Sie waren tanzen, dann haben sie geduscht. Doch dabei sind mehrere Besucherinnen des Fusion Festivals von den Schultern abwärts gefilmt worden und auf der Pornoseite xHamster gelandet. Heimlich aufgenommen von einer versteckten Kamera. Eines der Videos hatte den Fusion-Veranstaltenden zufolge 37.000 Aufrufe. Tausende Menschen haben also ihre Genitalien im Internet gesehen. Am 3. Februar schrieben die Veranstaltenden der Fusion in einem Blogpost, dass sie deswegen Strafanzeige gestellt hätten.
Die Aufnahmen der Fusion sind eigentlich nur ein Beispiel für zahlreiche ähnliche Fälle von nicht einvernehmlichen Videos auf Pornoseiten. Der Unterschied: Dieses Mal haben Dutzende Nachrichtenmedien berichtet: Spiegel, taz, Bild, rbb, Lokalzeitungen.
Videos by VICE
Der Fall zeigt, wie nachlässig xHamster, Deutschlands meistbesuchte Pornoseite, mit dieser Art von digitaler Gewalt umgeht. Und das Problem ist riesig: Wenige Wochen zuvor berichtet der YouTube-Kanal “Strg_F” von ähnlichen Spannervideos, aufgenommen in den Dixi-Toiletten beim Festival Monis Rache.
Immerhin: xHamster hat die Videos der duschenden Fusion-Besucherinnen inzwischen gelöscht. Ein xHamster-Sprecher schreibt auf Anfrage von VICE, man habe erst durch die Presseberichte von dem Fall erfahren, dank eines Google Alerts. Die Veranstaltenden der Fusion stellen das in ihrem Blogbeitrag anders dar. Demnach habe eine Anwaltskanzlei xHamster informiert. Schließlich ist es verboten, nackte Menschen ohne ihr Einverständnis zu filmen und das zu veröffentlichen.
Offiziell geht xHamster streng gegen die Uploader solcher Videos vor. In den englischsprachigen Richtlinien von xHamster heißt es, frei übersetzt: “Der Account eines jeden Nutzers, der unsere Seite für illegale Zwecke nutzt oder diese ermöglicht, wird sofort gesperrt”. Ob diese Regel aber auch so streng durchgesetzt wird, ist fraglich. Dabei haben Accounts für intensive xHamster-Nutzer eine Bedeutung: Sie können damit Abonnenten und Freunde sammeln und Kontakte zum Austausch privater Videos knüpfen. Das Alter eines Accounts, gemessen in Tagen, prangt wie eine Trophäe auf der Profilseite.
“Leider wurden alle meine Festival-Voyeur-Videos gelöscht :(((“
Der xHamster-Account, auf dem die offenbar illegalen Fusion-Videos erschienen sind, war mindestens neun Tage nach der Löschung der Videos immer noch online. Offenkundig wurde der Account also nicht “sofort” entfernt, wie es in den Regeln von xHamster steht. Als wir den Account am 6. Februar aufrufen, ist zu sehen, wie der Nutzer namens “Hannes” die aktuellen Ereignisse kommentiert. “Leider wurden alle meine Festival-Voyeur-Videos von xHamster gelöscht :(((“, steht in der Profilbeschreibung.
Hannes’ Zuschauer kritisieren öffentlich, dass die Videos weg sind. “Sauerei”, kommentiert ein Nutzer auf Hannes’ Profilseite. Dem Zeitstempel zufolge ist der Kommentar zu diesem Zeitpunkt bereits neun Tage alt. Aber Hannes solle sich nicht entmutigen lassen, schreibt der Nutzer weiter. Gleichartige Videos würden auf xHamster ja auch nicht gelöscht. Hannes’ Antwort: “Das kann ich auch nicht verstehen. Ich werde die Tage nochmal was versuchen”.
Hast du mal bei Pornhub, xHamster oder einer anderen großen Pornoplattform gearbeitet – oder arbeitest dort noch immer? Wir würden uns freuen von dir zu hören. Du erreichst Sebastian per E-Mail oder verschlüsselt via Signal (+49 152 1012 4551) – am besten mit einem Gerät, das nicht deinem Arbeitgeber gehört.
Hat Hannes damit angekündigt, erneut illegale Videos hochladen zu wollen? Gelungen ist ihm das wohl nicht: Im Lauf des 6. Februars ist sein Account plötzlich nicht mehr abrufbar. Warum hat xHamster so spät reagiert? Auf Anfrage von VICE hat die Plattform eine Erklärung dafür. Demnach brauche die interne “Compliance”-Abteilung länger, etwa um Daten für juristische Zwecke zu sichern oder um verknüpfte Profile zu untersuchen, erklärt ein Sprecher per E-Mail.
Unklar ist, warum xHamster all das nicht in Ruhe macht, nachdem der Account gesperrt wurde. Das sollte technisch kein Problem sein. Einen Account zu sperren, bedeutet nicht, die Inhalte von den eigenen Servern zu löschen.
“Es ist oft Prahlerei, die keinen Bezug zur Realität hat”, schreibt xHamster
Es gibt wohl zwei weitere Fälle, in denen xHamster anscheinend ein Auge zugedrückt hat, nachdem Accounts nicht-einvernehmliche Videos gepostet hatten. Im Oktober 2019 haben wir 20 xHamster-Videos gemeldet, die den Eindruck erwecken, ohne Einverständnis der gezeigten Personen entstanden zu sein. Bei mindestens zwei dieser Videos lagen wir offenbar richtig, denn xHamster hat sie nach unserer Beschwerde zügig entfernt.
Doch die zwei Accounts, auf denen die gelöschten Videos zu sehen waren, sind bis heute online – obwohl xHamsters Regeln eindeutig dagegen sprechen. Warum? “Eine komplett sofortige Löschung unternehmen wir in Situationen, in denen wir den Grund des Verstoßes klar erkennen können”, erklärt ein Pressesprecher. Im Fall der von uns gemeldeten Videos hätten sich nicht die Betroffenen selbst gemeldet; es bestehe demnach immer noch die Möglichkeit, dass der Inhalt fiktional sei. “Wir tendieren allgemein zu Behutsamkeit, wenn es um Löschung geht.”
Wie sicher sich Voyeure auf der Plattform fühlen, zeigen die Inhalte auf dem öffentlichen Account des Fusion-Spanners. Dort beschreibt “Hannes” unverblümt, dass er nackte Menschen gerne ohne ihr Wissen filme. Zuerst habe er sich mit seiner Frau beim Sex mit einer Mini-Kamera gefilmt, heißt es in der “Über mich”-Sektion. Dann habe er die Kamera auf der Toilette und in der Dusche versteckt, um auch seine Freunde und die Familie seiner Frau zu filmen. “Danach habe ich die Kamera an öffentliche Orte mitgenommen und fremde Leute gefilmt. Ich liebe es und wollte das mit euch teilen”, schreibt Hannes.
Dabei kann es eine Straftat sein, Leute ohne ihr Einverständnis nackt zu filmen. Nach Paragraf 201a des Strafgesetzbuchs drohen für die “Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen” eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Wie reagiert xHamster, wenn Nutzer auf ihrem Profil behaupten, solche Dinge zu tun?
“Wir wissen, dass die Dinge, die Leute in ihre Profile schreiben, häufig der Fantasie entspringen”, schreibt ein xHamster-Sprecher auf Anfrage. “Es ist oft Prahlerei, die keinen Bezug zur Realität hat”.
VICE berichtet regelmäßig über digitale Gewalt. Hier findest du alle unsere Texte zu dem Thema.
Mehr blindes Vertrauen könnte man seinen Nutzern kaum entgegenbringen. Offenbar findet es xHamster selbst dann nicht verdächtig, wenn Nutzer offensiv über ihre mutmaßlichen Straftaten berichten und sie auch noch mit Videos dokumentieren. Wie deutlich könnte ein mutmaßlicher Straftäter noch werden?
Zumindest im Fusion-Fall ist klar, dass es sich nicht um bloße “Fantasien” handelt. Die Veranstaltenden haben die Duschen in den Aufnahmen offenbar wiedererkannt, die Opfer sind also real. Real sind auch die gefilmten Frauen vom Festival Monis Rache, und die Frauen, die in einer Göttinger Sauna heimlich gefilmt und auf xHamster bloßgestellt wurden, wie wir im November berichtet haben. Solche Grenzverletzungen sind keine Einzelfälle.
Auch auf VICE: Der qualvolle Kampf gegen Rachepornos
Die Einstellung von xHamster passt zu unseren vergangenen Recherchen. Demnach lässt xHamster Videos, die anscheinend sexualisierte Gewalt zeigen, erst einmal online – solange sich die Personen in dem Video nicht persönlich beschweren.
xHamster nannte das im Gespräch mit VICE sexuelle Redefreiheit, “freedom of sexual speech”. Schließlich könnten die Szenen ja bloß nachgestellt sein. Uploader müssen dafür aber keine Beweise liefern. xHamster überlässt die alleinige Verantwortung damit denen, die eigentlich besonders geschützt werden müssen: den Opfern sexualisierter und digitaler Gewalt.
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