Wenn ich etwas schreibe, das viele Menschen vor den Kopf stößt (meist etwas über Videospiele), dann weist mich in der Regel eine Handvoll von Leuten darauf hin, dass ich ein Gesicht zum Reinschlagen habe. Und sie haben Recht. In Fotos (darunter auch das über diesem Text) sehe ich selbstgefällig, besserwisserisch, und streberhaft aus. Kurz gesagt: Ich habe ein klassisches Watschengesicht.
Aber trotz dieses Geburtsfehlers hat mein schlagenswertes Gesicht in all meinen 31 Jahren noch nie Bekanntschaft mit einer Faust gemacht. Und als ängstliche Person ruhe ich mich auch nicht auf meinen Lorbeeren der Unversehrtheit aus. Stattdessen mache ich sofort einen Rückzieher, wenn mich jemand konfrontiert, und halte mich eifrig von Leuten fern, die aussehen, als würden ihre Fäuste eher locker sitzen. Mir ist schon klar, dass man so eigentlich nicht leben sollte. Seit Jahren denke ich, ich müsste meiner Angst einfach mal ins Auge sehen.
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Und dann lese ich in den Nachrichten von einem Typen, der einen Mann mit einem einzelnen Faustschlag getötet hat. Wenn ein einziger Hieb deinem Leben ein Ende setzen kann, macht es dann nicht auch Sinn, sich vor jeder noch so kleinen Keilerei zu drücken?
Ich frage Dr. Darragh O’Carroll, der in einer Notaufnahme in Los Angeles arbeitet und nebenbei noch als Ringarzt bei MMA-Kämpfen dient. Er meint, wenn mir jemand eine einschenken würde, “würde aller Wahrscheinlichkeit nach nichts Ernstes passieren, aber es wäre trotzdem möglich”.
Die Wahrscheinlichkeit, dass mir jemand überhaupt eine zimmert, habe ich nicht ganz klären können. Bei der Suche nach Verbrechensstatistiken zu Faustschlägen ins Gesicht ging ich leer aus. Die einzigen Statistiken, die ich zum Thema finden konnte, waren für schwere Körperverletzung.
Vielleicht muss ich meine Statistiken woanders suchen, nämlich unter Kindern statt Erwachsenen. 2013 fragte die amerikanische NGO Child Trends Highschool-Schüler und -Schülerinnen, ob sie im vergangenen Jahr in einen Kampf verwickelt gewesen seien, was 24,7 Prozent bejahten. Dann habe ich noch eine hochgradig unwissenschaftliche Umfrage in unserem Büro gemacht. Von den 10 Personen, die ich gefragt habe, ob sie schon einmal eine Faust ins Gesicht bekommen hätten, antworteten 100 Prozent mit “Ja, mindestens einmal”. Laut den Erfahrungen meiner Kollegen und laut O’Carroll kann ich mich nicht ewig vor dem Gong in die Fresse verstecken. “Irgendwann ist die Wahrscheinlichkeit einfach recht hoch”, lacht er.
Doch wie sehen die Gesundheitsrisiken eines Faustschlags ins Gesicht aus?
Gebrochene Nase
Wenn das Unausweichliche erst einmal passiert, ist laut O’Carroll die wahrscheinlichste Verletzung eine gebrochene Nase. Nasenbrüche können einfache Frakturen aber auch komplexere Brüche sein. Die meisten davon “heilen ohne jegliche Intervention”, wie O’Carroll mir versichert. Doch er warnt mich auch vor einer möglichen Folge eines Nasenbruchs namens Septumhämatom. “Wenn du mit einem Finger in die Nasenlöcher tastest, spürst du es dann—ich würde es als große Traube beschreiben”, sagt er. In diesem Fall braucht man sofort medizinische Hilfe, ansonsten könnte die mangelnde Blutzufuhr die Nasenscheidewand zerstören.
Verletzungen an Kiefer und Zähnen
Natürlich mache ich mir auch Sorgen um meine Zähne. Dr. O’Carroll sagt, es sei wahrscheinlicher, dass mein Angreifer sie mir direkt ausschlägt; Abbrechen käme nicht so häufig vor. Er fügt aber gleich hinzu, dass der geneigte Einschenker sich mehr vor den Zähnen fürchten sollte als umgekehrt. “In einem menschlichen Mund tummeln sich mehr Bakterien als in einer Hundeschnauze. Wenn die Zähne [beim Schlag] in die Knöchel kämen, müsste man sich das im OP auswaschen lassen, ansonsten könnten die Bakterien sich vermehren und das Gelenk zerstören.”
Vor Kieferschlägen sollte ich mich allerdings wirklich in Acht nehmen. “Der Unterkiefer ist ein Halbkreis, und Kreise brechen gerne an zwei Punkten”, erklärt O’Carroll. Wenn mein Kiefer nur an einer Stelle bräche und nicht ausgerenkt sei, könnte ich damit davonkommen, dass mein Kiefer mit Draht fixiert würde. Dann müsste ich vier bis sechs Wochen lang durch einen Strohhalm trinken. Das wäre die günstigste Situation in Sachen Kieferbruch. Ein offener Kieferbruch wäre laut O’Carroll nämlich weitaus schlimmer. “Bei so einem Bruch schaue ich in deinen Mund und sehe, dass der Bruch so weit geht, dass Zahnfleisch und Zähne auch auseinandergebrochen sind.” Abgesehen von den aufwändigen OPs, die zur Reparatur nötig sind, und dem offensichtlichen Risiko einer optischen Entstellung kann es auch noch zu Infektionen kommen.
Hirnschäden
Die häufigste Form von Hirnschäden ist gleichzeitig auch die harmloseste, nämlich eine Gehirnerschütterung. Intrakranielle Hämorrhagie—oder auch Hirnblutungen—kommt hingegen seltener vor, ist jedoch weitaus beängstigender. Dabei kann man eine sogenannte epidurale Blutung schon mal schnell mit einer Gehirnerschütterung verwechseln. “Irgendjemand schlägt dich bewusstlos. Du kommst wieder zu dir und bist dann erstmal etwas verwirrt, aber dir geht es schnell besser. Nach 20 oder 30 Minuten verfällst du jedoch in einer immer teilnahmsloseren Zustand,” sagt O’Carroll. Hier hat man es mit einer epiduralen Blutung zu tun und muss schnell ins Krankenhaus, um einem potenziell tödlichen Hirnprolaps vorzubeugen. O’Carroll meint, dass ein harter Schlag gegen die Schläfe zwar diese Art der Hirnblutung hervorrufen kann, eine intrakranielle Hämorrhagie aber trotzdem eher die Folge des Aufpralls auf den Boden ist.
Augenverletzungen
Ich konfrontiere O’Carroll mit einer hypothetischen Situation: Wenn eine Faust mit seinem Gesicht kollidiert, was wäre dann seine größte Sorge? “Ich habe keine Lust drauf, dass irgendetwas mit meinen Augen passiert”, antwortet er.
Das Auge und die umliegende Augenhöhle sind kompliziert aufgebaut und man kann sie auf unzählige Arten und Weisen verletzen. “Eine Netzhautablösung liegt im Bereich des Möglichen”, erklärt O’Carroll und fügt noch hinzu, dass diese Verletzung aber nicht so häufig vorkommt wie Brüche.
Faszinierenderweise laufen Orbitafrakturen nicht so ab, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich bin nämlich immer davon ausgegangen, dass die Faust einfach die Augenhöhle zerschmettert. Stattdessen quetscht der Schlag jedoch das Auge sowie die umliegenden Nerven, Adern und Muskeln zusammen und das Ganze “explodiert” dann unkontrolliert. “Der Druck muss sich ja irgendwo hin entladen”, sagt O’Carroll. Die Folge ist dann oftmals ein gebrochener Knochen irgendwo im Bereich der Augenhöhle. Und manchmal sind diese Brüche richtig gefährlich, denn die für die Augenbewegung zuständige Muskulatur kann es gar nicht ab, wenn da plötzlich Schädelknochenstücke ankommen. “Wenn ein Knochenfragment dort im Muskel feststeckt, kann man sein Auge nicht mehr komplett und frei hin- und herbewegen. Diese Einschränkung ist ein Anzeichen dafür, dass eine Operation nötig ist”, erklärt O’Carroll.
Das Fazit
Wenn man die Vielzahl an möglichen Verletzungen bedenkt, dann scheint es so, als sei die Gefahr eines Faustschlags ins Gesicht kaum berechenbar. Man kann dadurch sterben, aber ich kenne persönlich niemanden, der durch einen solchen Hieb wirklich ums Leben gekommen ist oder überhaupt eine Operation benötigt hätte.
Manchen Ängsten kann man sich jedoch ziemlich leicht stellen und deshalb habe ich mich auch dazu entschieden, mir im Stile Tyler Durdens auf die Mütze geben zu lassen.
Ich arbeite nur wenige Schreibtische von Mike Hresko entfernt, dem Chefredakteur unseres Kampfsport und MMA-Verticals Fightland. Mike beherrscht Jiu-Jitsu und Muay Thai und weiß deshalb auch, wie man richtig zuschlägt. Dieser Umstand macht mir zwar einerseits ein wenig Sorgen, andererseits kann ich mir so aber auch sicher sein, dass er nicht aus Versehen mein Ohr oder meinen Hals trifft. Ich bitte Mike also darum, mich so zu schlagen wie einen Typen in einer Bar, der sich nicht mehr im Zaum halten kann und den man dementsprechend etwas “zurechtstutzen” muss. Gleichzeitig sage ich aber auch, dass ich diesen Artikel fertig schreiben muss—also keine Gehirnerschütterung, bitte.
Anfangs tut der Schlag gar nicht wirklich weh, sondern fühlt sich wie ein allgemeiner “Systemschock” an—so wie nach einem leichten Autounfall oder nach der Explosion eines Böllers in unmittelbarer Nähe. In meinen Ohren piepst es und die Kopfschmerzen lassen auch nicht lange auf sich warten. Während des Schlags wollte ich mich reflexartig wegdrehen und in den darauffolgenden Sekunden rasen die Bilder einer grauenvollen Verletzung durch meinen Kopf. Ich lebe aber noch und fühle mich ehrlich gesagt gar nicht mal so schlecht. Ich kann ohne Probleme an meinen Schreibtisch zurückkehren und diese Zeilen tippen. Mein Gehirn scheint also keinen Schaden genommen zu haben.
Einen Faustschlag zu kassieren, ist garantiert kein Kindergeburtstag—selbst wenn der Angreifer dein Kollege ist und dir damit nur einen Gefallen tut. Da ich jetzt weiß, wie sie ein relativ schwacher Hieb anfühlt, macht mir der Gedanke an einen Menschen, der mich mit seinen Fäusten ernsthaft verletzen will, aber doch noch etwas mehr Angst als vor den Recherchen für diesen Artikel. Und meistens haben Schlägertypen laut O’Carroll tatsächlich nur eins im Sinn, nämlich dem Gegenüber so viel Schaden zuzufügen wie nur möglich. “Wenn jemand richtig sauer ist, dann will er seinem Gegner natürlich die Lichter ausknipsen”, sagt er. OK, ich lasse dann auch weiterhin doch lieber Vorsicht walten.