Wichser, Arschloch, Eierkrauler. Ja, diese Begriffe gibt es im Vokabular deutscher Politikerinnen und Politiker. Auch wenn es im Vergleich zum letzten US-Wahlkampf und jeder zweiten entgleisten Debatte im britischen Unterhaus wirkt, als hätten sie sich gut im Griff.
Trotzdem rutscht Politikern manchmal eine Bemerkung raus, die mehr verrät als jede TV-Debatte. So wie Cem Özdemir, der kurz nach den Stuttgart-Krawallen vor laufender Kamera einem Passanten an den Kopf warf: “Halten Sie bitte die Fresse, danke, ich red’ gerade.”
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Am häufigsten trifft es ganze Ethnien oder marginalisierte Gruppen. Weil wir Rassismus und Sexismus nicht reproduzieren wollen und Rechtsextreme von der AfD wie dieser Faschist eine solche Liste fast allein bestreiten würden, haben wir diese Fälle ignoriert.
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Doch es gibt auch so reichlich Material. Meistens beschimpfen deutsche Politikerinnen und Politiker sich fairerweise gegenseitig, gelegentlich auch ihre Mitbürger ohne Mandat. Sie treten nach unten oder nach oben, gegen Freunde und Feinde, gegen Sexisten oder Arbeitslose. Manchmal entschuldigen sie sich.
Hier kommen die sieben ausfallendsten Beleidigungen deutscher Politiker:
Platz sieben: “Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich seine Eier.”
Eigentlich sollte es um Rüstungsexporte gehen, als der Linken-Abgeordnete Jan van Aken 2012 das Wort im Bundestag ergreift. Aber kurz zuvor hatte der FDP-Politiker Martin Lindner (nicht zu verwechseln mit Christian Lindner) in seinem Redebeitrag der SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul eine patzige Antwort gegeben, so das Protokoll. Van Aken nervte das offenbar.
- Van Aken: “Zu Herrn Lindner muss ich sagen, dass ich das unerträglich finde: Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich seine Eier.”
Kurz darauf rudert er zurück und wendet sich an Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die die Sitzung leitet.
- Van Aken: “Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin. Ich entschuldige mich dafür.”
- Van Aken: “Für die ‘Eier’.”
Drei Wochen später setzte Barbara Hendricks von der SPD noch einen drauf, als sie Lindner so beschrieb: “Er ist der berühmteste Eierkrauler dieses Parlaments”.
Platz sechs: “Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen!”
Fast vergessen, aber 2011 hatte uns die letzte Wirtschaftskrise in der Mangel: Die Eurokrise. Als eine Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm im Bundestag anstand, trug sich laut Hauptstadtkorrespondenten des Tagesspiegel diese denkwürdige Unter-der-Gürtellinie-Begegnung zwischen zwei Politikern einer NRW-Landesgruppe zu: Ronald Pofalla (CDU, für den Schirm) brüllte Parteikollege Wolfgang Bosbach (auch CDU, gegen den Schirm) auf dem Weg aus der Tür zu:
“Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen!”, und “Du machst mit deiner Scheiße alle Leute verrückt!”
Beide erklärten die Angelegenheit kurze Zeit später für beendet. Es war aber nicht Pofallas erster verbaler Ausfall. Karl-Theodor zu Guttenberg soll er mal Rumpelstilzchen genannt haben.
Platz fünf: “Wir sind hier in Deutschland, bitte Maul halten, danke.”
Nach den Krawallen in Stuttgart gab Cem Özdemir gerade ein Fernsehinterview in breitem schwäbisch (“Isch klar, wohin mer ermiddeld”), als ein Störer ins Bild drängelte und ihn unterbrach. Deutschland sei eine “Polizeidiktatur”, behauptete der Unbekannte. Özdemir bat den Mann, jetzt dialektfrei, “bitte die Fresse” zu halten.
Interessant: Der Dazwischenpöbler hat einen deutlichen Akzent. Özdemir schiebt den Satz nach: “Wir sind hier in Deutschland, ich rede grad, bitte Maul halten, danke.” Özdemir kam bemerkenswert glimpflich aus der Sache, das nationalistische Geschmäckle erklärte er nicht weiter. Auf Twitter entschuldigte er sich, er habe ja immerhin Bitte gesagt.
Platz vier: “Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!”
Die berühmteste aller im Bundestag ausgesprochenen Beleidigungen ist wohl die von Grünen-Politiker Joschka Fischer aus dem Jahr 1984. Fischer war an diesem Tag bereits mit Zwischenrufen aufgefallen. Als er des Saals verwiesen wurde patzte er den dafür verantwortlichen Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen an: “Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!” (vielleicht auch, je nach Überlieferung: “Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch” oder “Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!”) Zwei ganze Tage durfte er daraufhin nicht zurückkommen.
Das “Plenarsaal-Arschloch” hat übrigens Tradition. Die Zeit hat ausgerechnet, wie oft seit Gründung des Bundestags (1949) das Wort Arsch gefallen ist. Ergebnis: bis Herbst 2019 32 Mal. Beliebter ist es, seine Mitparlamentarier als Idioten oder Trottel zu bezeichnen, 152 Mal im selben Zeitraum. Es kann aber gut sein, dass ein paar “Arschlöcher” in den Sitzungspausen fielen, während die Stenografinnen Kaffee tranken. Auch Fischers “Arschloch” taucht im Protokoll nicht auf, weil er es Stücklen auf dem Weg nach draußen zurief, als der Präsident die Sitzung schon unterbrochen hatte.
Platz drei: “Ab morgen kriegen sie in die Fresse.”
Nach stolzen hundertfünfzig Jahren Sozen-Patriarchat durfte Andrea Nahles 2017 als erste Frau den SPD-Fraktionsvorsitz antreten. Und lernte gleich als erstes, dass prollige Breitbeinigkeit nicht so gut ankommt, wenn man auch Brüste mit sich herumträgt.
“Ab morgen kriegen sie in die Fresse” sagte Nahles bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Fraktionschefin zu den anwesenden Journalisten. Mit “sie” war die neue Regierung gemeint. Nach vier Jahren als Arbeitsministerin in der GroKo hatte Nahles klarstellen wollen, dass sie auch unbequem sein kann. BILD nannte sie daraufhin: “laut, schrill – manchmal auch intrigant.” Nahles entschuldigte sich später.
Platz zwei: “Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job.”
Sprüche gegen arme und arbeitslose Menschen sind armselig. Trotzdem lassen sich Spitzenpolitiker immer wieder dazu hinreißen. Dass FDP-Politiker Guido Westerwelle im Zusammenhang mit Hartz-IV-Empfängern von “spätrömischer Dekadenz” sprach, hat wohl niemanden überrascht. Wenn auch linke SPD-Politiker solche Ressentiments bedienen, schon eher.
So wie Kurt Beck. Eine Traube Reporter zog mit dem damaligen SPD-Chef 2006 über einen Weihnachtsmarkt, als ein Arbeitsloser ihn wegen Hartz IV beschimpfte. “Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job”, entgegnete Beck. Einige Umstehende sollen Beck darauf hingewiesen haben, dass die Bemerkung nicht OK war. Beck soll entgegnet haben: “S’ Lebbe is’ doch, wie’s is’.”
Der Mann, der Beck auf dem Markt angesprochen hatte, war wohl ein bisschen angeschwipst. Er brauchte einen Moment, um sich von der Beleidigung zu erholen und sich eine schlagfertige Antwort zu überlegen. Ein paar hundert Meter weiter holte er Beck wieder ein und sagte: “Ich wasche und rasiere mich und komme dann bei Ihnen in der Staatskanzlei vorbei.”
Nachdem das Gespräch Schlagzeilen machte, vermittelte Beck dem Mann mehrere Jobangebote. Er begann, als Kameraassistent bei einem Lokalsender zu arbeiten. Dem SZ-Magazin sagte er 2007: “Aber ich finde ihn [Beck] immer noch so arrogant, wie ich ihn damals gefunden habe.”
Platz eins: “Nein, ich darf einem solchen Wichser nicht aufs Maul hauen.”
Wir alle kennen diesen einen Kollegen, der wirklich nervt. Und nach jedem gezwungenen Smalltalk in der Kaffeeküche nervt er ein kleines bisschen mehr. Wie muss es da erst deutschen Politikerinnen gehen, denen an der Kaffeemaschine im Büro seit Jahren Rechtspopulisten und Neonazis begegnen?
Sabine Berninger, Abgeordnete für die Linkspartei im Thüringer Landtag teilte 2016 ihren Frust über einen AfD-Abgeordneten auf Facebook: “Nein, ich darf einem solchen Wichser nicht aufs Maul hauen. […] – Auch in die Weichteile treten ist nicht erlaubt: zu viel Öffentlichkeit.” Das berichtete die Thüringer Allgemeine. Auf Anraten ihrer Fraktion habe sie die Sätze aber später wieder gelöscht.