Es gibt Angebote, die schlägt man nicht aus: 7.500 Euro Sofortpension zum Beispiel, eine neue Leber oder ihr Gegenteil: Ein Wochenende Saufen in Prag inklusive Kalaschnikow-Schießen, Stripperinnen und XXL-Limousinen—alles gratis. Das Angebot kam vom Reiseveranstalter PissUp Reisen. Ihr Slogan: “BEERS, BABES & BULLETS: Junggesellenabschied deluxe seit 2001”. Klingt wie ein Heilsversprechen für alle, die auch mal Hangover-Nächte mit fehlenden Eckzähnen und Tigern auf Hotel-Toiletten erleben wollen. Ich habe dann mal zugesagt. Prag soll angeblich ganz schön sein. Ich war noch nie dort und im Grunde kann ich das Gleiche auch nach diesem Trip weiterhin behaupten.
Freitagabend Anfahrt, Sonntagmittag wieder Abfahrt, neben dem Saufen, den Waffen und Limousinen stand auch noch Rafting, Steak-Essen, Strip-Show und Deutschland gegen Italien auf dem Programm—würde wohl straff werden der Samstag. Druckbetankung schien wahrscheinlich, aber entspannt Kultururlaub kann ich ja immer noch machen, wenn ich mit 50 einen künstlichen Darmausgang habe.
Videos by VICE
Es gab eine direkte Zugverbindung. Sehr schön. Ab einer gewissen Zeit war das Abteil mit einer Heiterkeit aufgeladen, die von leicht bis mittelschwer alkoholisierten Männern ausging—alles Sachsen, alle auf Junggesellenabschiedstour, wie ihre Sprüche-T-Shirts verrieten: “Letzter Tag in Freiheit” oder “Bräutigam-Security”. Der Teufel ist ein Eichhörnchen und Prag so etwas wie das inoffizielle Mekka für den gleichgeschlechtlichen Abgesang—allein an diesem Wochenende hatte der Reiseveranstalter 30 Junggesellentruppen in die tschechische Hauptstadt entsandt, einem davon sollte ich mich anschließen.
Während bei mir die Spannung auf den bevorstehenden Exzess stieg, stieg bei den übrigen nicht besoffenen Fahrgästen die Anspannung, weil die Sachsen kurz hinter der tschechischen Grenze schon strurzbetrunken waren. Bei den zugestiegenen Tschechen kamen auch noch Sprachbarrieren hinzu—auf die Fußball-Schlachtrufe “Ladi-ladi-ladi-ladi-oooh, B-V-B, Huuuurensöööh-ööö-ne” konnten sie sich keinen Reim machen.
Kurz vor der Zielhaltestelle “Prager Hauptbahnhof” fingen die Jungs an, ihre Gummipuppen aufzublasen; die Völkerverunständigung war damit perfekt. Beim Aussteigen aus den Waggons konnten die weiblichen Passagiere nicht schnell genug vor der Bräutigam-Security fliehen.
Während die grölenden Sachsen bis zum Zielbahnhof den Eindruck erweckten, dass sie sich noch in ihrer Heimat befinden, sorgte der Anblick des ersten Prager Pärchens für endgültige Gewissheit, mit beiden Beinen authentischen Ostblock-Boden betreten zu haben. Sie sehr adrett, aber ihr Partner war frontal betrachtet die Unscheinbarkeit in Person. Sein brav in die Hose gestecktes Hemd und die schnittige Kurzhaarfrisur ließen von vorn nichts Böses erahnen, doch in der Heckansicht offenbarte er Folgendes:
So was kann der Ostblock besonders gut, ich kenne das, ich komme aus Polen. Die Tschechen waren mir auf Anhieb sympathisch.
Nur leider verlor ich vor lauter Sommergefühlen den Blick für die Zeit. Es war 17:53 Uhr, in sieben Minuten würde der erste Programmpunkt beginnen, Steak essen, scheiße, ich würde zu spät kommen. Ich fiel bei den Jungs stets um vier bis fünf Sprossen von der Sympathieleiter, jedes Mal wenn ich nicht zum vereinbartem Zeitpunkt unten vor dem Eingang unseres Hotels “Olga” erschien. Völlig zu Recht. Ansonsten nahm mich die Truppe herzlich auf.
Acht Mann, eine bunter Haufen, der sich teilweise schon seit der Kindheit kennt. Christian (der Bräutigam) und Kay (dessen Trauzeuge) ja sowieso, sie waren Brüder, genauso wie Paddy und Martin. Dann waren da noch Gökmen, Dennis, Raffa und Chrissi. Chrissi muss vor seiner Beamtenlaufbahn ein ziemlich guter Fußballer gewesen sein: Kenne nämlich nicht viele, die einen Einsatz in der 2. Bundesliga für sich verbuchen können. Aber das alles erfuhr ich erst später, zunächst wollte ich mich für das Zuspätkommen entschuldigen.
Ich versuchte, alles auf das Handy zu schieben: “Kein Netz, kein Google Maps, vielleicht ist ja bei der Umstellung ins tschechische Netz was schief gelaufen.” Bitter nur, dass Gökmen für einen Telefonanbieter arbeitet. Die Jungs antworteten, bei ihnen funktioniere alles einwandfrei, nur Kay hatte ein leichtes Problem: Seitdem sein Handy auf dem tschechischen Netz unterwegs war, schien es Tourette und eine Sexsucht entwickelt zu haben:
Nach unserem kurzen Fachgespräch über die Tücken bei Netzbetreibern ging es zum Essen, das Steak war super, danach wurden “Boote” bestellt. Flasche Wodka im Eiskübel bestückt mit Red-Bull-Dosen wie Ruder an den Seiten des ganzen Gebildes:
Von den Dingern gingen dann einige auf den Grund unseres Magens, der Beamer knallte das Spiel Wales gegen Belgien an die Wand, an das Ergebnis erinnere ich mich nicht mehr, genauso wenig, wie wir alle es schafften, besoffen aus dem Steakhaus in eine Großraumdisco zu gelangen. Das Erste, dessen meine Augen auf der Tanzfläche gewahr wurden, waren zwei Frauen, die Liegestütze machten und dabei ihre Mischgetränke mit dem Strohhalm konsumierten:
Das nötigte mir Respekt ab. In einem Anflug kindlicher Begeisterung wollte ich genauso hemmungslos wie diese jungen Frauen sein, bestellte mir noch drei oder vier Longdrinks und wachte dann in meinem Hotelzimmer auf. Filmriss. Wie ich am nächsten Morgen meine Augen öffnete, war dies das unmittelbare Bild:
Erste Frage: Warum sehen die Griffe meiner Schublade wie kleine Penisse aus, die zum Hängen zu klein sind? Dann einige Versuche, anhand der Objekte den Tathergang der vergangenen Nacht zu rekonstruieren. Bruchstücke: Erinnere mich, bei Wiederankunft im Hotel die Rezeptzionisten um das W-Lan-Passwort gebeten zu haben, um Pornos streamen zu können. Die Frau sprach wunderbar deutsch und konnte mir helfen. Ich dagegen bin bei der Anmeldung kläglich gescheitert. Die Männer auf den Geldscheinen waren wenig ansprechend, habe ich etwa versucht, mir auf Ingeborg Bachmann einen runterzuholen? Um mich nicht auch noch mit der einen Socke auseinandersetzen zu müssen, beschloss ich, in den Zimmern der Jungs vorbeizuschauen:
Alles klar, die würden auch noch ihre Zeit zum Hochfahren der Systeme brauchen. Frühstücken erschien als die beste aller Optionen.
Wurst, Käse, Butter, wunderbar. Für die Grundelemente der ersehnten Nahrungszufuhr war gesorgt. Nach der Verköstigung schaute ich noch mal bei den Jungs vorbei—mittlerweile entwickelten Dennis und Chrissis Arsch ernsthafte Gefühle füreinander, …
… und doch war keine Zeit zu verlieren, ein straffes Programm lag vor uns. Als erster Tagespunkt stand Kalaschnikow-Schießen auf dem Plan. Unten wartete unser Shuttle-Bus, der uns zu dem 40 Minuten entlegenen Schießstand fahren sollte. Ich kam natürlich zu spät, so auch glücklicherweise unser Tour-Guide Nikita. Die Minuten vergingen, wir alle hatten noch Pegel und erfreuten uns maximal am Echtleder-Duftbaum des Busfahrers.
Nikita tauchte schließlich auf, der Busfahrer hatte derweil genug von unseren besoffenen Gesichtern—wer will es ihm verübeln—, er legte sich seine Bluetooth-Kopfhörer an, trat aufs Gas und uns haute es samt Wunderbaum bei jeder scharfen Kurve fast aus den Fenstern. Der dynamische Fahrstil machte besonders Paddy zu schaffen, was sich schließlich darin äußerte, dass seine erste Amtshandlung beim Austritt aus dem VW-Bus im Kotzen zwischen den Sitzbänken bestand. Danach war er wieder fit wie ein Turnschuh. Alles dufte.
Nikita machte schon mal den Konter-Wodka klar. Damit wir uns aber nicht gegenseitig die Ärsche wegschossen, sollte es das Feuerwasser erst nach den Zielübungen gegeben.
Hingegen zu den sonst eher strengen Regeln bei Schießständen, legen die Tschechen eher eine DIY-Mentalität an den Tag. Die eigentliche Anlage bestand aus zwei Einheiten: Aus der linken “Konstruktion” würden wir mit einer Kalaschnikow und Pumpguns rausschießen, rechts davon kamen eine 9mm-Pistole und ein großkalibriger Colt zum Einsatz.
Analog zum Schießstand erwartete ich als Instruktoren eine Gruppe von Elitesoldaten, die ihre Militärkarriere wegen groben Ungehorsams aufgeben musste und, weil sie besseres Geld damit verdienen, Auftragsmorde an Großindustriellen ausführen und in der Zeit dazwischen an deutsche Junggesellengruppen für die kurze Zeit eines Schusses die Illusion von echter Männlichkeit verkaufen. Typen mit Eiern aus Sichtbeton—doch dann das:
Die Realität ist so viel besser als alle Fiktion. Ich war verliebt, verliebt in den Osten, in seine Selbstverständlichkeit des Unkonventionellen, in die Idee, lieber Munition in einen Hügel Erde reinzuschießen, als dass sie anderswo zum Einsatz käme, …
… und ich war verliebt in die zwei Damen, die mehr Eier besaßen als unser aus allen Poren Alkohol schwitzender Haufen mit seinen zitterigen Händen zusammen. Wie rührend auch die Instruktorin die Kalaschnikow-Magazine mit Patronen füllte—ihre Handgriffe am Munitionstisch ähnelten denen meiner Mutter, wenn sie in der Küche die Weihnachtsgans zubereitete, …
…ich liebte das alles, nur Wodka, den wollte ich nicht mehr . Und doch, es half alles nichts. Nach dem Schießen kam er kalt auf dem Tablett serviert, warme Cola zum Nachtrinken, und wer sich mal fragte, wie globaler Turbo-Kapitalismus in der echten Welt seine Manifestation erfährt:
In einem Dorf in der Prager Peripherie bei einer Kalaschnikow-Orgie wird dir finnischer Wodka mit amerikanischer Cola auf Zitronenfalter-Tabletts serviert. Besser als das konnte es nicht mehr werden.
Ein Highlight bildete der Tacho des nächsten Shuttle-Busses, der uns zum nächsten Tagesprogramm (Rafting) zu bringen versuchte. Hätte ich dem Tacho ein Arbeitszeugnis ausstellen müssen, wäre das Urteil: “Er hat sich bemüht.”
Vor Ort angekommen versuchten wir, unsere schwammigen Körper in schnittige Neoprenanzüge zu zwängen. Als der zehnminütige Kampf mit den Ganzkörperkondomen schließlich gewonnen war, verdiente es dieser Triumph, mit einem Mannschaftsbild verewigt zu werden.
Zwei Stunden Paddeln, ich ahnte für die bevorstehende Nacht und die Hoffnungen auf besoffen gestochene Schläfen-Tattoos nichts Gutes. Erst einmal stand aber eine Stadtrundfahrt bevor in der wohl längsten Limousine der Welt bevor.
Nach zehn Minuten stieg zur Überraschung des Bräutigams eine Stripperin ein. Ein unfassbar reizendes Geschöpf oder wie einer aus unserer Runde es treffend auf den Punkt gebracht hat: “Und die Brüste sind genau, wie ich sie malen würde.” Ich verstehe, warum man am Konzept des Ausdrucktanzes Gefallen findet und doch tue ich mich schwer, jemanden für Geld zu meiner Erbauung tanzen zu lassen. Die Jungs aber waren braver und höflicher als Lämmer, selbst die Stripperin war verwundert angesichts derartiger Passivität. Sie spulte gekonnt ihr Programm ab, setze sich als einen Höhepunkt kurz auf den Schoß von Christian ….
… nur um wieder von ihm abzuziehen, sich zwischen Gökmen und mich zu setzen, ihre Beine zu spreizen und ihr Genital freizulegen. Netter Zug von der Dame. Genau in dem Moment stand an der roten Ampel eine Familienkutsche neben uns, sodass die Tochter auf dem Rücksitz zentral in die offengelegte Weiblichkeit der Stripperin starrte.
Natürlich konnte die Familienbande von außen nicht durch unsere verdunkelten Fenster schauen und doch musste man sich erstmal an das absurde Gefühl gewöhnen, auf zwei Meter Entfernung kleinen Kindern Pussys entzugegenhalten. Die ganze Nummer war dann aber auch schnell wieder vorbei, die Dame bedankte sich, wir bedankten uns, sie steig aus, wie drehten noch einige Runde entlang einiger Prager Sehenswürdigkeiten, stiegen dann ebenfalls aus und machten uns auf zum Essen und zum Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien. Das Duell sollte sich als ein Krimi erweisen, allein der Elfmeter-Schütze Simone Zaza brauchte in der Verlängerung zwei Stunden für seinen Anlauf …,
als wir nach dem Detuschlandsieg auf die Straßen gelangten, war die Nacht bereits da. Zeitweilige entfesselte sich ein ganz herrlicher Alkohol- und Siegesfreuden-bedingter Kontrollverlust, …
… doch recht schnell merkten wir, wie gerädert wir waren. Wieder ging es in eine Disco, aber so wirklich war mit nichts anzufangen. Nikita und ich drehten noch zu zweit ein paar Runden in diversen Läden, doch es war etwas enttäuschend: Jenseits der 4-Uhr-Marke hingen in den vermeintlichen Geheimtipp-Locations nur noch angeschossene Alkoholleichen ab, den Heimweg anzutreten, war nicht die dümmste Idee.
Was vom Wochenende bleibt, ist die Freundschaft der Jungs und die Erkenntnis, dass Junggesellenabschiede ganz OK sein können, wenn der Wahn des Ostens und dessen Liebe sie befeuern.
Wenn er nicht in altkommunistischen Ruinen abhängt, ist Paul auch auf Twitter zu finden—kannst ihm folgen, er wird sich bestimmt freuen.