Popkultur

Marvels 'WandaVision': Wenn Superhelden Spießer werden

So sieht es aus, wenn eine Hexe und eine Maschine ein normales Leben in Suburbia führen wollen.
Die Superhelden Scarlet Witch und Vision als 50er-Jahre Charaktere in schwarz-weiß
Bild: Marvel Studios 2020

Ein Mann und eine Frau, die sehr viel schöner ist als dieser Mann, ziehen in eine hübsche Vorstadt, um ihr gemeinsames Leben zu beginnen. Die Prämisse ist nicht neu. Was neu ist, ist wie die Serienmacher sie erzählen. Und was sie dabei nicht erzählen. 

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Die erste Frage stellt sich der versierte Marvel-Connaisseur, noch bevor er überhaupt seinen Disney+-Account geöffnet hat. Ist Vision nicht SPOILER!!! tot? Am Ende von Avengers: Endgame, da ist er doch SPOILER!!! gestorben, SPOILER!!! genauso wie am Ende von Avengers: Infinity War. Die Antwort liefern die ersten beiden Folgen der Serie WandaVision, die Disney heute veröffentlicht hat, nicht. 

Die Serie macht verdammt Spaß. Sie ist kurzweilig, vielschichtig, schlau und gesellschaftlich relevant. Zumindest relevant genug, um sich vom restlichen Superhelden-Kram abzuheben. Denn ein Konflikt, der immer wieder auftaucht, sind die Rollenbilder, in denen sich die übernatürlichen Wesen arrangieren müssen, den Moralvorstellungen und Geschlechterstereotype der 50er, die in der Serie gar nicht so überkommen wirken.


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Das Disney-Marvel-Unterhaltungsimperium wirft uns zu Beginn direkt in ein absurdes Szenario, das angesiedelt ist zwischen “Sabrina: Total verhext”, "Pleasantville" und "Get Out". Die beiden Superhelden Scarlet Witch, beziehungsweise Wanda Maximoff, gespielt von Elizabeth Olson, und Vision, gespielt von Paul Bettany, stellen eine glückliche US-Kernfamilie in den 50ern dar, die in eine neue Nachbarschaft ziehen und sich mit den anderen illustren Charakteren arrangieren müssen, während sie ihre Superhelden-Identität zu schützen versuchen. 

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Hier wird eine Meta-Ebene über die nächste gelegt. Die Story, die wir zuerst sehen, ist die einer Sitcom. Inklusive Intro-Song, Gelächter eines unsichtbaren Publikums, das im Studio die Filmaufnahmen beobachtet und einer Aneinanderreihung witziger und halbwitziger Szenen mit pointierter Auflösung. 

Die erste Brechung kommt aber schon bald. Während die Sitcom in schwarz-weiß gezeigt wird, leuchtet in einer Szene plötzlich ein Lämpchen rot. Eine erste Andeutung, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann - schon weil wir nicht erst seit Kubricks 2001: A Space Odyssey darauf konditioniert sind, rot leuchtende Lämpchen als Gefahr zu deuten. 

Die nächste Brechung kommt am Ende der ersten Folge, in dem wir, nun in dunklen, bläulichen Farben, einen Ort sehen, der wie ein Schneideraum wirkt, und in dem auf einem Bildschirm der Abspann der Sitcom läuft. Die Idylle muss also Fake sein, wie damals in der Truman Show, die ja am Ende auch die veraltete Idee einer 50er-Jahre-Familienidylle zeigte. Sind die beiden auch nur eingesperrt in ihrer heilen Welt? Ist die Welt vielleicht auch ein Mittel Wandas, um mit dem SPOILER!!! Tod Visions umzugehen?

Die dritte Brechung findet auf Story-Ebene der Sitcom statt. Am Ende der zweiten Folge, SPOILER!!! klettert ein Imker aus dem Gulli vor dem Haus von Wanda und Vision. Bienen umkreisen ihn bedrohlich summend. Finster blickt er die beiden an, doch statt sich dem Schreck der dunklen Gestalt hinzugeben, sagt Wanda: "No!" Die Zeit wird zurückgespult und wir sehen die beiden dort, wo sie kurz zuvor waren: Sich liebevoll in die Augen blickend, weil Wanda über Nacht ein dicker Babybauch gewachsen ist. Daraufhin erfüllt Farbe die Welt der beiden. Wie im Disneyfilm dreht sich die Kamera um sie und zeigt, wie eine Farbenflut  die vormals schwarz-weiße Umgebung fast zu grell leuchten lässt.

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Klar, gibt es die ein oder andere Anspielung auf das Marvel-Universum, aus der wir Vermutungen ableiten können, in was für einer Zauberwelt wir uns hier befinden. Der Hersteller des Toasters in der Werbung ist Stark Industries, die Uhr, die in einem anderen Werbeclip vorgestellt wird, ist von Hydra. Die Handlung wird nämlich immer wieder von Werbeclips unterbrochen, die scheinbar keine Bedeutung für die Story haben. Das kennen wir von den Filmen von Paul Verhoeven, wie RoboCop oder Starship Troopers, in denen damit auch gezeigt werden soll, wie verkommen die Gesellschaft eigentlich ist. 

Denn auch das spart die Serie nicht aus: Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Die Frau bleibt zu Hause, während der Mann arbeiten geht. Bringt er seinen Chef nach Hause, um sich für die nächste Beförderung zu bewerben, bewertet der Chef vor allem, wie gut er seinen Haushalt unter Kontrolle hat. Die Frau muss sich derweil Gedanken machen, wie sie ihren Mann bei Laune hält, damit er sie nicht verlässt. Das geht am besten mit tief ausgeschnittenem Dekolleté. 

Ein wiederkehrendes Motiv der Serie ist der Wunsch der beiden Superhelden - sie Hexe, er Maschine - nicht aufzufallen, normal zu wirken. Es dauert nicht lange, bis klar wird, dass damit nicht nur das Leben unter Menschen gemeint ist, sondern allgemein der Wunsch der weißen Mittelschicht in den 50ern, und wahrscheinlich noch heute, dem Klischee zu entsprechen. Nicht anders sein, nicht auffallen, sondern das tun, was die anderen machen. 

Denn die, auch das zeigt sich schnell, sind die Hölle. Frauen konkurrieren untereinander um nichtige Aufgaben, während Männer die Arbeit mit nach Hause nehmen müssen, um sich beruflich durchzusetzen. Gleichzeitig muss Vision aufpassen, dass er nicht aus Versehen etwas isst, weil das sein Getriebe durcheinander bringen würde. Als er aus Versehen einen Kaugummi verschluckt, ist er so, wie wenn der Familienvater, dem der Druck des Rollenbildes zu viel wird, sich nach der Arbeit ein paar Bourbon reinstellt. Das ist schon alles ganz schlau gemacht.

Überhaupt ist die Serie in ihren ersten beiden Folgen großartig. Disneys Marvel traut sich hier etwas, was man in seinem Cinematic Universe noch nicht gesehen hat. Eine 60er-Jahre-Sitcom, inklusive Ausstattung, Schwarz-weiß-Bild, ewig langen Einstellungen und sogar einem Bildverhältnis von 4:3. Das ist schon alles wahnsinnig mutig.

Und weil das alles so wahnsinnig ist, weiß man nicht nur nach zwei Folgen, sondern auch anschließend nicht, wohin es führen wird. Auch das ist mal schön. Nach unzähligen Filmen, die alle mehr oder wenig gleich aufgebaut waren und die höchsten aller Fallhöhen schon mehrfach durchexerziert haben, ist das erfrischend und dringend notwendig, um uns bei der Stange zu halten. 

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