Außer kalten Augen sieht man nichts, nur Bandanas. Einer der Männer trägt eine Flex, ein anderer einen Hammer. Ihre Blicke machen klar: Spaß findet ihr anderswo. „Ob Media Markt, Saturn, Juweliere oder Tankstellen, zwei Minuten anstrengen, wir gehen durch die Wand, denn wir kommen mit der Flexscheibe, durchs Beton ins Geschäft steigen.“ Schnitt.
Eine Seitenstraße irgendwo in Alt-Tempelhof, an irgendeinem Abend im Spätsommer 2015. Als wir um die Ecke biegen, stehen fünf, sechs Typen vor der Haustür. Das müssen die Typen sein mit denen wir, Fotograf und Reporter, verabredet sind. „Hallo wir sind die von Noisey! Seid ihr AK?“ Ja, sind sie. AK, das steht erstens für Ausserkontrolle und zweitens für das einzige medial noch nicht durchgenudelte Phänomen der Rap-Hauptstadt.
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Wer die Rapper und wer die Begleiter sind, weiß ich zunächst nicht. Logisch, bedenkt man, dass die eingangs durchgespielte Szene nicht von den findigen Köpfen einer Werbeagentur im Auftrag von Hornbach erdacht wurde, sondern selbstverständlich aus dem Musikvideo „Flexscheibe“ von Ausserkontrolle stammt. Da ich DramaKing und Undercova nicht an ihren Augenpartien erkenne, muss ich einen unangenehmen Moment über mich ergehen lassen, weil ich keine Ahnung habe, vor wem ich hier eigentlich stehe. Mal abgesehen davon, dass die Typen hier angeblich ein paar der angeblich schwerkriminellen Protagonisten der RBB-Doku Hauptstadt der Diebe sind.
Sogenannte „Blitzeinbrüche“ sind das Thema des 45-minütigen Films, in dem eine Bande aus Berlin-Wedding portraitiert wird, die angeblich innerhalb kürzester Zeit mehrere hundert Einbrüche begangen hat. Die Doku spricht von einer „Gullideckelbande“ und stellt die Weddinger als skrupellose böse Männer dar, die rücksichtslos ihren Nachbarn terrorisieren und im Zweifelsfall auch nicht davor zurückschrecken, einen älteren, deutschen Herren als Nazi zu beschimpfen. Dazwischen tauchen immer wieder Fluchtszenen auf: ihre ein- bis zweiminütigen Einbrüche beschließen die Blitzeinbrecher in der Regel mit einem zünftigen Druck aufs Gaspedal. In „Hauptstadt der Diebe“ wird das mittels Szenen aus GTA dargestellt. Der suggerierte Subtext? Für die ist das nur ein Videospiel. Obwohl der Film dann und wann versucht, auch die soziale Realität der Täter zu erklären, kommt der Film den Menschen hinter den Taten nicht wirklich näher.
Als DramaKing stellt sich mir ein großer, sportlicher Typ mit schmalen, kantigem Gesicht vor. Seine Stimme transportiert, obwohl er freundlich auftritt, vor allem: Härte. Undercova hingegen klingt vorsichtig und zurückhaltend. Er lässt mich deutlicher spüren, dass wir hier zunächst mal als Fremdkörper ankommen, als Vertreter einer Welt, mit der die Jungs von AK bisher wenig Erfahrung gemacht haben. Trotzdem müssen wir jetzt gemeinsam was aus der Situation machen, etwas Lesenswertes produzieren.
Das Studio, in dem Undercova und DramaKing gerade aufnehmen, befindet sich im Erdgeschoss des Vorderhauses. Es gehört einem Typen, der in der Öffentlichkeit ebenfalls nur maskiert auftritt. Blokkmonsta heißt er. In großen Teilen der Deutschrap-Szene kennt man ihn dafür, dass er stets eine Sturmhaube trägt, Waffen mag und mal Staiger mit einem Punch K.O. geschlagen hat, weil ihm eine Rap.de-Review nicht gefiel. Heute Abend ist der passionierte Kampfsportler aber ein angenehmer Zeitgenosse und bietet mir an, sich an seinem Studio-Kühlschrank zu bedienen—Cherry Coke.
Blokkmonstas „Studio“ ist eigentlich eine kleine Altbauwohnung mit professionell eingebauter Studiokabine. Der Selfmade-Geschäftsmann hat hier außerdem sein Merch-Lager und lässt neben AK aktuell auch dem Newcomer Abu Abiat aufnehmen.
Undercova und DramaKing setzen sich an den Schreibtisch, von dem aus die Aufnahmen gesteuert werden. Ich nehme gegenüber Platz, auf einer abgerockten Couch. Hinter mir sind die Rollläden runtergelassen („Muss ja keiner sehen, was wir hier machen“), an der Wand hängen sämtliche Plattencover von Ice-T. Die veräucherte Luft atmet HipHop, jetzt können wir reden.
Wir beginnen ganz am Anfang. Damit, wie die beiden als Jungs aus dem Wedding noch vor dem Teenageralter in den kriminellen Abwärtsstrudel gerieten. Undercova bleibt zum Gesprächsbeginn weiter zurückhaltend, berichtet aber, dass er nicht ganz so früh anfing mit Klauen. Dafür hörte er schon in jungem Alter viel Musik; vor allem von Michael Jackson, Tupac und Biggie. DramaKing hingegen fing schon mit elf an, „die ersten Kleinigkeiten“ zu starten. „Damals kam gerade der Sega MegaDrive raus und ich bin in den Karstadt rein, habe mir einfach links und rechts einen gegriffen und bin damit aus dem Laden spaziert. Natürlich haben sie mich gekriegt, aber ich bekam keine Anzeige, dafür war ich zu jung. Das ging so lange gut bis ich vierzehn war, dann kam ich das erste Mal in U-Haft.“
Im Gespräch übernimmt DramaKing die Rolle des Anführers, was damit zu tun haben dürfte, dass er den Namen schon weiter länger repräsentiert als sein Kollege, der knapp vor einem Jahr dazu kam. Mittlerweile seit über acht Jahren ist er bei Ausserkontrolle, eine Crew, die tatsächlich schon seit einer guten Dekade existiert. Der Gründer Fux (auf den Berliner Straßen eine kleine Legende) taucht mittlerweile nur noch sporadisch als Rapper auf und bewegt sich mittlerweile ansonsten mit Vorliebe im Hintergrund.
Obwohl anfangs unter anderem Alpa Gun Mitglied von AK war, kam die Crew nie so recht vom Fleck weg—mutmaßlich, weil die Mitglieder zu der Zeit, zu der Sido, Bushido und Co, ihre ersten großen Erfolge feierten, zu sehr in anderweitige Geschäfte involviert waren. Heute ist das anders.
Dieser Tage laufen auf Aggro.TV fünf Videos von AK, alle mit hunderttausenden Klicks, obwohl bisher weder die Rap-Medien groß berichten, noch die Facebook-Likes von Ausserkontrolle grandios in die Höhe geschnellt sind. Von daher liegt die Vermutung nahe, dass sich die Hörerschaft von AK, genauso wie die Interpreten, tatsächlich mehr auf der Straße als im Netz bewegt. Weil sie ihr Straßen-Image nicht ironisch brechen und inhaltlich knallhart auf harte Schwerverbrecher-Storys setzen, würden aktuell die wenigsten AK zutrauen, den Crossover in irgendeine Art von Mainstream durchzumachen. Andererseits: „Die Einbrecherschiene hat bisher halt noch gar keiner bedient, das ist ‘ne Marktlücke, Dicker!“, sagt Undercova und lacht zum ersten Mal. Und tatsächlich hat mittlerweile längst die Musikindustrie im Hause AK angeklopft und möchte von diesem authentischen Straßen-Hype profitieren.
Trotz einer gesunden Grundskepsis sind AK, die bisher alles selbst gemacht haben, aber mittlerweile an ihre Grenzen gestoßen („Man hat ja auch noch andere Dinge zu tun und die wenige Freizeit will man natürlich mit seiner Familie verbringen. Die kotzen ja eh ab, wenn du den ganzen Tag am Musikmachen bist.“) und den Verlockungen der Industrie gegenüber nicht abgeneigt. Ihre Ambitionen sind groß. DramaKing dazu: „Der Berliner Bär hat nicht umsonst eine Krone auf dem Kopf. Die gehört hierher und jetzt ist sie auf dem Weg zu uns. Gerade liegen überall im Land so Zacken verstreut, aber jetzt ist es so langsam Zeit, dass die zu ihren Wurzeln zurückkehrt.“
Undenkbar ist es nicht, dass AK nicht mehr lange exklusiv der Straße vorbehalten bleiben. Natürlich ist die Geschichte von den Weddinger Kleinkriminellen, die irgendwann mit der berüchtigsten Einbrecherbande des Landes assoziert waren und nun von einem schwer erfolgreichen Juwelenraub im KaDeWe und einem Einbruch in den Berliner Apple Store rappen, eine, die früher oder später jedes Medium wird erzählen wollen. Sie werden erzählen von dubiosen, hoch motorisierten Mietwagen, Marke Bayrische Motorenwerke oder Mercedes Benz, und von Typen, die ein paar Nasen ziehen, dann den Laden stürmen, rein, raus, und mit 250 Sachen hinaus in die Nacht. Genau die Art von Story, die uns irgendwie schockiert und irgendwie fasziniert, während sie für die Täter, die mittlerweile größtenteils Haftstrafen abgesessen haben, einfach als Geschichtsschreibung durchgeht.
Bis es soweit kommen kann, fehlt AK aber noch ein Baustein: eine handfeste Veröffentlichung, auf der man den offensichtlich gar nicht so üblen Kerlen ein Stück näher kommt. Ende des Jahres soll es soweit sein: Die Panzerknacker EP soll als erstes Lebenszeichen bisher auf Youtube erschienene Songs versammeln, bevor dann im Frühjahr 2016 Deutschrap übernommen wird—soweit der Plan.
Für ihr Debütalbum wird es laut DramaKing auch mit der thematischen Einseitigkeit ihrer Musik vorbei sein: „Klar, wir beherrschen nicht nur diese eine Sache. Natürlich ist uns Realness wichtig und natürlich bringt uns die kriminelle Schiene Skandale und Aufmerksamkeit. Aber wir haben trotzdem keine Angst davor, darauf reduziert zu werden, weil wir dem eben mit krassen Songs entgegenwirken.“
Zum Beweis zeigt er mir einen neuen Song, für den er gerade erst Strophe und Hook geschrieben hat. Aufgenommen, geschweige denn aufgeschrieben, ist er noch nicht, aber das macht nichts. DramaKing beschreibt sich selbst ohnehin als jemanden, der seine Texte nicht aufschreibt, sondern direkt aus dem Kopf einrappt. Gangstermentalität hin oder her, diese beiden sind Vollblutmusiker, keine Möchtegern-Rapper, die das hier ausschließlich für die Patte machen. Man spürt die Dringlichkeit, die diese Rap-Sache für ihn besitzt, als DramaKing einen abgehangenen Westcoast-Beat anmacht, die Hook à la Straßenköterblues einsingt und seine Strophe rappt: „Wilkommen in meinem Block, in meinem Block, Teufelsküche, tags gibts Gerüchte, nachts fallen die Schüsse. Sag mir: Wie viele machen einen auf hart? Sag mir: Wie viele beißen dann ins Gras?“ So klingt der Stoff, aus dem Gangstarap-Träume sind.