Ich dachte ja, ich sei halbwegs woke. Dann bin ich in die Ausstellung Queerness in Photography in die Galerie C|O Berlin gegangen und mir wurde klar, dass ich nicht so viel Ahnung von Queerness habe, wie ich dachte. Der Kurator Felix Hoffmann hat mich durch die mehr als 500 Fotos geführt. Dabei hat er meine Fragen beantwortet – zu Polaroids, Crossdressing und Verhaftungen.
VICE: Sie haben eine Ausstellung über Queerness gestaltet. Warum sollte ich mir die ansehen?
Felix Hoffmann: Zum Beispiel wegen der Geschichte von Bambi.
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Bambi, das Reh aus dem Disneyfilm?
Nein, Bambi war eine der ersten Transfrauen, die biologisch ihr Geschlecht geändert hat. Sie ist als Junge zur Welt gekommen und ist mit 16 Jahren nach Paris gegangen. Dort hat sie am Kabarett Geld verdient. Das Geld nutzte sie, um sich 1960 umoperieren zu lassen. Später arbeitete sie als Lehrerin. Jahrzehntelang erzählte sie niemandem, dass sie trans ist. Einfach aus Angst, gesellschaftlich verstoßen zu werden. Sie lebt auch heute noch in Frankreich und arbeitet als Lehrerin.
Man erkennt auf den Fotos gar nicht, dass Bambi als Mann geboren wurde.
Das stimmt, aber das zu erkennen ist gar nicht wichtig. Müssen wir über diese Zuordnungen überhaupt noch nachdenken? Ich denke, wir sollten uns von diesen einschränkenden Kategorien befreien. Jeder Mensch sollte aussehen dürfen, wie er möchte.
Ist es das, was Besucher Ihrer Ausstellung lernen sollen?
Die Ausstellung zeigt, dass Menschen schon immer mit festen Geschlechterrollen gebrochen haben. Es gibt seit jeher Männer, die Frauenkleider tragen und Frauen, die Männerkleidung tragen. Da stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, jemandem aufgrund von Äußerlichkeiten ein Geschlecht zuzuweisen.
Dennoch machen wir das jeden Tag. Dabei sollte es egal sein, ob ein Mann einen Rock oder eine Hose trägt. Wie hat sich queere Kunst im Laufe der Jahrzehnte gewandelt?
Unsere ältesten Fotos stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert. Crossdressing wurde damals wie ein Verbrechen behandelt. Männer, die Frauenkleidung trugen und Frauen, die Männerkleidung trugen, mussten eine Verhaftung befürchten.
Sie wurden ins Gefängnis geworfen?
Ja, das ist häufig passiert. Im 19. Jahrhundert gab es weltweit viele politische Systeme, die einen verfolgt haben, wenn man sich nicht den Normen entsprechend gekleidet hat. Diese Verfolgung hielt auch gesetzlich bis ins späte 20. Jahrhundert an: In Deutschland ist die Auslebung von Homosexualität erst seit 1994 straffrei.
Ein Ort auf den Fotos heißt Casa Susanna, 200 Kilometer von New York City entfernt. Was ist dort so besonders?
Dieser Ort war ein Safespace für Crossdresser. Hier konnten sich Männer Kleider anziehen, Schmuck tragen und sich schminken, ohne Verhaftungen befürchten zu müssen. Die Menschen dort waren eng befreundet, feierten Partys und fotografierten sich auch gegenseitig. Wenn diese Fotos damals an die Öffentlichkeit geschwappt wären, wäre das verheerend gewesen. Teilweise sind Männer in dieser Zeit totgeprügelt worden, wenn sie Damenbekleidung trugen. Heutzutage sind die Fotos natürlich immer noch politisch, aber weniger verheerend für die Menschen auf den Bildern. Entdeckt wurden diese Aufnahmen Mitte der 2000er Jahre auf einem Flohmarkt in Manhattan.
Wie ist die Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton in dieser Ausstellung gelandet?
Tilda Swinton hat in dem Film Orlando die Hauptrolle gespielt, der Verfilmung von Virginia Woolfs Roman. Es geht um die genderfluide Figur Orlando. Sie wird im 16. Jahrhundert geboren und lebt 300 Jahre lang bis in die 1920er Jahre. Das Interessante an dem Roman und Film ist, wie die Gesellschaft in den verschiedenen Epochen mit Geschlechtlichkeit umgeht und wie sich diese Geschlechterstrukturen aus Mann und Frau im Laufe der Zeit immer weiter auflösen.
Gibt es besondere Techniken bei den Fotos?
Eine Technik, die wohl jeder kennt, ist die Polaroid-Fotografie. Die Polaroids hier sind aus den 1970er Jahren. Sie hatten natürlich den großen Vorteil, dass man das Material zur Entwicklung nicht in ein Fotolabor bringen musste. So konnte niemand, außer man selbst, das Material betrachten und brachte sich nicht in Gefahr, verhaftet zu werden.
Die Ausstellung wirft die Frage auf, ob sozial konstruierte Geschlechter noch zeitgemäß sind. Was denken Sie?
Ich denke, dass man die Verzahnung aus biologischem und kulturellem Geschlecht trennen sollte und dass wir diese Struktur aus Mann und Frau hinter uns lassen müssen.
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