Litauische Dorf-Diskos erinnern an heidnische Kultstätten

Der Fotograf Andrew Miksys ist in Seattle geboren und wuchs auch dort auf, aber seine Familie stammt ursprünglich aus Litauen. In den 90ern reiste er zum ersten Mal in das Land seiner Vorfahren, um ein paar entfernte Verwandte zu besuchen. Bei seinem zweiten Besuch stolperte Andrew über eine kleine Disko, an den Ausläufern eines kleinen litauischen Dorfes. Da er so sehr von der Atmosphäre und den Leuten dort fasziniert war, machte er sich auf, die ganzen kleinen Dörfer im Land abzuklappern und die Orte zu Fotografieren, an denen sich die Einwohner austoben konnten. Später fasste er diese Bilder zu einem Buch zusammen, Disko.

Ich hatte eine kleine Unterhaltung mit ihm über die Einzigartigkeit der ländlichen Gebiete Litauens—Orte, die sich sehr stark ihrer sowjetischen Vergangenheit bewusst sind und noch viel mehr auf eine bessere Zukunft hoffen.

Videos by VICE

VICE: Erzähl mir von deinem ersten Trip nach Litauen—wie war es?
Andrew Miksys: Ich bin 1995 mit meinem Vater dorthin gereist, um ein paar unserer Verwandten zu besuchen. Es war ein ziemlich überwältigendes Gefühl, Menschen zu treffen, von denen wir schon so viel gehört hatten, die wir aber wegen der UdSSR niemals persönlich besuchen konnten. Um ehrlich zu sein, war ich damals gar nicht so scharf darauf, nach Litauen zu reisen. Als ich dann aber einmal da war, haben mich das Land und die Menschen einfach umgehauen. Jetzt gerade habe ich mich entschieden, wieder dorthin zu reisen und noch mehr Fotos zu machen. 1998 hatte ich ein Fulbright-Stipendium bekommen und konnte so für ein Jahr durch Litauen ziehen und Fotos machen.

Wann warst du zum ersten Mal in einer litauischen Disko?
Ich war damals in diesem Dorf und sah, wie ein paar Jugendliche mit einer Kiste Bier in ein Gebäude gingen. Das war 1999. Ich weiß nicht mehr genau warum, aber ich entschied mich dazu, ihnen zu folgen, und entdeckte so eine Disko. Der Laden war ziemlich runtergekommen und sah immer noch so aus, wie er auch während der Sowjetzeit ausgesehen haben muss—an der Wand hing sogar ein Leninkopf aus Metall. Später gab mir der Barkeeper dann den Leninkopf als Geschenk. Ich kam ein paar mal wieder, um mehr Fotos zu machen, und auf dem Weg dahin fielen mir in den Dörfern, durch die ich kam, immer mehr Diskos auf. In den folgenden Wochen und Jahren fand ich dann noch mehr von diesen Diskos in ganz Litauen.

Was hat dich dazu gebracht, daraus ein Projekt zu machen?
Ich war vor allem davon fasziniert, wie sehr du an diesen Orten noch den Nachhall der Sowjetunion spüren konntest. All die jungen Leute, die die Plätze aufsuchten, waren irgendwo zwischen ihren Erinnerungen an die Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft gefangen. In den 2000ern hat sich Litauen sehr verändert. Von einer ehemaligen Sowjetrepublik wurde es zu einem EU-Mitgliedsstaat.

Vor allem kulturell war die Veränderung sehr dramatisch. Die Zukunft barg jetzt lauter Möglichkeiten, aber die Vergangenheit lastete noch schwer auf allem. Die Freitag- oder Samstagabend-Disko war einer der wenigen Orte in diesen Dörfern, an denen die Menschen sich modern fühlen und etwas abdrehen konnten. Dadurch, dass alles im Wandel begriffen war, fühlte sich alles so lebendig an. Heutzutage gibt es nur noch wenige Einwohner in diesen Dörfern, da viele junge Menschen weggezogen sind, um Arbeit und Abenteuer in anderen Ländern zu finden. Ich wollte das alles festhalten, bevor es verschwunden ist.

Hast du interessante Menschen in diesen Diskos getroffen?
Die tollste Person, die ich beim Fotografieren kennengelernt habe, war ein DJ mit dem Namen DJ Playboy. Das erste Mal, dass ich in sein Dorf kam, begrüßte er mich mit offenen Armen, gab mir ein Bier und stellte mich seinen Freunden vor. Der Laden, in dem er spielte, war etwas einschüchternd—regelmäßig kam es zu Schlägereien. Aber DJ Playboy kümmerte sich immer um mich und seine Freunde sorgten dafür, dass ich und mein Equipment sicher waren. Wir sind noch immer Freunde.

Er zog nach Vilnius, wo ich auch lebe, und arbeitet jetzt in einem Krankenhaus gegenüber von meiner Wohnung. Als ich vor Kurzem meine Buchveröffentlichung in Vilnius hatte, spielte er Musik auf der Afterparty.

Hast du irgendetwas besonders Interessantes erlebt?
Es ist ziemlich cool, bei Vollmond durch die litauische Landschaft zur nächsten Disko zu fahren. Litauen war das letzte Land in Europa, in dem die Leute ihre heidnischen Bräuche aufgaben, um sich dem Christentum zuzuwenden. Auch wenn Dorfdiskos damals natürlich noch nicht existiert haben, erinnerten sie mich an diese vorchristlichen Zeiten, in denen die Menschen aus dem Dorf in den Wäldern ihre heidnischen Feste feierten. Vielleicht waren ihre Rituale die ersten Diskos. Der Mond und die Sterne machen sich als Discokugel ziemlich gut.

Hast du während der Arbeit an deinem Projekt etwas gelernt?
In Litauen hat mein Buch ziemlich schlechte Presse bekommen. Die Leute sind der Meinung, dass ich keine Menschen und Orte zeigen sollte, die sie nicht für modern halten, oder die dem Bild von Litauen als einem EU-Vorzeigestaat widersprechen. Das kommt zum Teil daher, dass die Leute am liebsten alle Überbleibsel der Sowjetunion loswerden würden. Ich verstehe das.

Wenn du die Ereignisse in der Ukraine verfolgt hast, gibt dir das einen ungefähren Eindruck davon, wie schlimm autoritäre Regime sein können. Stell dir vor, wie es gewesen sein muss, in der Sowjetunion aufzuwachsen. Auf der anderen Seite kommt die Kritik aber auch von Leuten aus der Stadt, die auf das Leben auf dem Land herabsehen. Diese Form der Blindheit ist nichts für mich—ich denke, die Menschen und die Orte in meinen Bildern sollten ihre eigene Stimme haben.

Mehr von Andrews Arbeiten könnt ihr hier sehen.