Politik

So werde ich attackiert, wenn ich als Kurdin in Deutschland den türkischen Krieg kritisiere

Instagram Post über die Türkei und Nordsyrien

Die Türkei führt einen Krieg in Nordsyrien. Ich sitze in Deutschland und fühle mich hilflos. Gegen diese Hilflosigkeit habe ich vor ein paar Tagen mit Freunden einen Offenen Brief formuliert, er trägt den Titel “#wirallesagennein”.

Wir fordern darin einen Rückzug der türkischen Armee aus Syrien, einen sofortigen Exportstopp für Kriegswaffen in die Türkei, eine friedliche diplomatische Lösung des Krieges. Und wir warnen davor, dass der IS, durch solch einen Angriffskrieg, wieder erstarken könnte. Wir warnen auch vor einer humanitären Katastrophe und einer ethnischen Säuberung.

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All das, vor dem wir warnen, ist eingetreten. IS-Kämpfer sind aus den Gefängnissen geflohen, haben erste Angriffe gestartet. Das türkische Militär bombardiert die Zivilbevölkerung. Zehntausende Menschen sind auf der Flucht.

Als ich diesen Brief geschrieben habe, habe ich das als Deutsche getan, weil Deutschland mit seinen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei längst an diesem Krieg beteiligt ist. Deutschland liefert Waffen an die Türkei. Als Europäerin habe ich geschrieben, weil die Folgen des Krieges auch Europa bedrohen, durch den IS beispielsweise. Als Kurdin habe ich geschrieben, weil mir die Gesichter, die ich in den Nachrichten sehe, so vertraut sind, diese Menschen könnten meine Großmutter, mein Onkel, meine Cousine sein – wären sie nicht 2014 geflohen. Als Ezîdin habe ich geschrieben, weil meine Familie, êzîdische Kurden, 2014 vor einem Genozid geflohen sind, und auch jetzt wieder Minderheiten wie die Ezîden besonders bedroht sind.

In erster Linie habe ich aber als Mensch geschrieben, weil ich an die Universalität von Menschenrechten glaube. Auf diese Werte hat man sich nach dem dem Zweiten Weltkrieg geeinigt. Und ich glaube daran, dass man die Einhaltung dieser Menschenrechte einfordern muss, gerade wenn sie mit Füßen getreten werden, wie jetzt in Rojava. Mittlerweile haben unseren Offenen Brief über 2.500 Menschen unterzeichnet.

Ich bekomme minütlich Nachrichten. Menschen fragen, wem sie Geld spenden können, sie wollen uns unterstützen und unterschreiben. Die Solidarität kommt aus allen Teilen der Gesellschaft, Rentnerinnen sind darunter, Erwerbslose, Schüler, Studentinnen, Ärztinnen und Journalisten. Das ist so wichtig, weil es diesen nicht egal ist, was in Rojava passiert. Sie zeigen, dass es alle etwas angeht, wenn Menschenrechte verletzt und ethnische Säuberungen durchgeführt werden.

Unter den Unterzeichnerinnen und Unterstützern waren, wenn auch noch viel zu wenige, Menschen mit türkischem Hintergrund, Deutschtürken. Sie haben unterschrieben und zeigen sich solidarisch. Weil es auch sie etwas angeht, wenn eine Zivilbevölkerung bombardiert wird, wenn Massaker verübt werden.

Erdogan ist mit seinem Einmarsch in Rojava ein Schulterschluss der Parteien gelungen

Daneben gibt es aber viele Menschen aus diesen Communitys, die schweigen. Wir aus der kurdischen Diaspora hören dieses Schweigen. Wir sehen die fehlende Solidarität von Vereinen und Organisationen. Dieses Schweigen, während wir in den Nachrichten und unseren News-Feeds die Bilder von Gewalt, Toten und Verletzten sehen, tut weh.

Laut hingegen sind jene, die den Einmarsch in Rojava begrüßen: Graue Wölfe, türkische Faschisten, Erdogan-Anhängerinnen. Ich nenne sie hier nicht namentlich, weil ich ihnen nicht mehr Raum geben will, als sie sich ohnehin schon nehmen.

Unter meinem offenen Brief auf Instagram kommentierten sie mit Türkeiflaggen, mit Wolf-Emojis (der Wolf ist eines der Symbole der faschistischen Grauen Wölfe), sie reagieren mit Statements wie: “Türkei wird jeden einzelnen ficken…mit erdogan an der Spitze werdet ihr unsere Erfolge sehen und vor Neid vereckennnnn!! Ihr habt einfach nur Angst vor uns…nehme ich euch nicht übel ;) 1915 das jahr wo wir die ganze Welt auseinander genommen haben…” [sic]

1915 ist nicht irgendeine Jahreszahl, 1915 verübten die Jungtürken einen Genozid an den Armeniern.

Als ich auf Twitter ein Bild des Dorfes meiner Familie poste, aus dem nun alle Bewohner evakuiert wurden, antworte ein Nutzer mit einem türkisch klingenden Namen: “Bald ist alles gesäubert, dann hast du als Flüchtling keinen Grund mehr in Deutschland zu sein. Gute Heimreise.”

Erdogan ist mit seinem Einmarsch in Rojava ein Schulterschluss der Parteien gelungen. Alle Parteien im türkischen Parlament außer der prokurdischen HDP – das heißt von der kemalistischen CHP bis zur faschistischen MHP – haben dem Einmarsch zugestimmt. Nationalismus und Islamismus kommen hier zusammen. Auch in den Ditib-Moscheen in Deutschland.

Es ist nicht das erste Mal, dass in den Ditib-Moscheen für einen Sieg in Rojava gebetet wird. Sie beteten auch schon letztes Jahr, als das türkische Militär mit seinen islamistischen Söldnern in Afrîn einmarschierte. Die Ditib mit über 900 Moscheegemeinden ist der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt und die Diyanet direkt dem türkischen Präsidenten Erdogan. So eröffnete Erdogan auch höchstpersönlich die größte Moschee in Deutschland, die Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld. Die Ditib wird auch als der “lange Arm des Türkischen Staates” bezeichnet. Hier ist also mehr als von einer bloßen Verstrickung die Rede.

Als ich auf Twitter die Ditib kritisierte und ein Verbot dieser Organisation forderte, weil dort für den Sieg in Rojava und somit für eine ethnische Säuberung gebetet wird, unterstellte man mir “plumpen Populismus, der nur Afdler happy macht”.

Ein anderer schrieb, dass so etwas nur eine “islamophobe, rassistische Afd-Wählerin” sage. Mit solchen Aussagen versucht man, mich und andere Leute, die die Ditib kritisieren, zu diskreditieren. Kritik wird als Islamhass und als Nähe zur AfD abgetan – und damit verdrängt. Also wird ausgerechnet jenen Menschen AfD-Nähe vorgeworfen, die selbst Rassismus erfahren und die von der Politik der AfD bedroht sind.

Andere warfen mir vor, ich würde “einen großen Eingriff in die Religionsfreiheit” fordern, und fragten, wo Menschen sonst beten gehen sollten, wenn nicht in Moscheen der Ditib. Mir wurde gesagt, ich solle mal mit “Betroffenen” reden. Damit waren Menschen gemeint, die Ditib-Moscheen besuchen. Es ist perfide, wie hier Sprache eingesetzt wird. Plötzlich sind nicht mehr diejenigen die Betroffenen, die vom türkischen Krieg bedroht sind, die kurdische Minderheit, sondern jene, die in Moscheen der Ditib für diesen Krieg beten.

Aber: Nicht alle Menschen, die Ditib-Moscheen besuchen, seien politisch, sagen meine Kritiker. Das stimmt. Aber sie sind, mindestens passiv, damit einverstanden, was dort gepredigt und wofür gebetet wird, denn sie lassen es geschehen, sie sehen dabei zu.

Einige der Menschen, die mich angreifen, schreiben sonst gerne über Rassismus, manche davon würden sich wohl als Antirassismus-Aktivistinnen bezeichnen. Sie verwenden auch die Sprache des Antirassismus. Sie missbrauchen diese Sprache.

Sie reden von “Betroffenen”, wenn sie Ditib-Anhänger meinen. Sie wollen Weiße deutsche Kritiker mundtot machen, indem sie ihnen zurufen: Ihr dürft nicht kritisieren, ihr seid Weiß! Sie werfen kurdischen Erdogan-Kritikerinnen in Deutschland vor, aus einer privilegierten Position zu sprechen. Sie werfen das also ausgerechnet jenen Menschen vor, die bedroht werden; jenen Menschen, die nicht mehr ihre Familien in der Türkei besuchen können und die trotz alledem ihren Mund aufmachen. Meine Gegner wollen von einem Krieg ablenken, von ethnischen Säuberungen.

Es ist nicht so schwer, nicht in Ditib-Moscheen zu gehen. Man kann zu Hause beten oder in andere Moschee-Gemeinden gehen. Niemand wird einen beim nächsten Türkei-Besuch deswegen verhaften. Aber man würde ein Zeichen setzen: Nein, ich bin nicht einverstanden mit diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.

Ditib, der verlängerte Arm der Türkei, einem Land auf dem Weg zum Faschismus, in dem die Presse gleichgeschaltet ist und in dem in den letzten Jahren Zehntausende politische Gegner inhaftiert wurden, hat auch Macht in diesem Land, in Deutschland.

Auch Teile der Weiß-deutschen Linken schweigen zum türkischen Faschismus – aus Angst, als rassistisch zu gelten. Das ist meine Botschaft an euch: Ihr lasst diejenigen alleine, die von Islamismus und türkischem Faschismus bedroht sind. Ihr habt eine Pflicht zur Kritik. Es ist für Weiße Personen sogar einfacher, Kritik zu üben. Die einzig mögliche Konsequenz ist, dass ihr vielleicht nicht mehr in den Türkei-Urlaub fahren könnt. Menschen wie beispielsweise meine Freundin, die Autorin Sibel Schick, haben viel mehr zu befürchten. Sie ist in der Türkei aufgewachsen. Wegen ihrer kritischen Tweets und ihrer Arbeit als Journalistin kann sie nicht mehr in die Türkei. Ihre Freundinnen heiraten. Sie kann nicht zur Hochzeit. Ihre Freunde bekommen Kinder, sie sieht diese Kinder nicht. Menschen wie Sibel bezahlen einen hohen Preis für ihre Kritik an Erdogan.


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Sie hat keinen deutschen Pass. Sollte sie irgendwann in die Türkei abgeschoben werden, würde sie direkt ins Gefängnis wandern. Als ich Sibel frage, ob ich sie in diesen Text erwähnen darf, sagt sie: “Tu das, für mich ist sowieso alles zu spät.”

Wir Kurdinnen in der Diaspora wissen, seit wir Kinder sind, vom türkischen Überlegenheitsdenken. Als einziges kurdisches Kind in meiner Grundschulklasse wurde mir von türkischen Kindern gesagt, Kurden seien dreckig, Kurden würden stinken, sie seien Verbrecher.

Erst später, als ich älter wurde, hatte ich türkische Freundinnen und Freunde. Im Kulturbetrieb und an der Universität gab es viel, was uns vereinte. Zum Beispiel, dass wir von Rassismus betroffen waren, dass wir Cay trinken, dass alle um uns herum Weiß waren. Meine türkischen Freunde aus dieser Zeit sagen nicht, dass Kurden dreckig sind. Wir gehen zusammen Bier trinken, auf Vorträge und auf Partys.

Und jetzt. Jetzt gibt es die, die schweigen und jene, die nicht schweigen. An denen, die nicht schweigen, halte ich fest.

Eine von ihnen zum Beispiel, schreibt auf Instagram: “Wir jungen Türken der Diaspora müssen endlich anfangen, die Geschichten unserer Eltern und Großeltern zu hinterfragen. Meist sind deren Erzählungen von einem nationalistischen bis faschistischen Blickwinkel geprägt. Im deutschen Schulunterricht lernen wir wenig bis nichts über die Geschichte Kurdistans und der Türkei, wir müssen uns daher selbst bilden, Minderheiten zuhören und uns positionieren. Unser Schweigen ist auch Gewalt. (…) Es kann nicht sein, dass wir uns über den Rassismus in Deutschland beklagen, ohne uns mit dem Rassismus der Türken auseinander zu setzen.”

Ich schreibe ihr “Danke”. Sie schreibt zurück: “Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.” Ich antworte: “Trotzdem danke, dass du den Mund aufmachst. Es sind so wenige, die das tun.”

Wenn es um ethnische Säuberung und Menschenrechtsverletzungen geht, dann müssen alle den Mund aufmachen. Die Menschenrechte gelten für alle. Und das sollte auch von allen eingefordert werden.

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