FYI.

This story is over 5 years old.

one night in rio

Paul Ripke—der Sepp Maier unserer Generation

Viele rieben sich verwundert die Augen, als sie vor einem Jahr Paul Ripke kurz nach dem WM-Finale wild um sich fotografieren sahen. Heute stehen seine 27 Bilder in der Ausstellung "One Night in Rio" und wir haben ihn zum Gespräch getroffen.
Foto: Alle Fotos Paul Ripke

Paul Ripke sagt von sich selbst, dass er nicht viel Talent hat. Das können wahrscheinlich Fotografen besser beurteilen, doch für einen talentfreies Großmaul hat er es verdammt weit gebracht. Viele werden Paul Ripke als besten Freund und visuellen Mastermind von Marteria kennen, dementsprechend haben wir uns vor einem Jahr verwundert die Augen gerieben, als wir Ripke plötzlich im Maracana auf dem Rasen des WM-Finales sahen, wie er wie wild um sich knipste.

Anzeige

Wie war es dazu gekommen? Der Legende nach soll eine flehende Mail im Postfach von Oliver Bierhoff gelandet sein und der ließ kurzerhand Ripke zum Finale nach Rio fliegen. Der Rest ist Geschichte, dokumentiert in dem Buch und der Ausstellung One Night in Rio. Die 27 entstandenen Bilder sind deshalb so besonders, weil in diesem durchorchestrierten Fußball-Geschäft auf der größten Bühne ganz persönliche und nahe Einblicke gewähren. Dafür muss man auch riskieren, medial durch den Fleischwolf gedreht zu werden.

VICE Sports: Viele haben es dir übel genommen, dass du im Finale zu oft im Bild bei den Feierlichkeiten standest.
Paul Ripke: Gerade jetzt zum Jahrestag des Finales hat es sich nochmal massiv gehäuft. Mich beschäftigt das schon, weil es das letzte ist, was ich wollen würde, Leute bei deren Arbeit zu stören. Ich habe das ja nicht gemacht, um mich ins Bild zu stellen. Sonst hätte ich dabei ein wenig cooler ausgesehen, statt blöd durch die Gegend zu trotten. Ich habe bis heute nicht gesehen, wie viel ich im Bild war. Natürlich ist es in dem Moment ignorant. Aber: Wenn man da nicht hingeht und ein Foto macht, dann ist man auch kein Fotograf, sorry. Wenn Angela Merkel in der Kabine steht und man deswegen nicht fotografiert, weil 47 andere nicht reingekommen sind, dann ist das einfach Quatsch.

Wie ist es dazu gekommen, dass der DFB dich mitgenommen hat?
Ich habe Porträts gemacht und war beim Trainingslager dabei als Testlauf. Leider hat es mit Brasilien nicht geklappt. Dann habe ich diese Mail geschrieben. Die war anders als die Mails, die der DFB normalerweise kriegt. Dann haben sie sich für mich entschieden. Da war einfach sau viel Ablaufglück dabei. Die 7:1-Euphorie im Halbfinale, das Bewusstsein, dass wir einen Titel gewinnen können.

Anzeige

Das wurde vom DFB also auch spontan entschieden, dich einzufliegen.
Voll. Die haben freitags gesagt, dass sie jemanden dazu holen wollen. Es war auch nicht geplant, dass das alles so ausgeht. Hätte auch sein können, dass ich auf der Party hinterher nur drei, vier Fotos mache.

Wie entscheidend war es denn, dass du einen guten Draht zu den Spielern hattest?
Der Verband hat das im Trainingslager gesehen. Da sind aber auch wieder ganz viele Dinge zusammengekommen. Marteria war auch ein wichtiger Faktor dabei. Marten war ja auf FIFA 12 mit Verstrahlt" drauf und Lila Wolken" kennen die auch alle. Dass ich sein bester Kumpel bin, haben die Spieler dann auch recht schnell mitgekriegt. Die haben ja viel Zeit und konsumieren viel auf Instagram. Für die war ich nicht einer der anderen 47 Fotografen, sondern der Kumpel von Marteria, der was mit HipHop macht und mit den Toten Hosen. Deswegen hatte ich bei denen eine andere Abspeicherung, was unglaublich geholfen hat.

Was hat Marteria gesagt, als du dich vom Festival aufgemacht hast und in den Flieger gestiegen bist?
Ehrlicherweise war es ja so: Ich fliege hin und gucke mir das Spiel an und mach vielleicht noch später ein paar Fotos. Dass ich aus den Fotos eine Ausstellung machen würde, hatte ich ja überhaupt nicht im Kopf. In der Nacht haben wir noch kurz telefoniert aus der Kabine. Sein erster Satz war: "Ab jetzt kriege ich Prozente von dir". (lacht) Ich kriege ja ein paar Prozente von seinem Einkommen.

Anzeige

Als dann der Abpfiff kam, bist du dann einfach los?
Es gab ja keinen geplanten Ablauf oder so. Niemand hat mir gesagt: du kannst jetzt auf's Feld. Ich habe es einfach gemacht. Mir ist dann im ersten Moment auch gleich die Kamera abgestürzt.

Gab es ein Motiv, dass du gerne fotografiert hättest, das aber nicht geklappt hat?
Ja, Poldi mit seinem Sohn zusammen, als er den Elfmeter geschossen hat. Da war die Kanzlerin schon in der Kabine, deswegen habe ich mich für den Moment entschieden. Um mich herum ist ja so viel passiert, dass ich die ganze Zeit Entscheidungen fällen musste, welches Motiv ich nehme. Und du musst die Kamera durchspeichern, du kannst nicht damit 10.000 Bilder in fünf Minuten machen.

Warum hast du eine Leica benutzt und keine volldigitale Kamera?
Die ist digital, sie sieht nur alt aus. Mit der Kamera mache ich seit vier Jahren alles, auch die ganzen Marteria-Sachen. Die Leica hat schon einen besonderen Charme, man ist damit der 24. Kumpel, der alles festhält. Ich kenne die Mannschaft, das sind höfliche, gebildete, echt sympathische Jungs, mit denen man top auskommt. Fakt ist, dass das mediale Bild da draußen das nicht einfängt. Ich habe versucht, das Echte festzuhalten. Deswegen wird so ein kleine Kamera nicht als Bedrohung gesehen, weil du damit eben nicht der Pressetyp mit Aufsteckblitz bist. Es ist gewissermaßen Tarnung. Ich wette, in den ersten drei Minuten wusste niemand, was dieser bärtige Typ da macht. Ich hätte auch der dicke Physio sein können und den muss erst mal jemand rausschmeißen.

Anzeige

Du bist also der Sepp Meier anno 2014.
(grinst) Joa, so ein bisschen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, aber irgendwie ist es so.

Du hast aber auch gesagt, dass du nicht nochmal Fußball fotografieren willst.
Deutschen Fußball auf jeden Fall nicht. Ich merke, dass ich satt bin. Ich bin jemand, der nicht besonders talentiert ist, sondern vom Hunger lebt.

Warum bist du satt? Fußball ist ja nicht nur WM-Finale.
Es wird nicht besser als das. Der so lang ersehnte Titel, auch bei mir selbst, mit so einer sympathischen Mannschaft, die ich auch beim zusammenkommen erlebt habe. Damit wird es sich immer vergleichen. Ich werde auf keinen Fall nochmal eine EM oder WM mitmachen. Frag mich mal, wenn sie mich nochmal fragen. Ich bin mir aber sich, dass die keinen Bock auf mich haben. Sami Khedira hat letztens ganz deutlich zu mir gesagt, dass ich da rausgeflogen wäre, wenn ich die ganze Brasiliennummer mitgemacht hätte. Meine Art zu arbeiten ist halt nicht die Dezenteste. Mein größtes Glück war, dass ich nur zum Finale durfte.

Du hast eben gesagt, dass das mediale Bild der Fußballer nicht dem entspricht, wie du sie erlebt hast.
Voll.

Vielleicht, weil die Jungs Angst haben, ihre Meinung zu sagen. Es wird ihnen ja gerne als Schwäche ausgelegt. Hätte Peer Mertesacker im "Eistonnen-Interview" nicht den Nerv der Zuschauer getroffen, wäre er von der Öffentlichkeit komplett zerrissen worden.
Stell dir vor, Götze hätte das gesagt. Was dann los wäre. Da hängt Timing, Standing und Ort der Karriere entscheidend mit. Götze ist für mich das beste Beispiel. Er ist ein so sympathischer, junger Mann und unfassbar verlässlich. Wenn ich ihn was frage, meldet er sich immer sofort, obwohl er es nicht nötig hätte, mit mir auch nur ein Wort zu reden. Und so jemand steht da als Judas und millionärsgeiler Vollspast. Das entspricht einfach nicht der Wahrheit. Da bin ich nach wie vor sauer auf Deutschland, was mit Mario Götze gemacht wird.