Arne Zillmer ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation Jungsozialisten (Jusos) in Niedersachsen.
Irgendwie musste mir wohl etwas entgangen sein. Das Handy vibrierte pausenlos, in meinem Postfach stapelten sich immer mehr E-Mails voller wüster Beleidigungen und Gewaltandrohungen. Ich begriff zunächst nicht, was die Ursache für all diese Nachrichten war, erst als einer der Absender auf eine mir bereits hinreichend bekannte Website verwies, begriff ich, was gerade vorging:
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Die größte islamfeindliche Seite im deutschsprachigen Raum mit Verbindungen zu Rechtspopulisten und Rechtsextremisten auf der ganzen Welt, „Politically incorrect” (kurz „PI-News”), hatte einen Artikel über mich geschrieben, beziehungsweise mich regelrecht an den digitalen Pranger gestellt. Direkt auf der Startseite wurde nun neben einem Foto von mir auch noch meine Mailadresse veröffentlicht. Fast zeitgleich wieder eine neue Nachricht, Betreff: Die rote Ratte muss hängen.
Mir wurde schlecht. Panik stieg auf. Ich starrte zunächst nur auf den Bildschirm und war wie gelähmt vor Ratlosigkeit.
Mittlerweile kamen im Minutentakt neue Nachrichten. Der Großteil der Mails war einfach nur beleidigend oder völlig wirr, fast so, als wären sie wie im Wahn geschrieben worden. Doch mit der Zeit häuften sich die Todesdrohungen und Mordphantasien. Von „totprügeln” war die Rede, ebenso von „Konzentrationslagern”. Auch auf den Massenmord des rechtsradikalen Attentäters Anders Breivik, der im Juli 2011 insgesamt 77 norwegische Sozialdemokraten und Jungsozialisten tötete, wurde in den Mails positiv Bezug genommen—mir wurde mit einem „neuen Breivik” gedroht. Außerdem musste ich mir immer wieder durchlesen, ich sei ein „schwuler Milchbubi” und solle gefälligst die AfD in Ruhe lassen.
Was hatte ich diesen Leuten getan? Ganz einfach: Ich hatte eine Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD bzw. deren Jugendorganisation mit Björn Höcke angemeldet. Höcke ist Fraktionssprecher für die AfD in Thüringen und wird zum rechten Rand der Partei gezählt, verschiedene Journalisten und Politikwissenschaftler bezeichnen seine Äußerungen als „rechtspopulistische Töne”. Eine Veranstaltung mit einer derart fragwürdigen Ausrichtung—wir reden hier immerhin von einem Typen, der seine Partei als „Bewegung unseres Volkes” gegen „Multikulturalismus” sieht—sollte man nicht unkommentiert lassen. Die Jugendorganisation der AfD, die „Junge Alternative”, fantasierte dann ein Bedrohungsszenario herbei und kritisierte unseren Gegenprotest in einer Pressemitteilung.
Diese wurde dann auffälligerweise teils wortgleich von PI-News für deren Hetz-Artikel übernommen, was mir nun ein Postfach voller Morddrohungen, Beleidigungen und SPAM-Mails für Abnehmpräparate einbrachte, die ich wütenden AfD-Anhängern und strammen Neonazis zu verdanken hatte.
Die Masche selbst ist nicht neu, so geht PI-News schon seit Jahren vor. Die unbekannten Betreiber verfassen Hetz-Artikel, gegen die selbst die absurdesten Meldungen in der Boulevardpresse wie wissenschaftliche Fachpublikationen wirken, die jedoch meistens strafrechtlich noch nicht relevant sind. Doch durch das Anprangern von Andersdenkenden und das Veröffentlichen der Kontaktdaten erledigen die zahllosen User, die sich gegenseitig in den Kommentarspalten anstacheln, von alleine den Job. Die feigen Hintermänner von PI-News stiften anonym ganze Horden von rassistischen Trollen an, wodurch die „politisch-korrekten, links-grün versifften Gutmenschen” eingeschüchtert und mundtot gemacht werden sollen. In diesem Fall hatte es mich getroffen.
Während ich zu all dem recherchierte, verfolgte ich weiter die Drohungen und Beleidigungen. Einige der E-Mails und Kommentare waren äußerst homophob, andere hatten wiederum einen homoerotischen Touch, was wirklich völlig bizarr war. Denn obwohl PI-News den Islam ständig als Bedrohung für Frauen und Homosexuelle darstellt, da der Islam diese unterdrücke, bekam ich nun einerseits Mails mit schwulenfeindlichen und sexistischen Aussagen sowie andererseits ausgeschmückte Beschreibungen von homosexuellen Sexualpraktiken, an denen ich dann sterben würde. Weiterhin hieß es, ich ließe jede Menge „Neger ins Land”, damit diese dann den „Lesben und Quotenschlampen in meiner Partei die Pflaume durchbürsten”.
So schreiben mit Sicherheit keine Leute, die sich Sorgen um die Rechte von Frauen oder der LGBT-Community machen, so schreiben reaktionäre Freaks, die Angst vor allem Fremden haben. Einige der Absender behaupteten zudem immer wieder im Erika-Steinbach-Style, die NSDAP wäre „auch eine LINKE Partei”, während andere ganz unverblümt tiefbraun meinten, ich müsse „demnächst im Vernichtungslager landen”. Für stolze Deutsche machten die Absender übrigens erstaunlich viele Rechtschreib- und Grammatikfehler, vielen würde ein Geschichtsbuch und ein Duden mal gut tun.
Klar ist, dass solche hasserfüllten Kommentare und Nachrichten ihre Wirkung nicht verfehlen und man diese nicht einfach abtun kann. Selbstverständlich wird man irgendwie ein bisschen paranoid, wenn man Morddrohungen erhält. In der Fußgängerzone scheinen einen plötzlich alle komisch anzugucken, man überlegt bei jedem vorbeieilenden Menschen, ob er so eine Mail verfasst haben könnte.
Das Erschreckende daran ist, dass sie tatsächlich von jedem stammen können.
Diese Drohungen richten sich gegen mich, sie sind aber auch bezeichnend für den aktuellen Zeitgeist. Sozialwissenschaftliche Studien belegen, dass menschenfeindliche Ansichten mittlerweile in allen gesellschaftlichen Schichten vertreten sind. PI-News, PEGIDA, AfD—sie alle sorgen dafür, dass rechte Vorurteile immer mehr Zustimmung finden und sich weiter ausbreiten. Sie ebnen mit ihrer Stimmungsmache den Weg für derartige Eskalationen, sie heizen die riesige Maße an rechten Wutbürgern an und bestätigen deren verqueres Weltbild. Bewusst schüren sie die Vorurteile ihrer Anhänger zu Themen wie Migration, dem Islam oder auch Feminismus.
Natürlich trägt diese Hetze dann auch teilweise Früchte, von denen sich die Anheizer zwar distanzieren müssen—so auch die Jugendorganisation der AfD von den Drohungen—, doch überraschend kommt so etwas nicht. Tatsächlich hat der Vorsitzende der „Jungen Alternative Niedersachsen” betont, man lehne ein „derartiges politisches Niveau ab”. Blöd nur, dass wenig später ein Kommentar auf PI-News auftauchte, in dem offenbar ein Bekannter des Vorsitzenden schreibt, er „verarsche” mich bloß und die Distanzierung sei „ironisch” gemeint.
All das zeigt, welche Klientel die AfD anzieht und zu welchen anti-demokratischen Methoden man anscheinend gerne mal greift. Diese Partei demaskiert sich so zunehmend selbst und zeigt ihr wahres, national-konservatives und rückwärtsgewandtes Gesicht.
Gerade deshalb haben wir uns von unserer Kundgebung nicht abbringen lassen. Mir haben in den vergangenen Tagen unglaublich viele Menschen Mut zugesprochen und ihre Solidarität ausgedrückt, das hat sehr geholfen. Alleine hätte ich all den Hass und Stress wohl nicht ausgehalten. „Letztendlich”, sagte ein guter Freund zu mir, „zeigt das nur, wie hart angepisst die von der Gegenaktion sein müssen”. Denn Rechtspopulisten wollen sich gerne ungestört als bürgernah verkaufen. Lässt man das nicht zu, zeigen sie schnell, was sie wirklich sind—nämlich eine Gefahr für unsere Demokratie.
Die Webseite Pi-News, der er die Ergüsse verdankt, hat inzwischen gemeldet, dass sie aktuell nicht verfügbar ist, weil sie von Hackern angegriffen wurde.