Um sich das Produkt der Monterey Abalone Company anzusehen, muss man in ihrem winzigen Büro am Ende der Municipal Wharf No. 2 in der Monterey Bay eine Treppe, die an einer Falltüre angebracht ist, hinunterklettern. Und man muss genau aufpassen, wo man hintritt: Direkt darüber befindet sich ein Dock und es gibt mehrere Spalten auf dem Steg, die direkt ins salzige, kalte Wasser darunter führen. Dort unten—zwischen den monströsen Rankenfußkrebsen, den bunten Seesternen, den krächzenden Seemöwen, den verspielten Ottern und den faulen Seehunden—züchtet einer der wenigen Seeohrenproduzenten seine kostbaren Weichtiere.
„Seeohren sind ein wahnsinnig leckeres Produkt”, sagt Art Seavey, der Miteigentümer des Unternehmens. „Hier in Kalifornien haben sie Kultstatus.”
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Die Monterey Abalone Company wurde 1992 gegründet. Seavey und sein Geschäftspartner Trevor Fay ziehen in ihrer Farm unterm Kai um die 300.000 Roten Seeohren, die größte und begehrteste Spezies, heran. Sie züchten diese leckeren Meeresschnecken ausschließlich mit Hilfe der natürlichen Ressourcen der Bucht und versuchen, sich so wenig wie möglich einzumischen. Die „Roten”, wie Fay und Seavey sie nennen, sind die am weitesten verbreitete Spezies an der Westküste und die einzige, die man legal fangen darf.
Es sind ziemlich eigenartige Kreaturen, die für ihr süßliches, zartes Fleisch geschätzt werden. Sie treten entlang der felsigen Küstenabschnitte auf, an denen es viel Seetang gibt, was die Hauptnahrungsquelle der Weichtiere darstellt. Obwohl sie auf die Größe eines Esstellers heranwachsen können, sind die meisten, die verkauft werden, ungefähr faustgroß. Sie wachsen extrem langsam und ihr Durchmesser vergrößert sich jedes Jahr nur um etwa einen Zentimeter. Somit dauert es vier Jahre, bis sie auf eine normale Marktgröße gewachsen sind.
Seeohren haben eine raue, gewölbte Schale und an der Außenseite befinden sich Atemöffnungen, die irgendwie an Aliens erinnern. Die Innenseite ist aus glattem Perlmutt. Für die amerikanischen Ureinwohner in Zentralkalifornien dienten sie deshalb nicht nur als Nahrungsquelle, sie stellten auch Haken und Schmuck aus ihrer Schale her.
Auf den Seiten der Schalen treten kleine schwarze Tentakel um den Fuß des Tieres hervor—das Körperglied, mit dem sie sich an etwas festsaugen können. Ihre Saugkraft sollte nicht unterschätzt werden: Apnoetaucher sind Berichten zufolge in der Vergangenheit ertrunken, weil sie versucht haben, ein stures Seeohr mit den Händen von einem Felsen zu reißen und sich dabei die Finger einklemmten.
Glücklicherweise müssen sich die Arbeiter von Monterey Abalone Co. darum keine Gedanken machen—was nicht heißen soll, dass sie sich keinen anderen Herausforderungen stellen müssen.
Sich um hunderttausende Seeohren zu kümmern, ist ein sehr arbeitsintensiver Job, erklärt Andrew Kim, ein Aquakulturbetreiber, der seit zwei Jahren auf der Farm arbeitet.
Zwei bis drei Mal pro Woche müssen die Arbeiter hinaus in die Monterey Bay fahren, um Seetang für die Seeohren einzusammeln—insgesamt fast drei Tonnen pro Woche. Die Arbeiter verwenden dafür ein mechanisches Rollensystem, um das schleimige Zeug vom Schiff auf die Farm zu befördern.
Die Seeohren werden in kastenförmigen Käfigen gehalten, in denen sie wie in einem Aktensystem angeordnet sind. Der Seetang wird in die Spalte zwischen den einzelnen Reihen geschoben und dort eine Woche gelassen, damit sich die hungrigen Meeresschnecken davon ernähren können. Immer wieder müssen die Arbeiter die Käfige mit einem Schlauch abspritzen, um invasive Meerestiere zu verscheuchen, sagt Kim.
Manchmal muss sich Kim eine Tauchflasche umschnallen und abtauchen, um hinuntergefallene Werkzeuge aufzusammeln oder um Proben für das Nebenprojekt des Unternehmens, bei dem sie heimische Meerestiere an Aquarien und Bildungsinstitutionen verkaufen, zu sammeln. In einem kleinen Tank in einer Ecke sind Kims jüngste Fundstücke zu sehen: eine Seegurke, ein paar gelangweilte Fische, ein paar Seesterne und ein Seeigel.
Die Farm ist ein beeindruckend grünes Unternehmen, das den Einsatz von Chemikalien, Antibiotika oder künstlichem Futter meidet. Die Seeohren werden ausschließlich mit heimischem Seetang gefüttert und der Gezeitenstrom spült jegliche Abfallprodukte der Schnecken weg. Chinas ozeanische Farmen, wo die meisten Seeohren gezüchtet werden, sind riesengroß und zerstören Meereslebensraum, indem Raubfische beseitigt werden. Monterey Bay Aquariums „Seafood Watch” listet die chinesischen Seeohren als ein Produkt, von dem man die Finger lassen sollte.
Seavey und Fay achten besonders darauf, dass ihre Arbeit, besonders die Seetang-Ernte, keinen Schaden verursacht. „Uns ist bewusst, dass die Tangwälder nicht nur für die Seeohren da sind, sondern dass sie auch für viele andere Lebewesen als Nahrung oder Lebensraum dienen”, sagt Seavey. „Wir wollen nicht, dass sich unsere Arbeit negativ auf andere Lebenwesen, die vom Seetang abhängig sind, auswirken.”
Seavey möchte keine Wellen schlagen. In den 90ern hatte er Schwierigkeiten, den Einheimischen klar zu machen, dass ihre Seetang-Ernte keine negativen Auswirkungen auf die Vegetation in der Bucht hat. Die Proteste der Einheimischen verstummten erst, als 2010 eine Studie veröffentlicht wurde, die bestätigte, dass er nur ein Zehntelprozent des Tangwaldes verwendet, um seine Schnecken zu füttern.
Seavey bemängelt aber nicht, dass sich die Leuten Sorgen machen. Die Kriechtiere an der Küste von Monterey Bay hatten aufgrund von menschlichen Eingriffen eine turbulente Geschichte. Im 19. Jahrhundert dezimierten russische Pelzhändler den Seeotterbestand, die die größte Bedrohung für die Schnecken darstellten. Folglich explodierte die Zahl der Seeohren, die wiederum den ganzen Seetang auffraßen. Als amerikanische Siedler nach Kalifornien kamen, wimmelte es nur so vor den Weichtieren—und sie wussten schlichtweg nicht, was sie damit anfangen sollten.
Die chinesischen und japanischen Immigranten jedoch schon. Sie begannen, die Seeohren einzusammeln, zu trocknen und sie nach Asien zu schiffen, wo die Schnecken für ihre scheinbar medizinischen und aphrodisierenden Eigenschaften gepriesen werden.
Erst in den 1920ern erfand ein Koch namens Ernest Doelter das Seeohren-Steak—weich geklopfte Seeohren in Butter angebraten—und so wurden die Meeresschnecken auch unter den Euro-Amerikanern beliebt. „Für eine Seeohren-Mahlzeit verlangte er fünf Cent”, erzählt Seavey. Heute ist er als „Abalone King” unsterblich geworden.
In den 30ern und 40ern entwickelte sich eine kommerzielle Fischereibranche um die Weichtiere. Mit Brecheisen und Schutzhelm ausgestattet, sammelten Taucher stundenlang Seeohren in der Monterey Bay und schließlich entlang der gesamten kalifornischen Küste. Überfischung, die Rückkehr der Seeottern, und eine Krankheit, die sich „Withering abalone sydrome” nennt, trugen während der 1970er-Jahre bis heute zum Untergang der Seeohren bei.
Dann setzte der Bundesstaat alles daran, die Schnecken zu retten und 1997 wurde das kommerzielle Fischen von Seeohren in Kalifornien verboten. Heute darf man sie nur zu nicht-kommerziellen Zwecken sammeln und nur ohne Tauchausrüstung in Gewässern nördlich von San Francisco. Aufgrund dieser Vorschriften hat sich eine Art Schutzgebiet in den Tiefen der Gewässer gebildet, wo Apnoetaucher nicht hingelangen. Gezüchtete Seeohren zu kaufen, ist also die einzige Möglichkeit für amerikanische Konsumenten, die kalifornischen Weichtiere legal zu beziehen.
In ganz Amerika gibt es nur eine Handvoll Seeohr-Farmen, von denen sich die meisten an Land befinden. Keine davon—außer die Monterey-Farm—befinden sich unter einem Kai, sagt Seavey. Aufgrund der geringen Anzahl an Farmen und der unglaublich Arbeit, die man in die Zucht stecken muss, sind Seeohren teuer. Monterey Abalone Co. verkauft sein Produkt für bis zu 23 Dollar [ca. 21,50 Euro] pro Pfund.
Der Geschmack der Amerikaner hat sich verändert und das wird auch in der steigenden Konsumentennachfrage nach den süßlichen Meerestieren deutlich. „Wir können gar nicht genug Seeohren produzieren”, sagt Seavey.
Es gibt hunderte verschiedene Arten von Seeohren, und mindestens genauso viele Arten, wie man sie zubereiten kann. „Nach dem traditionellen kalifornischen Rezept werden sie aus der Schale gelöst, paniert, in Butter gebacken und mit Zitronensaft beträufelt. So koche ich sie”, erzählt Seavey. „Es ist ein ziemlich sättigendes Gericht, weil das Fleisch großteils aus Eiweiß besteht. Seeohren speichern ihre Energie als Glykogen ab, nicht als Fett. Es ist also ein dichter Muskel, der leicht süßlich und salzig ist. Sie schmecken gut”, sagt er.
Im Old Fisherman’s Grotto, einem Restaurant mit Kultstatus in der Nähe der Municipal Wharf No. 2, bereitet der Küchenchef Juan Ponce ein Gericht mit den Seeohren von Seavey für mich zu. Zwei handflächengroße Seeohren werden aus der Schale gelöst und mit einem Hammer unter Plastikfolie weich geklopft. Ponce wendet sie in Mehl, bevor er sie in eine Pfanne mit glühend heißer geklärter Butter legt und weniger ale eine Minute brutzeln lässt.
Für über 40 Dollar [ca. 37 Euro] serviert er sie in der Schale mit Spinat, Zitronen-Kapernsauce und einem cremigen Spinatrisotto sowie sautiertem Gemüse und frittierten Nudeln als Beilage. Das Fleisch is zart, nicht zu zäh und es schmeckt mehr nach Hähnchen, als nach einem Schalentier. Für eine gruselige Alien-Schnecke verdammt gut.