rapper, begabte Trash-Talker und jede Menge Deine-Mutter-Witze.
Deine-Mutter-Sprüche im Knast
„WICKEDSKENGMAN Part 4″ von Grime-MC Stormzy ging 2015 mit über vier Millionen YouTube-Klicks und Sprüchen wie „Geh und fick deine Mutter, na los” viral. Dieser Satz—der oft als Katalysator für Konfrontationen dient—wird für gewöhnlich im Grime benutzt. Wie viele Slang-Komponente liegen auch hier die Wurzeln im Gefängnis. In der 2001 ausgestrahlten Episode Boys Behind Bars von BBC Panorama erklärt ein Insasse: „Kämpfe im Gefängnis fangen immer mit ‚Fick deine Mutter’ an. Wenn jemand zu dir sagt ‚Fick deine Mutter’, dann sagt er dir im Grunde, dass er gegen dich kämpfen will.”
Man merkt schnell, das viele der Deine-Mutter-Beleidigungen sexuell herabwürdigend sind. Sie werden vom Empfänger oft als aggressiv wahrgenommen, weil sie erfolgreich die als sündenfrei und unschuldig wahrgenommene Mutter beschimpfen. Die Basis von all dem ist unsere lang gehegte Glorifizierung von Müttern als—wie es der Anthropologe David D. Gilmore beschreibt— „rein und geschlechtlos”. Das bedeutet wiederum, dass „alle Frauen in heiratsfähigem Alter, mit denen man in keinem Verwandtschaftsverhältnis steht, als ‚wertlos’ und ‚schmutzig’ degeneriert werden müssen”. Egal ob alter babylonischer Humor oder moderner Trashtalk—die Geschichte zeigt uns: Solange sich Männer darauf feiern, sich gegenseitig möglichst platte Beleidigungen um die Ohren zu hauen, wird deine Mutter immer so hässlich sein, dass sich Bilder von ihr selbst aufhängen.