Popkultur

Hinter den Kulissen von Offset, einem Stockfoto-Archiv für Millenials

Alle Fotos: Bobby Viteri

„Schaut entspannter aus!”, ruft Christina den Models zu, die bereits barfuß auf der Couch liegen und dabei übergroße Kaffeetassen in den Händen halten. Sie richten sich noch mal auf, damit sich ihre Knie nun berühren, während ihre Augen auf einen dunklen Tablet-Bildschirm fixiert sind.

„Ihr seht euch gerade ein Ferienhaus an”, meint der Fotograf Andrew Zach. „Ihr plant euren gemeinsamen Urlaub.” Die ganze Szene erinnert mich jetzt schon daran, wie ich mir einen typischen Sonntagmorgen von berühmten Prominenten vorstelle: Man trägt einen teuren Strickpullover, verbringt die Zeit auf der strahlend weißen Ledercouch und die ganze Einrichtung des Raums scheint förmlich zu schreien, dass das einzige Problem der Besitzer darin besteht, den richtigen Gin für den abendlichen Cocktail auszuwählen. Der Couchtisch—ein dickes Stück Glas auf einer versteinerten Holzbasis—sieht zum Beispiel aus wie etwas, das ich mal in Gwyneth Paltrows Lifestyle-Magazin Goop gesehen habe.

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„Wir wissen, wie schwer es ist, coole und authentische Bilder von homosexuellen Pärchen zu finden. Wir wollen dem Ganzen einen natürlichen Touch verleihen. Es soll sich echt anfühlen”, erzählt mir Keren Sachs, Director of Content Development bei Shutterstock. Für diese Ziele hat das Stockfoto-Unternehmen die Models Harold und Andreas engagiert—ein echtes Paar, das sich bei einer Schwulen-Parade kennengelernt und ein Jahr später geheiratet hat. Der wenige Krimskrams, der auf den eigentlichen Besitzer der Wohnung hinweist (ein Freund des Creative Directors) wurde entfernt. Heute gehört das Zwei-Zimmer-Apartment Harold und Andreas, die ihre Zeit damit verbringen, auf makellosen Möbelstücken herumzuhängen und dabei ein iPad anzulächeln.

Diese Fotos werden für Offset.com produziert, einem zu Shutterstock gehörenden Markt für hochwertige Stockfotos. Bei Shutterstock bekommt man ohne Abonnement zwei Fotos von Eiscreme für gut 29 Dollar. Die Bilder sind dabei einfach und sauber gehalten—symmetrische Kugeln in dreieckigen Waffeln und Eiscreme-Kartons in Pastellfarben. Auf Offset hingegen bekommt man beim Suchbegriff „Eistüte” ein Close-Up-Foto von einer außergewöhnlich geformten Kugel mit heruntertropfendem Honig. In höchster Auflösung muss man für dieses Foto aber auch 500 Dollar hinblättern.

Sachs beobachtet das Ehepaar auf der Couch, während Andreas eine Unterhaltung über das ausgedachte Ferienhaus in Griechenland improvisiert. Sachs lehnt sich rüber zu Lisa Curesky, der Geschäftsführerin der Produktionsfirma Good Brigade, und flüstert: „Wir sollten auch ein paar Kuss-Aufnahmen machen.”

Curesky gibt den Vorschlag an ihre Partnerin Christina weiter. Die wiederum wendet sich an die Models und den Fotografen: „Können wir ein paar Fotos haben, auf denen ihr euch küsst?” Das Paar kommt der Bitte sofort nach.

„Siehst du, das ist etwas, das nicht wirklich drin wäre, wenn wir hier kein echtes Paar hätten”, meint Sachs nickend. Harold und Andreas küssen sich weiter und dabei ist wohl etwas mehr Zunge im Spiel, als die meisten Werbefirmen auf irgendwelche Plakate drucken wollen würden. Und genau dort könnten diese Fotos landen: Harold und Andreas posieren für Stockfotos, also Bilder, die im Internet hochgeladen und verkauft werden—lizenzfrei und für jeglichen Gebrauch (egal ob nun auf Plakaten, in Magazinen oder auf Websites) freigegeben. Die Fotos sind für jedermann verfügbar, der seine Marke oder sein Unternehmen mit einem hübschen, schwulen Pärchen in einer stilvoll eingerichteten Wohnung in Verbindung bringen will.

Shutterstock wurde 2003 von Jon Oringer gegründet. Der Unternehmer hat sich dabei das Programmieren der Website komplett selbst beigebracht und auch die ersten 30.000 hochgeladenen Fotos geschossen. Seitdem ist Shutterstock auf über 600 Mitarbeiter angewachsen und es werden pro Sekunden über vier Bilder in mehr als 150 Ländern heruntergeladen. Im Vergleich zu 2013 stieg Shutterstocks Umsatz im Jahr 2014 um 39 Prozent auf 328 Millionen Dollar.

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Die Seite selbst ist ein wie eine Art Zwischenhändler: Medien- und Werbeunternehmen können dort aus einen Bilder-Pool auswählen, der von interessierten Fotografen aufgefüllt wird. Besagten Fotografen wird dann pro Download ein gewisser Prozentsatz des Preises ausgezahlt, der entsprechend des vom Fotografen bereits verdienten Betrags erhöht wird. Shutterstock besitzt dabei nicht direkt die Bilder, sondern nur das Recht, diese zu vermarkten, anzubieten und zu verkaufen—und das ohne finale Einwilligung der Fotografen. Letztes Jahr hat das Unternehmen über 83 Millionen Dollar an seine gut 80.000 Mitwirkenden ausgeschüttet.

Good Brigade wurde für das Pärchen-Shooting nur ein kleines Budget zur Verfügung gestellt. Deshalb findet das Ganze auch in der Wohnung eines Freundes statt, die Models wurden online ausfindig gemacht und die beiden Männer tragen ihre eigenen Klamotten. Das Fotounternehmen verlässt sich dabei auf die Aussagen von Shutterstock: Dort meint man, dass die Kunden mehr Fotos von authentischen Schwulen-Pärchen sehen wollen, und Good Brigade liefert nun genau das. Und wenn Shutterstock richtig liegt, dann könnten die Bilder, deren Entstehung quasi nichts gekostet hat, gutes Geld bringen.

Wenn sie nicht gerade Pressetouren veranstalten, haben die Vertreter von Shutterstock mit der Produktion der Fotos nur wenig zu tun. Interessanterweise hat der Review-Prozess des Unternehmens bei den Inhalten der Bilder nicht viel zu sagen. Stattdessen geht es ihnen viel mehr um die technische Qualität. „Unsere Standards liegen ziemlich hoch … Wir achten auf das Trademark, wir achten auf das Licht und wir achten auf den allgemeinen Bildaufbau”, erklärt Sachs. „Wir stellen sicher, dass die Qualität der Bilder den Ansprüchen der Kunden entspricht.” Und es ist wahr: Wenn man sich nur lange genug durch Shutterstock klickt, dann findet man auch Fotos von komplett nackten Menschen oder von einem übergewichtigen Mann, der in einem dreckigen Unterhemd einen Lutscher und eine Zigarre in den Händen hält—und die Bilder sind dabei immer gestochen scharf.

Manchmal ist es aber auch diese Schärfe, die die Kunden eben nicht zu Shutterstock-Fotos greifen lässt. Ich habe mit einer anonym bleiben wollenden Mitarbeiterin einer abendlichen Fernsehshow gesprochen, bei der oft Stockfotos zum Einsatz kommen. Ich wollte wissen, was sie von Shutterstock hält. „Die Bilder von Shutterstock sehen oftmals ziemlich unnatürlich aus”, meinte sie. „Wenn wir zum Beispiel auf der Suche nach einem Foto einer Geburtstagsparty sind, dann schießen wir dieses Foto wahrscheinlich einfach selbst.” Dementsprechend haben auch schon viele Leute die Omnipräsenz von Stockfotos angekreidet—wie etwa in einer kritischen Analyse der Stockfoto-Entwicklung im Dis Magazine oder auf den unzähligen Tumblr-Blogs, die sich diesem Thema widmen.

Stockfotos spielen ästhetisch gesehen auf einem ganz eigenen Level—eines, das gleichzeitig total variabel, aber auch sofort erkennbar ist. Der gemeinsame Nenner sind attraktive Menschen mit beliebigen Gesichtern vor einem weißen Hintergrund. Die Fotos rutschen dabei allerdings oftmals in die Gefilde des albtraumhaft kitschigen Geschmacks von mittleren Managements ab. Und genau dieser Umstand kann für die Leute zum Kryptonit werden, die auf der Suche nach echt und originell daherkommenden Fotos sind. Obwohl es so nie explizit gesagt wurde, ist es doch ziemlich schwierig, Offset nicht als einen Versuch von Shutterstock zu sehen, sich von der Vorstellung zu distanzieren, dass die Stockfotografie ausschließlich aus kitschigen Bildern von fröhlichen Geschäftsmännern und austauschbaren schönen Frauen besteht.

Foto: Wikimedia Commons

Der Kontrast zwischen den gekünstelten, normalen Stockfotos und den Bildern von Offset ist dann doch recht deutlich. Wenn man auf Shutterstock nach einem Geschäftsmann sucht, bekommt man einen Haufen Bilder ausgespuckt, auf denen fast ausschließlich weiße Männer mit verschränkten Armen dastehen und dabei einen Blick aufgesetzt haben, der förmlich danach schreit, dass sie bei ihrer Arbeit völlig ironiefrei das Wort „Synergie” verwenden. Die Geschäftsmänner, die von Offset vorgeschlagen werden, sind hingegen sowohl alte und weise aussehende Männer als auch attraktive 30-Jährige, die bei der Arbeit noch wirklich auf ihre Hände setzen, also Mechaniker, Bäcker oder Schuster. Die Geschäftsmänner von Offset tragen zudem noch Bart sowie karierte Hemden und werden zusammen mit anderen schönen Männern dargestellt—dabei machen alle den Eindruck, als hätten sie immer das Geld für eine von Hand gefertigte Feuchtigkeitscreme übrig. Bei einer anderen illustren Bildauswahl mit dem kecken Titel „Stache” [Schnurrbart] werden einem verschiedene schnauzbärtige Männer präsentiert, denen der Millenial-Hipster-Look förmlich aus den Poren zu tropfen scheint. „Lasst diese Bilder beim Aufbau eurer Mikrobrauerei oder eurem nachhaltigen Bio-Bistro helfen”, scheinen sie zu flüstern.

Im Gegensatz zu Shutterstock wird bei Offset darauf verzichtet, sich auf die Bilder fremder Fotografen zu verlassen. Stattdessen wendet sich das Team von Offset an solche Fotostudios wie eben Good Brigade, aber auch an professionelle Künstler sowie erfolgreiche, namhafte Fotografen. So hat schon David Prince mit Bildern von verlassenen Hotelzimmern oder wolkenverhangenen Landschaften seinen Beitrag zu der Seite geleistet. Und nur einen Klick weiter findet man dann Fotos von Anna Williams, einer Lifestyle-Fotografin, die schon für Martha Stewart gearbeitet hat und eine Expertin für Makroaufnahmen von Essen vor einem dunkel gefärbtem Holz-Setting ist. „Es gab Künstler, die mit ihren riesigen Archiven kein Geld gemacht haben”, erzählt Sachs. „Das hat uns einfach ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Ich sage unseren Fotografen immer wieder, dass sie ihre Festplatten durchforsten sollen, denn sie hocken auf so vielen Bildern, mit denen sie eine Menge Geld verdienen könnten.”

„Von Seiten der Kunden bestand ein Interesse daran, Bilder zu kaufen, die mehr nach Kunst aussehen”, fügt Greg Bayer, der Geschäftsleiter von Offset, während eines späteren Interviews im Manhattaner Shutterstock-Büro hinzu. „Dinge, die sich für Titelbilder von Marketing-Kampagnen besser eignen.”

„Lasst diese Bilder beim Aufbau eurer Mikrobrauerei oder eurem nachhaltigen Bio-Bistro helfen”, scheinen die Offset-Fotos zu flüstern.

Während das Wachstum von Offset Bayers Worte untermauert, mutet es trotzdem noch etwas komisch an, wenn man live miterlebt, wie die modernen und angeblich authentischen Fotos im echten Leben zusammengestellt werden. Wahrscheinlich liegt das an den Vorsitzenden eines riesigen Online-Unternehmens, die sich mit ernster Miene nur ein paar Meter von dem echten Pärchen entfernt befinden, das in der echten Wohnung einer anderen Person rumknutscht. Jedes Detail—von den über die Knie gelegten Decken bis hin zu der lässig über den Stuhl geworfenen Jacke—wurde dabei präpariert, um einen möglichst unpräparierten Eindruck zu erzeugen. Als ich dabei zusehe, wie sich ein homosexuelles Pärchen in einem hübschen Apartment küsst, wird mir plötzlich klar, dass allein schon diese ganze Szenerie bereits wie eine Werbung daherkommt—vielleicht sogar wie eine gute.

Ich frage Sachs, ob sich ihr Unternehmen der Dinge bewusst ist, die man im Internet und auch darüber hinaus mit Stockfotografie verbindet—Begriffe wie „dumm”, „künstlich” oder „Mann, diese Salate müssen echt gute Witze erzählen”. Nach einer kurzen Pause antwortet sie mir: „Wir nehmen solche Sachen auf jeden Fall mit Humor.” Dabei klingt sie jedoch nicht wirklich überzeugend. Um ihre Aussage zu bekräftigen, werde ich noch an eine Fotozusammenstellung von Shutterstock aufmerksam gemacht, die den Titel „Safe for IA and NH” trägt und Bilder von frisch gestrichenen Scheunentoren, wehenden USA-Flaggen und Apfelkuchen enthält. Damit bezieht sich das Unternehmen humorvoll auf einen Zwischenfall aus der aktuellen US-Präsidentschaftswahl, bei dem der mögliche Kandidat Jeb Bush in einem Werbevideo über das idyllische Amerika Stockaufnahmen aus England und Südostasien verwendet hat. Dieser ironische Witz ist doch eigentlich ganz gut und steht vielleicht auch sinnbildlich dafür, wie sehr Shutterstock auf seine Darstellung in den Medien bedacht ist.

Aber selbst wenn die Fotos vom Shutterstock-Ableger Offset dem „wahren Leben” näher kommen als die gestellten Bilder seines großen Bruders, so zeigen sie doch immer noch eine Welt, die viel sauberer und glücklicher ist als die unsere. Die Welt von Offset ist hipster—und zwar bevor das Wort seine negative Konnotation erhielt—und wird von Familien mit wunderschönen, fröhlichen Kindern bewohnt, die neugierig sind und niemals weinen.

Als Zach genügend Fotos von dem Pärchen auf der Couch geschossen hat, geht es weiter ins Schlafzimmer. Dort macht es sich Andreas auf dem Bett bequem, während Harold so tut, als würde er sich anziehen. Und wieder schlägt jemand vor, dass sich die beiden doch küssen sollten. Schließlich endet das Shooting in der Küche, wo Harold den Tisch deckt und Andreas die Tomaten für eine fiktive Dinner-Party schneidet—eine Dinner-Party, bei der wohl Modekolumnisten und Indiefilm-Regisseure eingeladen wären. Andreas durchtrennt das Gemüse mit schnellen, karate-ähnlichen Bewegungen.

„Nein nein, so schneidet man doch keine Tomaten”, meint Harold und nimmt seinem Ehemann dabei das Messer aus der Hand. „So geht das, du musst es von vorne nach hinten abrollen.” Er demonstriert seine Technik.

Schon bald verlangt wieder jemand, dass sich das Pärchen küsst. Sie leisten der Aufforderung zwischen strategisch platzierten Weingläsern Folge. Dieser eine Moment, in dem sich die beiden mit Augenrollen und einem Lächeln auf den Lippen scherzhaft über die beste Art des Tomatenschneidens gestritten haben, ist jedoch das, was den ganzen Tag über dem Verhalten eines echten Pärchens am nächsten kam. Und selbst diese Szene hatte noch etwas Kitschiges an sich.

Motherboard: Fotos schießen gegen die Erinnerung

Vielleicht werden Stockfotos ihre berüchtigte Ästhetik nie ganz abschütteln können, aber durch Ableger wie Offset wird Shutterstock schon bald einen solch großen Anteil am Verkauf von Fotos zu Werbezwecken haben, dass das Unternehmen dieses visuelle Format quasi ganz für sich beanspruchen kann.

Harold und Andreas sind das Gesicht der Zukunft der Werbung: eine kosteneffiziente Option für Unternehmen, die eine saubere und halbwegs glaubhafte Welt suchen, die gerade mannigfaltig genug ist, um uns glücklich fühlen und den Konsum nicht abreißen zu lassen. Genauso sind sie aber auch das Gesicht der Stockfoto-Zukunft—eine Branche, die sich vor unseren Augen verändert und vergrößert. Zwar wird man Shutterstock auch weiterhin mit den gleichen kitschigen Fotos in Verbindung bringen, aber die Spuren des Unternehmens werden sich in Zukunft wohl trotzdem in allen Bereichen des Lebens wiederfinden lassen.