Cava, Sekt, Spumante, Crémant: Viele europäische Länder haben ihren eigenen Schaumwein – oder gleich mehrere. Am bekanntesten ist natürlich Champagner, der aus der französischen Region Champagne stammt. Für Puristen gilt der Qualitätsschaumwein als unersetzbar.
Und trotzdem sind die Champagnertrauben wie jedes andere landwirtschaftliche Erzeugnis nicht immun gegen die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen. Die wärmeren Sommer mit kühleren Nächten haben die vergangenen Jahrgänge tatsächlich geschmacklich verbessert. Aber die Champagnerhäuser, die Maisons, wissen, dass diese Situation schnell kippen kann.
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“Alle, die behaupten, dass es keinen Klimawandel gibt, lügen”, sagt Alexandre Chartogne vom Maison Chartogne-Taillet. Ihm sei aufgefallen, dass die Reben inzwischen viel früher reifen als noch vor ein paar Jahren.
Diese Beobachtung hat auch die Konkurrenz gemacht. Arthur Larmandier von Maison Larmandier-Bernier musste deswegen den Sommerurlaub der Familie umorganisieren. “Aber das ist kein Problem, die Traubenlese ist aufregend”, sagt er. “Für Menschen wie uns, die Wein traditionell herstellen, ist das momentan ein Segen. In zehn Jahren wird es natürlich nicht mehr so gut sein.”
Über 16.100 Winzerinnen und Winzer bauen ihre Reben auf kleinen Stücken Land an, die sich über die Champagne im Nordosten Frankreichs verteilen. Wer schon mal in der Region war, der weiß, dass das Essen und das Wetter dort alles andere als angenehm sind – ein paar Ausnahmen gibt es natürlich. Für Champagnerfans lohnt sich ein Abstecher in die Region mit ihren verschiedenen Edelschaumweinen und gut bestückten Champagnerkellern trotzdem.
Natürlich wird so eine Champagnerreise mit etwas Vorbereitung noch besser: Die großen Häuser wie Pommery, Veuve Clicquot oder Pol Roger sind fast immer für Besucher geöffnet. Aber wenn du kleinere Produzentinnen und Produzenten besuchen möchtest, solltest du sie vorab anschreiben und ihnen klar machen, dass du auch vorhast, ein paar Flaschen zu kaufen.
Mein letzter Besuch in der Region war im Herbst 2019, vor Corona. Die Weinlese war damals recht spät und erst ein paar Tage vor meiner Ankunft abgeschlossen. Der Himmel war wolkenbehangen, nur hin und wieder brach die Sonne kurz durch. Kein Wunder, dass sich die Menschen hier auf etwas wärmeres Wetter freuen – auch Wein gedeiht eigentlich besser in wärmeren Regionen.
Die Jahresdurchschnittstemperatur in der Champagne beträgt zwischen zehn und elf Grad. Die Sonne scheint 1.800 Stunden im Jahr – und damit bereits 235 Stunden mehr als vor 30 Jahren. Zum Vergleich beträgt die Durchschnittstemperatur in der Region Bordeaux, dem wohl berühmtesten französischen Weinbaugebiet, 13,8 Grad und die Sonne scheint 2.100 Stunden im Jahr.
In den vergangenen 30 Jahren ist die Durchschnittstemperatur in der Champagne um 1,1 Grad gestiegen, was dem Weinbau in der Region zugutekam. Laut einer Pressemitteilung des Comité Champagne, einem regionalen Dachverband von Winzern und Champagner-Häusern, waren die Ernten 2018, 2019 und 2020 allesamt “hervorragend”.
Statistische Modelle sagen allerdings vorher, dass die Erderwärmung in der Region wahrscheinlich für extrem kaltes Wetter im Frühjahr und heiße Sommer sorgen wird. Das bedroht die sensible Balance, die die Trauben der Region so einzigartig machen. Die größte Bedrohung für die Lese ist Frost in den Frühlingsnächten. Im Frühling 2021 suchte dieser bereits die Region Chablis heim und beschädigte zahlreiche junge Weinpflanzen. “In der Zukunft werden wir viel mehr Eis hier in der Gegend bekommen”, sagt Alexandre Chartogne vom Haus Chartogne-Taillet.
Und diese Zukunft ist gar nicht so weit entfernt. 2019 wurden die höchsten Temperaturen in der Champagne gemessen, 42,9 Grad, und zehn Prozent der Pflanzen wurden von Waldbränden zerstört.
Das Comité Champagne, zu dem sowohl die großen Marken wie kleineren Häuser gehören, ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, den Einfluss des Weinbaus auf die Umwelt zu mindern – insbesondere, was die Boden- und Wasserverschmutzung durch Pestizide angeht. Der Dachverband drängt Winzer, ihren CO2-Fußabdruck zu mindern, den Lagerung und Transport des Weins und der Trauben verursachen.
“Die Begutachtung des Umweltzustands in der Champagne begann 2001 mit einer Analyse der kompletten Versorgungskette, aus welcher wir unseren CO2-Fußabdruck berechnet haben”, sagt Pierre Naviaux, der Vorsitzende für nachhaltige Entwicklung des Comité Champagne. “Wir haben unser eigenes Umweltzertifikat eingeführt, anstatt uns auf das nationale zu verlassen, das erst Jahre später kam.” Das Ziel? “100 Prozent umweltfreundlich werden bis 2030.” Wein soll in der Region ausschließlich bio angebaut werden.
Um das zu erreichen versucht das Comité, alle beteiligten Akteure an einen Tisch zu bringen und moderne, pestizidfreie Anbautechniken durchzusetzen. Eine dieser Techniken arbeitet mit Pheromonzerstäubern. Das sind Geräte, die Chemikalien in alle Richtungen verstreuen, die Käfer eigentlich dazu verwenden, um andere Käfer zur Paarung zu finden. Die Männchen werden dadurch verwirrt und treffen niemals auf eine Partnerin. Die Schädlinge vermehren sich entsprechend nicht.
Einige einheimische Tierarten mögen bei den Weinbauern nicht besonders beliebt sein, aber ein großer Teil von Naviaux’ Arbeit besteht darin, auch die anderen Pflanzen und Tiere zu schützen, die in der Region neben den Weinreben existieren. “Wir haben einen Zensus der Flora gemacht und einen Plan ausgearbeitet, wie man diese Räume beibehalten kann”, sagt Naviaux. “Wir haben 350 Arten notiert, einige davon sogar selten, sowie 50 Vögel und etwa 100 Regenwürmer pro Quadratmeter. Diese sind notwendig für das Ökosystem. Ohne sie funktionieren wir nicht.”
Tatsächlich sind die Weinberge viel mehr als nur aneinandergereihte Weinreben. “Eine Sache, über die selten gesprochen wird, ist die agro-ökologische Infrastruktur der Weinberge, die trockenen Mauern, die Straßenränder, an denen Pflanzen wachsen”, sagt Naviaux. “Die können für die Biodiversität pures Gold sein.”
Manche Winzer schätzen den umweltfreundlichen Ansatz mehr als andere. In der Region hat sich eine Art Generationenlücke abgezeichnet. Alexandre Chartogne zum Beispiel musste harte Überzeugungsarbeit leisten, damit sein Vater aufhörte, Pestizide einzusetzen. “Ich habe ihm gesagt, dass wir nie wieder Pestizide benutzen dürfen, und er hat sie dann heimlich abends auf die Reben aufgetragen, wenn ich nicht da war”, sagt er und lacht.
“Ich kann meinen Eltern nicht die Schuld geben, die sind halt eine andere Generation”, sagt Alexandre. “Es ist jetzt unsere Pflicht, auf eine nachhaltige Landwirtschaft hinzuarbeiten. Wir wollen sicherstellen, dass auch zukünftige Generationen hier arbeiten können.” Jetzt, da er das Unternehmen übernommen hat, hat das Haus Chartogne-Taillet diese Änderungen eingeführt.
Das ist auch die Schönheit der Champagne: Winzer, die ihre Landschaft lieben, und viele Familienunternehmen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Natürlich wird auch verdammt viel Geld gemacht. Ein Hektar Rebfläche kostet hier im Durchschnitt 1,3 Millionen Euro. Wie auch immer, es lohnt sich in jedem Fall, diese Region und ihren leckeren Schaumwein für unsere Kinder und den Rest der sich erwärmenden Erde zu bewahren.