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Ich habe als Ghostwriter kein schlechtes Gewissen, dir beim Betrug an der Uni zu helfen

„Ob Hausarbeit oder Dissertationen: Uns professionelle Betrugsschreiber kann es nur geben, weil die Unis, die Wissenschaft und die Studenten am Arsch sind."
Foto: imago | Steinach

Foto: imago | Steinach

Ich schreibe Abschlussarbeiten und Dissertationen für reiche, faule Studenten. Meistens in Fächern, die ich nicht studiert habe, und legal, für eine der großen Ghostwriting-Agenturen in Deutschland. Die meisten Leute reagieren darauf etwas ungläubig und stellen mir eine Menge Fragen, komischer Weise nie, ob ich ein schlechtes Gewissen habe. Darum will ich dazu jetzt mal Stellung nehmen. Spoiler-Alert: Ich hab natürlich keins. Und das hat drei Gründe. Vielleicht liest du aber besser wirklich was Anderes, denn es könnte dir die Laune verderben.

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"Wie bitte, ist das überhaupt legal, was du da machst?"

Das kriege ich oft zu hören. Ghostwriting-Agenturen sind legal. Meine Arbeit ist legal. Für den Kunden könnte es problematisch werden, wird es aber nicht: Ich kenne weder seinen Namen noch seine Uni oder den genauen Studiengang, die Kommunikation läuft komplett über die Agentur. Klar, sonst könnte man ihn erpressen (oder den Ruf des Ghostwriters zerstören, der tagsüber an der Uni arbeitet). Der Text ist von mir spezifisch für den Kunden geschrieben worden, existiert also nirgendwo sonst und lässt sich nicht als Plagiat nachweisen—wenn es überhaupt eines ist: Schließlich habe ich die Rechte daran verkauft. Und die Agentur verkauft sie in fadenscheiniger Weise als bloße "Vorlage" weiter, ohne angreifbar zu sein. Können die ja nicht ahnen, dass der Student das dann unter seinem Namen abgibt, was?

Natürlich ist das verlogen. Aber bevor wir zur Moral kommen, kurz zu mir: Habe ich die Weisheit mit Löffeln gefressen? Nein, ich habe ernsthaft studiert: An einer süddeutschen Uni Philosophie im Hauptfach auf Magister, gründlich und extensiv. Ich habe ein Dutzend Hausarbeiten geschrieben und jede davon war so etwas wie eine Bachelor-Arbeit heute: zwei bis drei Monate Zeit, echte Literaturverzeichnisse über sechs Seiten. Damals konnte man sich die Freiheit nehmen, Dingen auf den Grund zu gehen. Und hat man sich die Grundlinien eines Bildungshorizontes einmal erarbeitet, kann man vieles. Aber natürlich nicht alles: Ich schreibe 'nur' in Geisteswissenschaften. Oder sagen wir mal in dem, was davon übriggeblieben ist … womit wir zum Thema kommen: Jeder wird ein bisschen zynisch, wenn er zum ersten Mal hinter die Kulissen eines Berufes blickt. Ich hielt mich schon als Hilfskraft für abgeklärt. Als ich wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde, Doktorand, Dozent, wissenschaftlicher Redakteur, Beiratsmitglied, usw., sah ich Probleme auf einer ganz neuen Ebene. Sie sind ein Grund dafür, dass mir das schlechte Gewissen fehlt, also der erste Grund, voilà:

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Kein schlechtes Gewissen, weil die Geisteswissenschaften ein Bretterschuppen sind

Gäbe es übersichtliche Seminare, gäbe es echte Dialoge, würden die Dozenten ihre Studenten kennen, würden die Professoren die Arbeiten ihrer Studenten lesen, würde es echte Betreuungsverhältnisse geben oder irgendein Verantwortungsgefühl … dann würde der Betrug mit Ghostwritern auffallen. Aber das tut er nicht, weil die Geisteswissenschaften chronisch unterfinanziert sind. Und das ist leider Gottes eine Folge linkspopulistischer Hochschulpolitik: Wer eine Politik der sozialen Öffnung betreibt, sollte auch einen substantiellen Finanzierungsplan besitzen, um den gigantischen Zuwachs an Studenten abzufedern. In der durch den "Öffnungsbeschluss der Hochschulen" (1977) eingeleiteten Zeit fehlte der. Die Folge: Massiver Qualitätsverlust des Studiums, katastrophale Verwaltung und absurder Stellenmangel. Professoren, die einerseits in Verpflichtungen versinken und nicht zur Forschung kommen, sich andererseits aber wie Landesfürsten verhalten, während sich am Rande ihres Hofes Privatdozenten tummeln—die Leibeigenen des modernen Rechtsstaates.

Studenten, die nie dahin kommen zu verstehen, wie unglaublich wenig Ahnung sie in Wahrheit haben, weil sich niemand die Zeit nehmen kann, es ihnen zu erklären, und Nachwuchsforscher, die ahnungslos in düstere Zukunftsperspektiven gelockt werden. Der massive Geldmangel ist eine zentrale Ursache dieser ungerechten Verhältnisse. Die Universitäten haben in den letzten 50 Jahren gigantische Inklusionsleistungen vollbracht—an denen vieles gut ist—und sind dabei zugleich staatsfinanzierte Bruchbuden geworden, die einen Schein von Normalität wahren. Bestes Beispiel dafür ist vielleicht die Aufhebung der Anwesenheitspflicht in NRW: Wenn nur noch ein Viertel der Studenten vor Ort ist, fällt nicht mehr auf, dass die Seminare eigentlich überfüllt sind. Am Ende des Semesters bekommt der Dozent dann aber Hausarbeiten von völlig unbekannten Personen. Unmöglich zu beurteilen, ob diese Arbeiten echt sind. Ein besseres Geschenk hätte man den Agenturen nicht machen können. Also, Punkt Eins: Ghostwriting funktioniert nur deshalb, weil die Universität nicht funktioniert, weil sie zu wenig Geld hat.

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Das Sytem der Agenturen

Lustigerweise machte mich dann eine Kollegin aus der Uni auf Ghostwriting aufmerksam. Neugierig bewarb ich mich am nächsten Tag bei einer der großen Agenturen, ganz normal: mit Vita, Publikationen und Stylesheets aus meinen Proseminaren. Schon war ich im E-Mail-Verteiler der Agentur und bekam jeden Tag Auftragsanfragen. Leider kam nie eine von meinen eigenen Studenten rein. Das wäre zu lustig gewesen. Wer als Erster reagiert, darf jedenfalls ran. Startgebot für niedrige Jobs sind meist um die 20 Euro / Seite. Für eine 20-seitige Hausarbeit bekomme ich also circa 400 Euro und der Kunde zahlt dafür um die 800 Euro. In Hinblick auf den Zeitdruck und die Qualitätsvorstellungen lässt sich der Preis weiterverhandeln, vor allem aber kann man auch Dissertationen schreiben. Für ein Kapitel von 20 Seiten habe ich letztes Mal 800 Euro bekommen. Aber erst nachdem ich eine Reihe Jobs gemacht hatte. Am Anfang war ich scheu und schrieb Essays—schließlich waren es meist fremde Fächer.

Und die machen mir Spaß, weil sie meinen Horizont erweitern: Ich glaube nicht, dass man bei irgendeinem anderen Job so viel lernen kann. Ich kann die Neugier ausleben, die mich in die Philosophie getrieben hat, und den Job wie eine Fortbildung benutzen, für die ich bezahlt werde. Wenn der Verdienst mal besser sein soll, suche ich mir einen Bereich, in dem ich mich besser auskenne und schneller arbeiten kann. Mich stört dabei nicht, dass andere die "Anerkennung" für meine Arbeit bekommen, im Gegenteil: Einen eigenen Aufsatz zu schreiben, ist quälender Perfektionismus. Die Anonymität ermöglicht es mir, pragmatischer zu sein und mehr zu lernen. Wie die Kunden oder ihre Profs das dann finden, kriege ich fast immer mitgeteilt, genaue Noten hab ich jedoch nie gehört. Bislang waren tatsächlich alle Resonanzen positiv. Eine Ausnahme gab es: Weil das Thema so interessant war, nahm ich einen Job mit viel zu kleinem Zeitfenster an. Eine komplette Abschluss-Arbeit in einem halbwegs seriösen Fach lässt sich nicht in ein paar Tagen schreiben, wenn eine exzellente Bewertung dabei rauskommen soll. Es gibt Grenzen des Machbaren. Genau genommen aber sehr viel weniger, als man denkt. Und das ist der zweite Grund, wegen dem mir das schlechte Gewissen fehlt.

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Kein schlechtes Gewissen, weil Laberfächer das bekommen, was sie verdienen

Mein erster, großer Auftrag: eine verwahrloste Dissertation, die von mir in Ordnung gebracht und neu geschrieben werden sollte. Ich hatte ein Exposé, ausgewählte Forschung und die fragmentarischen Kapitel vorliegen. Nach einer Woche war ich eingearbeitet und hatte eine Strategie, um die Arbeit neu aufzuziehen. Zugleich war ich genervt: Es war ein typischer Bologna-Studiengang, der modern klang und ein halbes Dutzend Disziplinen integrierte. Das heißt man redete über Philosophie, ohne Philosoph zu sein, über Linguistik, ohne Sprachwissenschaftler zu sein, über Medientheorien und Ästhetik … Diese Leute hatten sich einen "interdisziplinären" Forschungsbereich geschaffen, in dem sie Sachen schreiben konnten, mit denen sie vor Fachleuten nie durchkommen würden.

Und ich war in der absurden Situation, Dinge ungenau oder falsch darstellen zu müssen, damit sie da hineinpassten. Das war auf eine sehr komische Weise anstrengend. Als ich nicht mehr vorwärts kam, karikierte ich aus Langeweile den verhassten Stil, äffte ihn nach. Das machte natürlich Spaß. Und zugleich ging es unglaublich schnell. Ich staunte nicht schlecht und hatte Blut geleckt: In dieser Nacht schrieb ich sieben Seiten (!) und schickte das Kapitel am nächsten Tag mit dem Gefühl tiefster Verachtung zurück. Es gab im Grunde keinen Gedankengang, einfach Variationen aneinandergeklotzter Substantive, von denen man wusste, dass sie in die richtige Richtung gehen. Die Antwort-Mail traute ich mich erst nicht zu öffnen—und wurde dann von der Dankbarkeit überrascht. Der Betreuer sei sehr zufrieden gewesen …

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In einem seriösen Fach wäre so etwas nicht möglich. In dem Text steckte kein einziger Gedanke. Mir fiel der Hoax-Artikel von Alan Sekal (1996) ein, der die Pseudowissenschaftlichkeit postmoderner Theoriebildung vorführen wollte. Irgendwie schien ihm das ja gelungen zu sein. Mach selbst mal den Test und lies den Artikel hier. Dann klicke auf "aktualisieren" und lies den nächsten. Es ist vollkommen erratisches Geschwafel, hat aber eine rhetorische Kraft: Man fühlt sich ein bisschen wie bei einem Gespräch, von dem man nur einen Bruchteil versteht, weil man dummerweise die Sprache nicht richtig beherrscht. Das ist natürlich ein extremes Beispiel. Aber es zeigt: Wir lernen Sprachspiele, wenn wir eine Wissenschaft lernen, und in vielen Bereichen scheint es egal zu sein, ob der Inhalt einer Aussage stimmt, solange sie funktioniert. Dafür aber kann es hundert Gründe geben.

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Wir alle kennen hochpolitisierte Diskurse, in denen es wichtiger ist, den "richtigen" Standpunkt zu haben, als ihn gut zu begründen. In einem kulturwissenschaftlichen Diskurs kann die Unterdrückung von Gruppen oder Minderheiten an Gegenständen festgemacht werden, die du nach dem Zufallsprinzip auswählst. Glaubst du nicht? Ich habe es getan, als bei einem Job die Zeit knapp wurde—und Komplimente für meine "radikale Kritik" bekommen. Oder die Diskurse, wo man tiefsinnig wirkt, wenn man sich unverständlich ausdrückt: Für solche Gesprächskulturen bietet die deutsche Geistesgeschichte viele Anknüpfungspunkte. Jeder kann die Terminologie von Hegel benutzen, wenn er sie nicht erklären muss … Ich sage nicht, dass Geisteswissenschaften Laberfächer sind, ich denke nur, dass es in weiten Teilen kein zuverlässiges System gibt, um das Gelaber herauszufiltern. Und für mich ist es schwer, vor so einem System nicht den Respekt zu verlieren.

Kein schlechtes Gewissen wegen der universitären Ökonomisierung

Der dritte Punkt ist offensichtlich—und keine Folge von Linkspopulismus: Das Geschäft mit den Ghostwriting-Agenturen boomt, weil wir im Bologna-Zeitalter leben: Jeder weiß, dass der Bachelor eine Fortsetzung der Schule mit anderen Mitteln ist. Wichtige Dinge lernt ein Bachelor-Student erst im Beruf. Und wenn das Studium für dich ohnehin nur eine nervige Investition von Zeit und Geld ist, deren alleiniger Zweck die Abschluss-Urkunde darstellt, liegt es nahe, die Arbeit outzusourcen, um komfortabler an den Abschluss zu kommen und früher Geld zu verdienen. Nachvollziehbarer Weise stammen die meisten und die schamlosesten Kunden darum auch aus den Bereichen BWL und Marketing. Der Punkt ist aber: Die Bologna-Reform hat das Studium so konsequent ökonomisiert, dass der Gedanke an die Agentur für viele Studenten etwas Natürliches hat. Zugleich sind sie wegen permanenter Benotung und viel zu knappen Zeitfenstern unter so einem Druck, dass die Agentur wie ein legitimer Notfallplan erscheinen kann. Die meisten Anfragen sind denn auch ein bisschen panisch, was man daran erkennt, das kaum noch Zeit bis zur Abgabe ist. Ghostwriting ist in jedem Fall die Kehrseite einer desaströsen Hochschulpolitik und ihre logische Konsequenz. Beides gehört zusammen.