Die halbe Packung brechreizender Mentholzigaretten, die jemand liegen lassen hat, ist bereits mit viel Disziplin und Galgenhumor weggeraucht, als mich ein hinreißendes Pärchen aus Glasgow als deutscher Touri entlarvt und höflich fragt, ob ich ihnen vielleicht ein paar Teile verkaufen würde. Elektronische Musik, ein Deutscher, die Taschen voller Pillen. So rasselt die Assoziationskette den Balkon von Joshua Brooks entlang, einem Club in Manchester, der sein Publikum gerade mit deutschen Technopartys auf den Floor lockt wie die Motten ans Licht.
Das schottische Pärchen erzählt mir von einem „Berlin Manifesto“. Solche Partys gebe es auch in New York und Paris und eben überall, wo Leute cool sind. Das Mädchen steckt mir den Flyer zu, ich breche mir die Augen an der Sechspunktschrift: „We did English at school but took notes from the Germans: leave your camera phones at home, leave your heels in the taxi. You didn’t come to pull. You came to dance.“ Ein Typ mit fiesen Tellern fragt, ob ich schonmal im „Burgayne“ gewesen sei. Burgayne? Der Technobunker am Ostbahnhof? Ach so. Dann wuchtet er mir seine Pranke auf die Schulter, grunzt lauthals „Tuuune!“ in den Nieselregen und zerrt mich zurück auf die Tanzfläche.
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Deutsche Partys im Ausland. Ganz so abwegig ist das nicht. Die Deutschen exportieren neben Porsche und Audi vor allem einen Riesenhaufen Elektroschrott plus pharmazeutische Erzeugnisse in die weite Welt. Elektro, Medikamente, Techno—Arsch auf Eimer eigentlich. Aber soll der nächste Exportschlager tatsächlich unsere Feierkultur werden? Gucken sich die anderen die neuesten Tanzschritte von den Deutschen ab? Die Welt braucht Hilfe.
Steffi Allatt ist DJ/Produzentin/Industriespionin und hat Deutschland ins Königreich geschmuggelt. Jahrelang hat sie mit ihrer Consulting Agency die Marketingstrategien der Berliner Clubszene analysiert. Berghain, Bar25, Watergate, die ganzen hoch dotierten Schuppen, die erst angesagt waren und dann in den Reiseführern als Geheimtipp gelistet wurden. Steffi hat den Unterschied zwischen britischen und deutschen Clubs erkannt und will mit ihrer Partyreihe eine Marktlücke schließen. Ausgerechnet in Manchester, dem einzigen Ort auf der Insel, der es aufgrund seines backsteinfarbenen Industriecharmes, seines trendsettenden Kreativpools und der daraus entstandenen Popkultur nun wirklich nicht nötig haben sollte.
Plötzlich fängst du an zu regulieren: Toiletten, Notausgänge, Türsteher
„Das wird nicht funktionieren“, glaubt Marcel Runge, Veranstalter beim Berliner Label Kallias. „Der Charakter, den Berlin ausmacht, lässt sich nicht in Kommerz verwandeln. Ganz einfach deswegen, weil es nicht ganz legal ist.“ Marcel erinnert sich an seine ersten selbst veranstalteten Partys im Spandauer Nirgendwo. Eine Baracke im Industriegebiet, ein Generator, eine Anlage, ein Dixieklo und 200 Freunde auf der Gästeliste. Im kleinen Rahmen und ohne Profitwahn war das machbar. Heute ist die Nachfrage nach den Partys in baufälligen Schuppen, unter Brücken und in den Wäldern so groß, dass es mittlerweile sogar die Polizei registriert hat.
„Und dann musst du umdenken“, erzählt Marcel weiter. „Plötzlich fängst du an zu regulieren: eine sichere Location, Toiletten, Notausgänge, Türsteher, eine Ausschankgenehmigung. Je professioneller du das aufziehst, desto mehr geht der Charme verloren.“ Hinzu kommt, dass sich Mythen nicht pauschal kopieren lassen. Manche Berliner Clubs würden das versuchen. Das heroisierte Bild vergangener Szenenächte ausschlachten. „Aber die spielen nur mit dem Gefühl, underground zu sein“, meint Marcel. „Sie hängen an einem Mythos und versuchen, in kürzester Zeit möglichst viel Profit aus ihm zu schlagen. Bis es den Berlinern irgendwann zu blöd wird und der Laden zur Touristenabsteige verkommt.“
In Manchester ist bis jetzt noch niemand drauf reingefallen. Das Feiervolk war es bis dato gewohnt, erschreckend aufgebitcht durch die polierten Großraumdiscos zu jazzen und eine Serie Gute-Laune-Selfies #yolo zu posten, bevor sich die Sprühfrisur verabschiedet und die Stöckelfüße Blasen werfen. Diese Eigendynamik ist so gar nicht Steffi Allatts Ding. „Hier ging es immer nur darum, sich aufzubretzeln und flachgelegt zu werden“, sagt sie. „In Berlin kümmern sich die Leute einen Scheiß darum, wie die anderen aussehen. Sie sind nur für eine Sache im Club: die Musik. Das wollen wir hier auch.“ Sie wollen Manchester so sehen wie Berlin, bevor es sich dem eigenen Erfolg opferte.
Und tatsächlich. Die deutsche Technoparty in Manchester wirkt auf den ersten Blick entspannter, soundlastiger, nicht so poliert. Kaum Miniröcke auf Heels, kein Schlampenpodest, keine Spiegel in den Ecken, keine durchgeplante Luftzirkulation, keine Security an den Treppen, die der Herde beibringt, dass es sich um Einbahnstufen handelt. An der Kasse zahlen die Leute, was ihnen die Party wert ist. Kein Dresscode, kein Klientel, keine Barriere zwischen Floor und DJ-Pult. Kein Blitzlichtgewitter über dem Main Act. Bloß ein bisschen Glitzerpuder für das Gemeinschaftsgefühl. Fast so wie früher. Das Publikum reißt sich um den wiederbelebten Neueinsteiger auf dem Clubmarkt.
Ausrasten ist eine Frage des Trainings
Ein bisschen überreguliert bleibt die Nacht trotzdem. Die Leute wissen nicht so recht, wohin mit ihrer Freiheit. Sie tanzen ein paar Stunden, um vier ist Schluss. Ausrasten ist eine Frage des Trainings. Als ich mir versehentlich den Mentholschachtelrest auf der Tanzfläche anstecke, weist mich ein Schwarm der Entgeisterung zurecht. Behave. „Wir stehen noch in den Anfängen“, erklärt Steffi. „Es geht nicht darum, das große Geld zu machen. Noch nicht. Wir wollen erst einmal das richtige Gefühl hierher bringen.“ Lassen sich Gefühle etwa doch so exportieren wie die acht Zylinder, die Lenkradheizung und den Ledergeruch in einem Porsche? Um welches Gefühl geht es hier, das den feinen Unterschied macht?
„Den Unterschied machen in erster Linie die Drogen“, findet Lucy Ironmonger von Allatts Agentur. Und die damit verbundenen Zeitfenster. „In UK kommen die Leute um zwölf auf eine Party, die um vier wieder vorbei ist. In Deutschland habt ihr euch da gerade erst warm gemacht! Wenn die Clubs länger offen hätten“, meint Lucy, „dann würde das unsere Clubkultur massiv verändern. Warum wir überhaupt feiern, wie wir mit der Musik umgehen und welche Drogen wir nehmen, all das.“ Das „Berlingefühl“ komme später, mit der Routine. „Bei uns gehen die Leute zum Komasaufen und Aufreißen vor die Tür“, erklärt Lucy. „Ihr seid es dagegen gewohnt, euch zehn Stunden lang von der Musik tragen zu lassen und nur für sie da zu sein.“
Eine zauberhafte Vermutung. Charmant, aber Quark. Natürlich wollen auch die Deutschen flachgelegt werden. Wir tun das nur bevorzugt in Kuschelklamotten statt im Flittchen-Modus, denn später brauchen wir unsere Hoodys und Sonnenbrillen noch als Versteck, wenn wir es am Nachmittag durch die Menschenmassen ins Bett schaffen müssen. Allein oder zu zweit. Wir machen das unterschwelliger. Wir lassen uns Zeit. Und weil wir ein paar Stunden länger am Tresen Drinks verschütten als im internationalen Vergleich, entwickelt sich die Clubkultur entsprechend. Die Drogen stützen die Ausdauer, das Angebot folgt der Nachfrage. Ob druff oder nüchtern—wir fügen uns der druffen Zeitverschiebung. Peaktime um fünf, kein Feierabend in Aussicht.
„Die Szene in UK braucht dringend eine Veränderung“, sagt Steffi Allatt. „Die bringen wir mit der Inspiration aus Deutschland hierher. Dieses Gefühl, das eure Clubkultur so besonders macht, wollen wir auch hier erleben.“ Unsere Clubkultur, die auf typisch deutschen Klischees basiert. Die Deutschen gelten als zuverlässige Partyhasen. Die ausbleibende Sperrstunde ist ein Versprechen: Wir trinken mit euch, wir tanzen mit euch, wir quatschen euch in Grund und Boden, während deine Landsleute längst komatös in ihrer Kotze liegen. Es ist die deutsche Zuverlässigkeit, die Steffi Allatt und Lucy Ironmonger auf ihrem Markt etablieren wollen. Und somit bleibt es bei den alten Exportschlagern. Ehrgeiz, Fleiß, Wertarbeit.
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