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Anonymous.Kollektiv ist zurück auf Facebook—und hetzt gefährlicher denn je

Kostprobe: Die Anons vermuten, dass das Bad Aiblinger Zugunglück in Wirklichkeit ein Antifa-Anschlag war.
Screenshot des Anonymous.Kollektiv Titelbilds.

Anonymous.Kollektiv kann es nicht lassen. Nach einer längeren Pause ist die mit Abstand reichweitenstärkste deutsche Anon-Seite jetzt wieder auf Facebook aktiv—und postet wie gehabt fleißig verschwörungstheoretische, neurechte und rassistische Beiträge. Zwar sind die Geschichten allesamt viel zu unglaublich, um wahr zu sein, finden aber dennoch tausende Likes und Shares unter den insgesamt 1,8 Millionen Fans der Facebook-Seite.

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Zuvor hatte Anonymous.Kollektiv in den vergangenen Wochen ausgiebig das russische Facebook-Pendant vKontakte angepriesen und versucht, die eigenen Fans dorthin zu lotsen. Dort könne man „Anonymous unzensiert genießen"—ohne Furcht vor „Reichsjustizminister Maas" und seinen „SS-Zensur-Schergen". Viele der eigenen Beiträge veröffentlichten die Macher der Seite seit Anfang des Jahres in voller Länge über vKontakte oder gar ausschließlich in dem russischen Netzwerk.

Keine Netzpolitik, keine traditionellen Anon-Themen: Andere deutsche Anon-Aktivisten distanzieren sich von Anonymous.Kollektiv

Tatsächlich war die absolute Posting-Pause in den vergangenen Wochen nicht ganz freiwillig. Anonymous.Kollektiv selbst bestätigte in einem PasteBin, dass das eigene Facebook-Konto gesperrt worden sei und man keine Beiträge mehr veröffentlichen könne. Die letzten Beiträge im Februar datieren vom 4.2. („Pädokriminelle grüne Inzestjugend", „Antifa durchsiebte mit Kugeln vom Kaliber 22 erneut Büro der AfD"), danach wurde erst wieder am 9. März etwas veröffentlicht. Die Dauer der Facebook-Abstinenz deckt sich tatsächlich grob mit jener 30-tägigen Sperrfrist (plus gelegentlicher Bearbeitungszeit für Freischaltungen), die Facebook bei Verstößen gegen die eigenen Geschäftsbedingungen verhängt und von der deutsche Facebook-Nutzer in anderen Fällen berichtet haben.

Ob die Seite gesperrt wurde, und wenn ja, wieso, ist—wie bei Facebook-Sperren üblich—von dem sozialen Netzwerk selbst nicht öffentlich erklärt worden. Gegenüber Motherboard wollte Facebook sich nicht zum Grund der Sperre äußern, da man zum Status einzelner Accounts grundsätzlich keine Stellung beziehe. Der Fall zeigt allerdings, dass man bei einer öffentlichen Seite mit 1,8 Millionen Likes mit dieser Politik auch wilde Spekulationen nährt.

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Unklar ist, ob möglicherweise die Hashtag-Kampagne #FakeAnonymous, die Ende Januar zum Melden der Seite aufrief, für die Sperre mitverantwortlich sein könnte.

Natürlich bleibt auch die Behauptung vom neurechten Compact-Magazin, dass Anonymous.Kollektiv für die Veröffentlichung von einigen mehr oder weniger brisanten internen Lageberichten aus dem Innenministerium (die man zum Leak stilisierte) gesperrt wurde, unbestätigt. Für das Compact-Magazin passt das aber einfach zu gut ins eigene BRD-GmbH-Narrativ, um diese haltlose Behauptung nicht als Tatsache zu veröffentlichen.

Die Geschichte von Anonymous.Kollektiv: Was ist da eigentlich schiefgelaufen?

Am naheliegendsten erscheint, dass die Seite wegen ihrer hetzerischen Inhalte gesperrt wurde. So verschärfte man die eigene Rhetorik gegen Flüchtlinge in den vergangenen Wochen noch einmal: „Illegale Asylforderer vergewaltigen systematisch unsere Frauen und Kinder: Polizei schaut tatenlos zu, Politiker und Strafverfolgungsbehörden schützen die Täter! […] Migranten feiern in Deutschland mittlerweile ungestraft regelrechte Vergewaltigungs-Orgien und Sex-Exzesse", heißt es beispielsweise in einem Post.

Logische Konsequenz für die Anons: „Gründet Bürgerwehren, und ja, falls notwendig, bewaffnet euch auch." Solcherlei Posts erreichen zusammen über 20.000 Shares auf Facebook.

In den neuesten Posts schlagen die anonymen Hetzer in die selbe Panik-verbreitende, rassistische oder verleumdnerische Kerbe: Monsanto vernichte schleichend „die Lebensräume unserer Kinder", mitten in Deutschland hätten 70 Migranten eine „IS-Außenstelle" gegründet und die „Asyllobby" verteile Bolzenschneider an der mazedonischen Grenze. Nur für die Jenaer Polizei hat man lobende Worte, weil sie sich durch das Ablegen eines einzigen Magazins scheinbar zu „AfD und Compact" bekannt habe.

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Anonymous.Kollektiv schreckt auch nicht davor zurück, das Zugunglück in Bad Aibling, das 11 Menschen das Leben kostete, politisch auszuschlachten und durch den neurechten Fleischwolf zu drehen. In einem selbst verfassten Text wird der vermeintlich Schuldige von einer ganz anderen Seite herbeigeredet: Der Zusammenstoß zweier Regionalzüge sei in Wirklichkeit ein Anschlag der Antifa gewesen.

Als Zeugen für die unglaubliche „Enthüllung" spannt man einen ehemaligen Bahnmitarbeiter vor den eigenen Karren: Karl-Dieter Bodack, der bis 1995 in leitenden Positionen bei der Bahn tätig war und heute in der Initiative „Bürgerbahn statt Börsenbahn" tätig ist, hatte gegenüber der Huffington Post in einem Interview zwar erklärt, dass das Unglück nur durch „einen bewussten Eingriff in die Technik geschehen" könne. Dabei bezog er sich jedoch auf die automatischen Sicherungssysteme, die einen Zusammenstoß eigentlich verhindern sollten—von konkreten Schuldzuweisungen ist nicht die Rede.

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Nach bisherigem, vorläufigem Ermittlungsstand gehen Experten von menschlichem Versagen aus und kritisieren gleichzeitig das System der Bahn, das die Gefahr solcher Fehler erhöhe: Die beiden Züge prallten wohl aufeinander, weil der Fahrdienstleister ein falsches Signal gab. Ein abschließender Bericht des Unglücks liegt jedoch noch nicht vor—bis dahin sollten sich jegliche Spekulationen, zumal politisch instrumentalisiert, eigentlich verbieten.

Anonymous.Kollektiv hat inzwischen schon die nächste unglaubliche Horrormeldung im Anschlag für seine 1,8 Millionen Follower: Schwedische Sicherheitsexperten seien sich sicher, dass in Europa in wenigen Jahren der dritte Weltkrieg toben würde—angetrieben von den Kriegstreibern der NATO, die Russland besiegen wollten.